Irlandnews Irland TV-Tipp - Sophie - A Murder in West Cork by Netflix

Sophie Toscan du Plantier (1957 – 1996)

 

Wir leben seit 21 Jahren in West Cork. Die Gesprächs-Themen kamen und gingen.  Zwei sind immer geblieben: Das Wetter und der Mord an Sophie Toscan du Plantier. Die Französin wurde am 23. Dezember 1996 auf dem Grundstück ihres Ferienhauses bei Schull brutal ermordet, ihr Gesicht zertrümmert und bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Seit 25 Jahren rätseln die Menschen in West Cork, was sich in jener Nacht zwei Tage vor Weihnachten in der Einsamkeit der Mizen Peninsula genau abgespielt hat – und nun, ein Vierteljahrhundert später, rätselt die halbe Welt mit. Die Medien-Giganten Netflix und Sky haben in den vergangenen Tagen ihre Mehrteiler gestartet, um die traurige Berühmtheit der Sophie Toscan du Plantier für die eigenen Geschäftsinteressen auszubeuten.

Tagtäglich werden hunderte Menschen auf dieser Erde umgebracht. Die allermeisten Fälle geraten nach einer kurzen Welle der medialen Erregung schnell in Vergessenheit. Warum geistert die französische TV-Produzentin, die mit einem der mächtigen Männer Frankreichs verheiratet war, in West Cork aber unter ihrem Mädchennamen Bouniol firmierte, wie eine ruhelose Untote durch das regionale und globale öffentliche Bewusstsein? Die platte Antwort ist: Weil es die meisten Menschen nicht so machen, wie mein Freund Stefan: Wenn er den Namen Sophie hört, stellt er routinemäßig ab, das Radio genauso wie seine Aufmerksamkeit.


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Mizen Head

Die Mizen Peninsula: Trouble in Paradise

 

Die meisten Menschen hier in West Cork fasziniert diese Tragödie, diese alptraumhafte Fabel aus der mondänen Welt der Reichen und Schönen, weil sie ihr schreckliches Geheimnis bis heute nicht preisgegeben hat. Es ist eine negative Faszination, eine dunkle Anziehungskraft. Seit Menschengedenken war der grausame Mord an der 39-jährigen Französin das einzige Kapitalverbrechen auf der reiz- und nachrichtenarmen Mizen-Halbinsel. Trouble in Paradise, die böse Tat im ländlichen Paradies am Atlantik, in der Idylle dieses vermeintlich unschuldigen Landstrichs, das nährt die Fantasien. Wie beim Football ist fast Jede*r ein Experte. Die meisten Menschen hier in West Cork, ob Einheimische oder Blow-ins, haben ihre ganz eigene Theorie, was wirklich war – und wer Sophie Toscan du Plantier umgebracht hat. Sophie, das ist hier mal Tages-, mal Wochen-, mal Monatsgespräch.


Die aktuellen Entwicklungen im Mordfall Sophie Toscan du Plantier im Jahr 2022 lesen Sie hier: KlicK


Seit 25 Jahren dominiert ein englischer Ex-Journalist die Schlagzeilen: Ian Bailey lebt seit 1992 in der Nähe von Schull und geriet nach Weihnachten 1996 schnell in Tatverdacht. Sein Geltungsdrang, sein teilweise verstörendes Verhalten, seine Vorliebe für Drogen und seine Gewalt gegen die eigene Partnerin, vor allem aber das abgründige Taktieren der irischen Ermittler, die dringend einen Täter brauchten und Bailey in die Rolle des Hauptverdächtigen drängten: All dies sorgte schnell für eine Polarisierung der öffentlichen Meinung, die bis heute anhält: War es es, oder war er es nicht?

Die irische Polizei nahm Ian Bailey zwei Mal fest, angeklagt wurde er in Irland nie. Die irische Justiz bewahrte den Engländer schließlich sogar vor der Auslieferung nach Frankreich, wo ihn ein Pariser Gericht trotz zweifelhafter Beweislage in Abwesenheit schuldig sprach und zu 25 Jahren Gefängnis verurteilte. Sophies Familie ruhte nicht, bis sie endlich einen “Schuldigen” hatte. Der Schuldspruch von Paris im Jahr 2019 brachte aber keine Ruhe – weder für Sophie noch für die Familie Bouniol.

 

Irlandnews Irland TV-Tipp - Sophie - A Murder in West Cork by Netflix

Sophies Cottage bei Schull

 

In West Cork, von Goleen bis Bantry, werden die Menschen durch die sture Anwesenheit Ian Baileys regelmäßig und zuverlässig an den 25 Jahre alten Fall erinnert. Ein Einheimischer verglich den inzwischen 64 Jahre alte Bailey, der die Öffentlichkeit nie gescheut hat, mit einer großen Plakatwand, an der alle vorbei gehen, um stets an die eine Sache erinnert zu werden. Die menschliche Plakatwand trägt gerne Hut und Schal und provoziert die Frage: War er es oder war er es nicht?

Die Fantasie genährt haben in den 25 Jahren natürlich auch pikante Details aus dem Leben der schönen, erfolgreichen Sophie (1957 – 1996), die das einsame West Cork als ihren Rückzugsort vom öffentlichen Gesellschaftsleben in Paris nutzte, und ihres wohlhabenden und einflussreichen Mannes, dem Filmproduzenten  Daniel Toscan du Plantier (1941 – 2003). Die zunächst als vorbildlich geschilderte Ehe glich zuletzt eher einer geschäftlichen Vereinbarung mit großen Freiheiten für beide Seiten. Sophie verbrachte Zeit mit einem franzözischen Geliebten im Ferienhaus in West Cork. Daniel feierte bald nach dem Tod seiner Frau die Ankunft seines Kindes mit einer Geliebten, die er 1998 als vierte Frau heiratete. Daniel kam selber offensichtlich nie nach West Cork und reiste auch nicht an, um die Leiche seiner Frau zu identifizieren.

 

Ein Bild aus guten Tagen: Sophie und Daniel

 

Und nun darf die halbe Welt in diesem dunklen Rätsel mit spekulieren: Während die Netflix-Serie A Murder in West Cork (seit 30. Juni 2021) mit Unterstützung der Familie Bouniol gedreht wurde, musste der Fünfteiler Murder at the Cottage des bekannten irischen Regisseurs Jim Sheridan für Sky Crime (Juni 2021) ohne diesen Beistand auskommen. Sheridan ging der Frage nach dem Mörder mit weit offenem Fokus nach und stieß offensichtlich bei seinen fünf Jahre dauernden Recherchen auf neue Spuren und Hinweise, die der mehr als schlampig ermittelnden irischen Garda entgangen waren.

Regisseur Jim Sheridan hat mittlerweile eine Aussage bei der irischen Polizei gemacht. Eine neue Spur führt offensichtlich zu einem Franzosen, der mit Sophies Mann Daniel in Verbindung gebracht wird. Auch gibt es Anhaltspunkte, dass Sophie  – entgegen bisheriger Annahmen – bei ihrem vorweihnachtlichen Aufenthalt in ihrem Cottage in Toormore nicht alleine gewesen sein könnte. Die Rede ist von einem französischen Begleiter.

 

 

Sophie Toscan du Plantier

 

Der große Auftritt von Ian Bailey darf in der Erregung dieses fast obszön anmutenden Jubiläums-Trubels nicht fehlen. “Ich kannte Sophie nicht, ich hatte keinen Sex mit ihr, ich habe sie nicht umgebracht”, tönte Bailey aus dem Irish Mirror. Er behauptete zudem öffentlichkeitswirksam, er kenne wohl den Mörder, einen Auftragskiller, und legte gezielt eine Spur nach Frankreich, auch zum 2003 in Berlin während der Berlinale verstorbenen Ehemann Sophies, Daniel Toscan du Plantier.

Es ist also angerichtet: Das Rätseln geht weiter, das dunkle Geheimnis von West Cork beschäftigt jetzt Millionen Zuschauer überall auf der Welt. Das Küstendorf Schull und Sophies Cottage in den Hügeln des Mizen werden in diesem Sommer je nach Pandemie-Lage eine mittelschwere bis unerträgliche Flut von Sensations-Touristen auszuhalten haben. Die Polizei von West Cork wird, angetrieben von einem globalen Hype, keine Sommerpause genießen. Ian Bailey muss nicht fürchten, in Vergessenheit zu geraten, und die Medien werden über einen Mangel an neuem Sensations-Stoff nicht klagen.

Nur mein Freund Stefan wird aus dem Abschalten gar nicht mehr heraus kommen.

 

Mehr zum Mordfall Sophie Toscan du Plantier: Klick

Fotos: 
1. und 3. und 4. Foto von oben mit Genehmigung von Netflix.
Fotos 2 und 5 von oben: Markus Bäuchle