Mother Jones Flea Market
Was für ein Jahr.
Nein, ich will all die Katastrophen, die niederschmetternden Meldungen von einer demnächst im Chaos versinkenden Welt nicht noch einmal aufzählen. Das faule Ergebnis der Weltklimakonferenz von Dubai, dem selbst die Ölkonzerne applaudierten, hat mir zum Jahresende den Rest gegeben. Vor vier Jahren mahnte uns der Schriftsteller Jonathan Franzen in seinem Essay Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen: “Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können”.  Er bekam dafür jede Menge verbaler Prügel. Heute, vier Jahre später, weiß Jeder: Wir bekommen es nicht hin. Die Menschheit, eine scheiternde Spezies, so klug und doch so unfähig, hat es verbockt und schafft die Wende nicht. Doch genug davon.

 

Ich sehne mich nach Ruhe. Mir scheint: Wir alle brauchen nun vor allem Eines. Nicht noch mehr schlechte Nachrichten, nicht noch mehr Verzweiflung, und auch keine esoterischen Fluchtphantasien von der fünften Dimension. Wir brauchen Trost. Ich habe dieses schöne alte Wort Trost lange nicht gedacht und lange nicht ausgesprochen. Trost: Zuwendung, seelischer Halt, Zuversicht und Ermutigung im Schmerz und im Leid. Wir alle leiden an dieser Welt und an uns, wir erkennen schmerzvoll, dass wir vom richtigen Weg abgekommen sind, dass wir auf Abgründe zu rasen – und wir wissen nicht, wie wir die Richtung ändern, vielleicht anhalten, den Kurs korrigieren könnten.

 

Wie gelingt Trost, wie können wir uns trösten? Meine Freundin die Psychologin sagt, Softness sei der Weg: Be soft to yourself and to others. Sanftheit, Sanftmut, Milde. Seien wir sanft und sanftmütig mit uns selbst und mit anderen. Hören wir tief zu, sprechen wir aus unserem Herzen. Lassen wir unser Herz sprechen. Urteilen wir nicht.

 

Mother Jones Flea Market

 

Jetzt ist Weihnachten. Ich freue mich auf die kommenden Tage. “Zwischen den Jahren” nennen wir diese Zeit mit Worten aus einer anderen, fast vergangenen Zeit. Die zwölf Tage und Nächte von Weihnachten. Yuletide, the Twelve Days of Christmas. In diesen Rauhnächten, den zwölf Nächten zwischen dem beendeten Mondjahr und dem Ende des Sonnenjahres, die wie eine Zeit außerhalb der Zeit sind, ist es leicht, zu verschwinden und sich endlich einmal wieder unsichtbar zu machen, tief einzutauchen in die tatenlose Kontemplation. Kontemplation – ein schöner Begriff für Zusehen, Betrachten, Nicht-Eingreifen und Nichts-Tun. In diesen Tagen wünschen wir uns, die Zeit stünde still, und manchmal habe ich das Gefühl, dass sie es tatsächlich tut.

 

Sanfte Kontemplation. Wir dürfen einfach einmal die äußere Realität ignorieren. Ein paar Tage die äußere Wirklichkeit links liegen lassen. Sich ihr für Augenblicke verweigern. Sich selber genug sein, sich mit nahestehenden Menschen, Freunden, Verwandten freuen, lachen, wohl fühlen. Nichts wissen wollen vom großen menschlichen Selbstzerstörungs-Trip, der uns so konsequent in die Kollapse und Katastrophen treibt. Nichts vom rasend schnellen Verschwinden der Natur und unserer aller Lebensgrundlagen, dem Verlust von Arten, der Vernichtung der Insekten, der großen Säugetiere, dem Verschwinden der fruchtbaren Böden. Keine Gedanken an die Ozeane, in denen bald mehr Plastik schwimmt als Fisch. Schon gar nichts von  den lebens-verneinenden Kräften, die gerade mächtig die Oberhand haben. Nichts von Krieg und Tod. Nichts von den globalen und lokalen Wachstums-Faschisten und nichts von den intelligenten Maschinen, die uns in die Defensive drängen. Doch halt, ich wollte ja nicht . . . Nichts davon.

 

Blicke auf den ewigen Atlantik, Blicke nach innen. Stille. Die digitalen Medien ausgeschaltet. Kostbare Momente genießen. Weite. Raum. Zweckfreie Zeit. Sprachlos sein. Sweet Babylon. Coming Home. Heiter in den Abgrund schauen – und Kraft schöpfen. Neue Hoffnung finden.

 

Ja.

 

Und dann versuchen wir es im neuen Jahr 2024 mit neuer Kraft erneut. Versuchen, es besser zu machen, unseren eigenen kleinen Beitrag zu leisten. Auch mal aussetzen, nicht jeden Unfug mitmachen. Nein sagen. Auf Veränderung drängen. Damit wir die Wende vielleicht doch noch schaffen. Damit wir all die Gleichgültigen um uns herum wach rütteln. Damit wir vielleicht auch die wenigen Profiteure dieser globalen Zerstörung, die superreichen Oligarchen, die selbstsüchtigen Philanthropen, die unbarmherzigen Kriegsherren, die entrückten Masterminds des Silicon Valley,  die wüsten Ölbarone und die Finanzfürsten der Wall Street endlich in ihre Schranken weisen und zur Verantwortung ziehen. Wir dürfen träumen . . .

 
Ich wünsche Euch und Ihnen friedliche, sanfte und sanftmütige Feiertage!

 

Mother Jones Flea Market

Fotos: Szenen vom Mother Jones Flea Market in Cork; Markus Bäuchle © 2023