Sophie Murder West Cork

Sophie Toscan du Plantier (1957 – 1996)

 

Am 23. Dezember 2022 wird Sophie Toscan du Plantier 26 Jahre tot sein. Die Französin wurde am 23. Dezember 1996 auf der Einfahrt zu ihrem Ferienhaus in Dunmanus West bei Schull in West Cork brutal ermordet. Die Ermittlungen in Irland führten bis heute zu keinem Ergebnis, der Fall liegt wie ein dunkler Schatten auf der Mizen Halbinsel und auf der irischen Justiz. Verdächtigt wird seit 25 Jahren der Ex-Journalist Ian Bailey. Vor Gericht gestellt wurde der Engländer, der bis heute bei Schull lebt, in Irland nie. Im Sommer 2021 sorgten zwei neue TV-Dokumentationen über den Mord an Sophie für weltweite Aufmerksamkeit – und eine dieser Dokus führt nun auf eine neue Spur – und nach einem weiteren Jahr zur Wiederaufnahme der Ermittlungen durch die irische Polizei. Die Spur führt nach Frankreich und ist der Arbeit des bekannten Film-Regisseurs Jim Sheridan zu verdanken.

Während die dreiteilige Netflix-Serie A Murder in West Cork (seit 30. Juni 2021) mit Unterstützung von Sophies Familie gedreht wurde, musste der Fünfteiler Murder at the Cottage des irischen Regisseurs Jim Sheridan für Sky Crime (Juni 2021) ohne diesen Beistand auskommen. Sheridan ging der Frage nach dem Mörder mit weit offenem Fokus nach und stieß offensichtlich bei seinen fünf Jahre dauernden Recherchen auf neue Spuren und Hinweise, die der nachlässig ermittelnden irischen Garda entgangen waren.

Regisseur Jim Sheridan hatte bereits im Frühjahr 2021 eine Aussage bei der irischen Polizei gemacht. Die Spur führt nun zu einem Mann in Frankreich, der mit Sophies Mann Daniel in enger Verbindung gestanden sein soll. Jim Sheridan hatte während der Recherchen zu seinem Film mit der umstrittenen Zeugin Marie Farrell gesprochen. Marie hatte zur Tatzeit in Schull einen Dorfladen betrieben und sagte aus, sie habe vor ihrem Geschäft und in der Tatnacht in der Nähe des Hauses von Sophie Toscan einen Mann in einem langen schwarzen Mantel gesehen. Marie Farrell hatte zunächst angegeben, dieser Mann sei Ian Bailey. Jahre später widerrief die Zeugin mit der Behauptung, sie sei von der irischen Polizei zu der Aussage genötigt worden.

Nun will Marie Farrell auf Fotos im Internet den Mann mit dem schwarzen Mantel identifiziert haben. Sie hatte offensichtlich vor wenigen Wochen Fotos der vierten Hochzeit von Daniel Toscan du Plantier angesehen, der im Jahr 1998, 18 Monate nach Sophies Tod, wieder heiratete. Auf diesen Fotos will sie den Mann erkannt haben, den sie im Dezember 1996 vor ihrem Laden sah, als er Sophie Toscan du Plantier beim Einkaufen beobachtete. Der Mann im langen schwarzen Mantel: Ist das der Durchbruch der Ermittlungen nach 25 Jahren? Die Irish Times berichtet im Sommer 2021 von den neuen Entwicklungen:

 

Er [Jim Sheridan] kontaktierte die Gardaí über das, was Frau Farrell ihm erzählt hatte,  . . .

Frau Farrell sagte ihm, dass der Mann, den sie in der Mordnacht an der Kealfadda-Brücke – etwa 2,6 km vom Haus von Frau Toscan du Plantier entfernt – sah, einen blassen, nahöstlichen Teint hatte.

Sie sagte, der Mann, den sie am 23. Dezember 1996 gegen 3 Uhr morgens an der Brücke gesehen habe, also ungefähr zu der Zeit, als Frau Toscan du Plantier ermordet wurde, sei derselbe Mann gewesen, den sie zwei Tage zuvor vor ihrem Geschäft in der Main Street in Schull gesehen habe.

Frau Farrell sagte, der Mann schien Frau Toscan du Plantier zu beobachten, als sie gegen 15 Uhr ihr Geschäft verließ und war ihr gefolgt, obwohl es keinen Kontakt zwischen den beiden gab. Sie hat den Namen des Mannes in der Serie nicht genannt.

Die Ermittlungen laufen jetzt wieder mit Hochdruck

Mit Hilfe des Film-Regisseurs hat Marie Farrell gegenüber der Polizei eine eidesstattliche Erklärung abgegeben. Die Polizei hat darauf hin ihre Ermittlungen wieder aufgenommen, ging erneut die Passagierlisten von Flügen und Fähren im Dezember 1996 durch und bemüht sich offensichtlich um die Amtshilfe der französischen Justiz. Dafür muss sie einen Antrag bei der irischen Generalstaatsanwaltschaft stellen. Ob die Franzosen allerdings weitere Ermittlungen unterstützen, gilt als zweifelhaft. Sie haben Ian Bailey im Jahr 2019 in Abwesenheit wegen Mordes zu 25 Jahren Haft verurteilt. Die Beweislage wurde in Irland als dünn beurteilt, das Pariser Urteil als zweifelhaft.

In den vergangenen vier Wochen jedenfalls kam neue Bewegung in den Fall Sophie Toscan Du Plantier. Die Führung der irischen Polizei bestätigte im Juli 2022, dass sie wieder mit Hochdruck an dem ungelösten Mordfall arbeite. Eine Cold Case Unit arbeite den gesamten Fall und die 4000-seitige Ermittlungsakte minutiös durch, zudem würden neue forensische Methoden eingesetzt, die den Ermittlern vor 25 Jahren noch nicht zur Verfügung gestanden haben. Selbst Irlands Premierminister Micheál MArtin äußerte sich vor einigen Tagen zu dem Fall und stimmte mit der Polizeiführung überein: Es müsse jeder Stein umgedreht und alles getan werden, um den Mörder von Sophie zu finden und den Fall zu lösen.

 


Eine Bewertung der Entwicklungen im Mordfall von West Cork gibt es hier: KLICK


 

In den mehr als 25 Jahren seit dem Kapitalverbechen auf dem Mizen beherrschte ein Mann die Schlagzeilen: Ian Bailey. Der Hauptverdächtige lebte seit 1992 in der Nähe von Schull und geriet nach Weihnachten 1996 schnell in Tatverdacht. Sein Geltungsdrang, sein teilweise verstörendes Verhalten, seine Vorliebe für Drogen und seine Gewalt gegen die eigene Partnerin, vor allem aber das abgründige Taktieren der irischen Ermittler, die dringend einen Täter brauchten und Bailey in die Rolle des Hauptverdächtigen drängten: All dies sorgte für eine Polarisierung der öffentlichen Meinung, die bis heute anhält: War er es, oder war er es nicht?

Ein gerichtspsychiatrisches Gutachten bescheinigte Ian Bailey eine “auf Narzissmus, Psycho-Rigidität, Gewalttätigkeit, Impulsivität und Egozentrik aufgebaute Persönlichkeit mit einer Intoleranz gegenüber Frustrationen und einem großen Bedürfnis nach Anerkennung”. Unter der befreienden Wirkung des Alkohols neige er dazu, gewalttätig zu werden”. In einem anderen Gerichtsverfahren stellte ein Richter fest, dass “Herr Bailey ein Mann ist, der ein gewisses Maß an Berühmtheit mag, dass er es mag, im Rampenlicht zu stehen, dass er Eigenwerbung mag”. Der Engländer ließ keine Bühne aus, die man ihm bot. Er wurde zweimal verhaftet, doch in Irland niemals angeklagt. Dreimal lehnte die irische Justiz zudem einen Auslieferungsantrag Frankreichs ab. Das hinderte die Franzosen nicht, Bailey in Abwesenheit zu 25 Jahren Haft zu verurteilen. Der Schuldspruch gilt in Irland aufgrund fehlender Beweise als äußerst zweifelhaft.

Ian Bailey hat eine neue Bühne vor dem Pub in Glengarriff

Ian Bailey hatte immer schon behauptet, dass der Mörder von Sophie in Frankreich zu finden sei. Im vergangenen Jahr suchte er aktiv die Nähe der Ermittlungsbehörden und erklärte sich bereit, an der Aufklärung mitzuwirken. Dann spitzten sich die Dinge zu, die beiden weltweit ausgestrahlten Dokumentationen erhöhten den Druck auf alle Beteiligten. Im Trubel der weltweiten Aufmerksamkeit trennten sich Bailey und seine Langzeitpartnerin Jules Thomas im vergangenen Sommer. Bailey wurde obdachlos und wurde vom Cork County Council, zusammen mit anderen Wohnsitzlosen in der Ferienhaussiedlung eines Wirtes und Geschäftemachers in unserem Dorf Glengarriff untergebracht.

Der redselige Ex-Journalist, der sich nun als Dichter versteht, hatte wieder eine Bühne: Vor seinem neuen Stamm-Pub auf Glengarriffs Flaniermeile empfing er regelmäßig Journalisten und unterhielt Touristen mit ausufernden Reden und Gedichts-Rezitationen. Sein bester Begleiter war stets ein Alkoholvorrat. Über Wochen sorgte ein Treffen mit der irischen Musikerin Sinead O’Connor für Schlagzeilen, die Bailey für ihre neue Kolumne im Irish Independent in Glengarriff interviewen sollte. Das “Gespräch” der Beiden zog eine schonungslose öffentliche Schlammschlacht auf Twitter und in den irischen Medien nach sich.

Nicht allen Einheimischen in Glengarriff gefiel die Anwesenheit des großen umstrittenen Egos – und so richteten sich die Aggressionen bald nicht nur gegen Bailey sondern auch gegen seinen geschäftstüchtigen Wirt, der auf Graffities als “Freund von Mördern und Pädophilen” verunglimpft wurde. Bailey selber erhielt Morddrohungen und wurde mehrfach öffentlich als Mörder beschimpft – worauf er Anzeige bei der Polizei erstattete. In diesem Frühjahr verschwand der 65-jährige, der mit einer neuen Partnerin zusammen ist, so plötzlich wie er gekommen war aus Glengarriff. Er erholte sich, zog ein Stück weiter südlich und hält seinen neuen Wohnort nun geheim, “aus Sicherheitsgründen”, wie er sagt. Ein Termin mit der irischen Polizei ist offensichtlich vereinbart.

 

Wer war Sophie Toscan Du Plantier wirklich?

Die Fantasie des Publikums genährt haben in den 25 Jahren immer auch private Details aus dem Leben des Mordopfers: der schönen Sophie, geborene Buniol (1957 – 1996), die das einsame West Cork als Rückzugsort nutzte vom öffentlichen Gesellschaftsleben in Paris und von ihrem einflussreichen Mann, dem Filmproduzenten  Daniel Toscan du Plantier (1941 – 2003). Die zunächst als glücklich geschilderte Ehe glich zuletzt eher einer geschäftlichen Vereinbarung mit großen Freiheiten für beide Seiten. Sophie verbrachte Zeit mit einem franzözischen Geliebten im Ferienhaus in West Cork. Daniel kam selber offensichtlich nie nach West Cork und reiste auch nicht an, um die Leiche seiner Frau zu identifizieren. Daniel heiratete im Juni 1998 seine vierte Frau, Mélita Nikolic, drei Monate nach der Geburt der gemeinsamen Tochter. Daniel, der vor Sophie zehn Jahre mit der Schauspielerin Isabelle Huppert liiert war, starb im Jahr 2003 auf der Berlinale in Berlin an einem Herzinfarkt.

Sophie war in den zweieinhalb Jahrzehnten nach ihrem brutalen Tod aufgrund ihrer Erscheinung und ihres gesellschaftlichen Status das perfekte Opfer für die irischen, die französischen und zuletzt die internationalen Medien. Auch nach ihrem Tod zog sie viel Aufmerksamkeit auf sich – und blieb dabei seltsam eindimensional. Ohne Liebe zum Detail wurde sie immer wieder als Filmproduzentin, dann als Fernsehproduzentin beschrieben. Welche Filme sie gemacht hatte, blieb weitgehend unbekannt. Wer sie wirklich war, interessierte wenig. Sie dient den Medien bis heute als perfekte Projektionsfläche.

Immerhin bemühte sich die Irish Times im Jahr 1999, drei Jahre nach ihrem Tod. um ein Porträt der geheimnisvollen Französin, der eine beeindruckende Aura und Präsenz attestiert wurde. Man erfuhr darin, dass sie Dokumentarfilme für arte gemacht hatte, unter anderem über afrikanische Kunst, dass sie als Öffentlichkeitsarbeiterin für das französische Filmförderungsgremium Unifrance tätig war. Sie wurde als schwerelose Lichtgestalt beschrieben, die wie eine Alice im Wunderland durch das Leben tanze und viele Menschen, auch viele Männer, faszinierte – darunter zwei französische Präsidenten. Sie war eine mystische Erscheinung, liebte die Einsamkeit. Sie las viel, sie schrieb viel, sie machte wohl zu wenig aus all ihren Talenten. Sie hasste das Rampenlicht, und sie liebte Irland und das dunkle Geheimnis. Auf ihrem Bett fand die Polizei nach der Mordnacht einen zweisprachigen Band von William Butler Yeats, aufgeschlagen auf der Seite des Gedichts “Tod”.

 

Sophie und Daniel Toscan du Plantier

Sophie und Daniel Toscan du Plantier

 


Mehr zum Mordfall Sophie Toscan du Plantier: Klick . Die Irish Times Story über Sophie Toscan Du Plantier aus dem Jahr 1999 gibt es hier zu lesen


Fotos mit Genehmigung von Netflix.