Muschelfarm-Müll 2008

 

Ende der Nullerjahre fühlten wir uns stark und berufen, die Bantry Bay im Südwesten der Insel, zu „retten“. Die von einer Handvoll Muschelfarmen gewaltig verdreckten Buchten, Inlets und Strände sollten endlich wieder sauber werden. Wir gründeten Save Bantry Bay, eine Zweimann-Umwelt-Initiative, und suchten Unterstützer. Ich hatte von einem deutschen Industriellen gehört, der wenige Kilometer westlich von uns auf der Beara Peninsula wohnte. Charlie hatte sich früh aus dem Familienunternehmen ausgeklinkt, wurde ausbezahlt und lebte fortan als Privatier und Rentier (unter anderem) in seinem schönen Haus in der Bantry Bay.

Charlie hatte sich schon ein Jahrzehnt vor uns über die sorglose Drecksarbeit der Muschelzüchter geärgert – und schließlich, als er nichts erreichte, zur Selbsthilfe gegriffen. Charlie fand jede Woche Unmengen Muschelfarm-Müll an seinem eigenen Strand. Er packte ihn schließlich in Säcke, lud sie auf einen Lastwagen und kippte sie dem Hafenmeister in Castletownbere vor die Tür. Der renitente Deutsche landete ausgerechnet wegen Umweltverschmutzung vor Gericht. Der Richter hielt ihm zugute, dass er den Müll ordentlich in Säcke abgepackt hatte und dass sein Protest deshalb keine Umweltverschmutzung gewesen sei. Charlie hatte jedenfalls genug. Als ich ihn Jahre später anrief und ihn um Unterstützung unserer Arbeit bat, sprach ich mit einem zurückhaltenden Menschen. Er lehnte ab. Das alles habe doch keinen Wert. Charlie hatte längst aus dem Problem ein kleines privates Hobby gemacht und betrachtete das Müllsammeln am Strand nun als sein regelmäßiges Fitnessprogramm. Manche nennen dies erfolgreiches Reframing, andere Resignation.

Wir nahmen die Herausforderung dennoch an, bastelten eine Website Save Bantry Bay mit den schrecklichsten Fotos von den am schlimmsten verschmutzten Stränden, fanden über verschlungene Pfade schließlich einen Verbündeten im Hafenmeister von Bantry und tasteten uns über unkonventionelle Wege zum Erfolg. Wie dies gelang, beschrieb ich in der sichtbaren Version in meinem Buch Irland. Ein Länderporträt. Hier der Auszug:

„Die Bantry Bay ist eine der längsten Buchten Irlands und eine der schönsten der Welt. Die Blicke an schönen Tagen sind überwältigend, eine Bootsfahrt in der Bay gehört zu den herausragenden Naturerlebnissen. Allerdings hat das bedenkenlose Wirtschaften auch vor diesem Juwel nicht haltgemacht. In der Bucht wurde mit finanzieller Unterstützung der EU eine der größten Muschelzuchtindustrien in Europa aufgebaut. Muschelfarmer arbeiteten traditionell mit viel Kunststoff: Plastikschnüren, Seilen, Stricken, Tauen und Tonnen. Auch die Muschelfarmer überließen natürlich – getreu der Devise von der kostenlosen Müllkippe Meer – ihre ausgedienten Schnüre, Tonnen, Stricke und Seile einfach dem Wasser. Das Ergebnis konnte jedes Frühjahr nach den Winterstürmen an den Stränden noch bunter und noch drastischer betrachtet werden: Sie waren übersät mit Plastikabfällen jeder Größe und fast jeder Farbe. Gelbe, blaue, grüne Schnürchen und Schnüre lagen hunderttausendfach verteilt über die Küste. Die einfache und doch so folgenschwere Rechnung: Die Miesmuschelindustrie entsorgte 15 Jahre lang zum Nulltarif auf Kosten der Umwelt und der Allgemeinheit.

Die Leidtragenden waren unter anderem die Bauern, deren Kühe das angeschwemmte salzüberzogene Plastik fraßen, die Vögel und die Fische sowie die Anwohner, die den Müll aus ihren Gärten und Feldern sammeln mussten, und natürlich die Tourismusindustrie. Hinter dem Hauptverschmutzer der Bucht, der größten Muschel firma, wie hinter dem größten Bauunternehmen der Region, stand ein Unternehmer, der lange nach Gutdünken herrschen durfte: Er war der Herr über 1000 Arbeitsplätze in der Region, er hatte beste Beziehungen zur herrschenden Partei, und er wusste die Politik bei Laune zu halten. Der Boss gab, pflegte Beziehungen und genoss Macht. Doch auch diese Macht stieß nun an Grenzen. Denn das Internet hatte die Welt gewandelt, sie gewissermaßen verkleinert: Sehr bald wurde den Muschelfarmern klar, dass saubere gesunde Muscheln nur aus sauberen Gewässern und aus sauberen Farmen stammen können. Ihr Geschäft war plötzlich vom eigenen Wirtschaften bedroht. Denn blitzschnell verbreitete das Internet nun auch unliebsame Nachrichten aus der einst abgelegenen Bucht in alle Welt; und es brachte Informationen und Aufklärung in die abgelegensten Landesteile: Mancher Muschelfarmer machte den Meeresschutz bald zu seinem eigenen Anliegen und fing an, die Arbeitsprozesse im Betrieb zu ändern.

 

Muschelfarm-Müll 2008

 

Die Vorzeichen standen deshalb gut, dass die lokalen Muschelfarm-Betreiber nach konstruktiven Gesprächen mit Anwohnern und anderen Nutzern der Bantry Bay Teil der Lösung werden würden. Am Runden Tisch der Hafenbehörde wurde ein Leitfaden ausgearbeitet, nach dem die Strände gereinigt und die Arbeitsprozesse von schmutzig auf sauber umgestellt werden konnten. Der Runde Tisch füllte das Vakuum, das der irische Staat erzeugt hatte. Im März 2009 beschloss das »Bantry Bay Users Forum« den ausgearbeiteten Leitfaden als »Code of Practice« für die Muschelindustrie. Mit der Annahme des Dokuments verpflichteten sich die fünf Unternehmen, die Miesmuscheln im großen Stil zu kultivieren, zu sauberen Arbeitsprozessen, zum Schutz der Umwelt, zum ordnungsgemäßen Entsorgen der Abfälle und zur Reinigung verschmutzter Strände – das Ganze auf freiwilliger Basis. Den Initiatoren der Vereinbarung war klar, dass vom staatlichen initiierten Umweltschutz nicht viel zu erwarten sein würde, hatten sich die Behörden doch die Verantwortung für den Missstand ausdauernd und geschickt gegenseitig zugeschoben. Die Initiative für ein sauberes Meer setzte deshalb auf freiwillige Lösungen und schaffte einen Durchbruch: Die beteiligten Muschelfarmer gaben ihre Mitverantwortung für die Verschmutzung der Bucht zu und kooperierten, sie säuberten nun jedes Jahr im Frühjahr gemeinsam mitAnwohnern die Strände vom angeschwemmten Müll. Die Arbeit zeigte bald erste Erfolge, die Strände wurden sauberer, erholten sich zusehends.“ (aus: Irland. Ein Länderporträt von Markus Bäuchle, S. 187)

 

Heute sind die Buchten, die Inlets und Strände der Bantry Bay weitgehend vom Müll der Muschelindustrie befreit. Die Verschmutzung rührt nun hauptsächlich von Haushaltmüll und von den Abfällen, die die Schiffsbesatzungen weiterhin illegal ins Meer kippen. Auch am Meeresboden der Bucht finden Taucher bis heute die Altlasten der Muschelfarmer. Doch das Bild an Land hat sich deutlich verbessert, Wir waren also gewissermaßen erfolgreich. Es hat funktioniert.

 

 

Hat es? Immerhin haben wir geholfen, den Ort, an dem wir leben, vor Schlimmerem zu bewahren: Der Muschelfarmer-Plastikmüll ist weitgehend verschwunden. Die seit 2012 geplante Mega-Lachsfarm in der Bucht konnte nicht durchgesetzt werden. Vor wenigen Tagen, im Juli 2024, hat der High Court die vom Minister im Jahr 2015 erteilte Lizenz für ungültig erklärt. Das gigantische Tourismus-Spektakel am Dursey Sound mit Groß-Seilbahn nach Dursey Island und Besucher-Vergnügungszentrum auf dem Festland ist verhindert. Und doch fühle ich heute eher wie Charlie vor über 15 Jahren. Ein bisschen etwas konnten wir mit unserem Dagegen-Arbeiten verhindern. Die Zerstörung der natürlichen Welt hat in Irland dennoch volle Fahrt aufgenommen. Weder eine relevante Anzahl von Menschen, noch auch nur eine der politischen Parteien haben den Wunsch und den Willen, natürliche Wege zu gehen, sich zu begrenzen und zu bescheiden und den Wahnsinn des Wachstums zu stoppen. Uns soll es doch immer noch ein Stück besser gehen. Es gibt kein Halten.

So bleibt uns das Tao. Schlammiges Wasser klärt man am besten, indem man es in Ruhe lässt und nicht darin rührt.

WERTSCHÄTZUNG

Wenn Ihnen Irlandnews gefällt: Alle 4000 Beiträge aus und über Irland stehen Ihnen hier in unserem Web-Magazin kostenlos zur Verfügung. Sie sind ein Geschenk. Es gibt keine Paywall und keine störende Werbung. Geld sparende Künstliche Intelligenz muss draußen bleiben.

Alle Beiträge schreiben wir selbst. Wenn Sie unsere Arbeit mögen und wertschätzen, können Sie uns unterstützen und mit einer Spende zum Ausgleich der technischen Kosten – eine wachsende vierstellige Summe jedes Jahr – beitragen. Wir freuen uns über jede Geste. Wenn Ihre Finanzen knapp sind, geben Sie bitte kein Geld. Helfen Sie mit Ihren Talenten. Hier geht es zur Spendenseite.

 

 

 

 

 

 

Die Fotos in diesem Beitrag hat Bodo Baginski (1952 – 2012) gemacht.
Alle aufgenommen an den Stränden der Bantry Bay im Jahr 2008.