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Burren Action Group


Die sieben Kämpfer der Burren Action Group (von rechts): James Howard, John O’Donohue, Lelia Doolan, PJ Curtis, Finola McNamara, Patrick McCormack und Emer Colleran . . . (Ausschnitt aus der Regionalzeitung The Clare People)

 

Teil 7 der Artikel-Serie über den irischen Philosophen, Poeten und Priester John O’Donohue (1956 – 2008) thematisiert Johns Engagement als Umwelt-Aktivist und seine Kritik an Tourismus und Touristen. 

 

Viele Jahre habe ich Menschen zu Fuß an besonders unberührte, magische und schöne Orte in Irlands Natur geführt. Das Angebot, sich an der frischen Luft, unter freiem Himmel, draußen, im Freien, intensiv mit der Landschaft, den Pflanzen und Tieren neu zu verbinden, wurde oft dankbar angenommen und ebenso oft eigenwillig interpretiert.

John O'Donohue

John O’Donohue

Der weite Ausblick auf faszinierende Landschaften provozierte schon mal den Wunsch, Besitz zu ergreifen: „Hier würde ich gerne ein Haus bauen“. Die Natur gilt als eine Ressource zum Ausbeuten, zur materiellen Umwandlung in Kapital, Profit, Status und Vergnügen. Die Landschaft wird reduziert auf  tote Materie. Sie wird wahrgenommen als Bau-Erwartungsland, als Reservoir für Immobilien, als Erholungsraum für Urlauber und Sonntagsausflügler.

Angesichts der menschlichen Expansionsdrangs wird heute selten lange diskutiert, wenn aus einem Stück verbliebener Natur ein Baugebiet werden soll. Die Erde weicht Beton, aus dem Draußen wird ein weiteres Drinnen – in das wir uns vor der Natur zurück ziehen.

 


Teil 7 der Irlandnews Serie über John O’Donohue


 

 

The Burren

Im Burren

 

Manche Menschen erfahren die Landschaft auch heute noch als lebendig, als beseelt, manche als von Göttern bewohnt. Sie können sich mit dem Mythos verbinden, der uralten Geschichte aus der Zeit, als die Menschen und die Tiere noch nicht voneinander geschieden waren (ein Gedanke von Claude Lévi-Strauss).

John O’Donohue war einer dieser Menschen. Seine tiefe Wahrnehmung der Landschaften der Seele, der lebendigen, heiligen Natur, trieb den jungen Priester anfang der 90-er Jahre in den leidenschaftlichen und mutigen Widerstand zur Verteidigung der natürlichen Welt in seiner Heimat, dem Burren.

Zehn Jahre lang kämpfte eine kleine Gruppe von Umweltschützern, angeführt vom lokalen Öko-Farmer Patrick McCormack, gegen das gesamte offizielle Irland und seine Institutionen, um ein touristisches Großprojekt im Burren zu verhindern. Die Regierung, die großen politischen Parteien, die Bauernverbände, die Kirche und selbst der mächtige Football-Verband GAA, hatten sich alle hinter dem Plan versammelt, am Mullaghmore, dem heiligen Berg im Zentrum der urzeitlichen Karstlandschaft Burren, ein millionenschweres Besucherzentrum zu bauen. Das Mullaghmore Interpretative Center sollte hunderttausende Touristen in die fast unberührte Landschaft im County Clare locken, Geld und Arbeit in die abgelegene Region bringen.

 

The Burren

Am Mullaghmore im East-Burren

 

Sieben Aktivisten bildeten den Kern der Burren Action Group: die Mikro-Biologin Emer Colleran, der lokale Farmer und Poet Patrick McCormack, die Aktivistin Finola McNamara, der Produzent PJ Curtis, die Journalistin und Produzentin Lelia Doolan, der lokale Farmer James Howard und der Priester John O’Donohue. Sie hafteten in dem langen Gerichtverfahren gegen den Ausverkauf der Burrens schließlich sogar mit ihrem eigenen Vermögen.

 

Am 30. Januar 1993 schrieb Michael Finlan in einem Porträt über den wortgewaltigen Aktivisten-Priester John O’Donohue in der Irish Times:

 

„Es war diese Leidenschaft für die Landschaft, die John O’Donohue dazu veranlasste, vor zwei Jahren Teil der Burren Action Group zu werden, als bekannt wurde, dass das Office of Public Works den Bau eines Interpretationszentrums in der Nähe von Mullaghmore plante, dem wirklich einzigartigen Berg, den einige als die Seele des Burren betrachten. Zufälligerweise vertrat er damals einen kranken Priester in Carron im Burren und war bei der ersten öffentlichen Sitzung dabei, als die Pläne bekannt wurden. Mit einiger Wut ergriff er das Mikrofon und wetterte gegen den Vorschlag, indem er ihn als “einen Akt der Blasphemie” bezeichnete.

Heute ist er Vorsitzender der Burren Action Group und erinnert sich an diesen Abend: “Eines der Dinge, die mich wirklich erschreckten und einer der Gründe, warum ich mich in der Gruppe engagierte: Ich hatte das Gefühl, dass der Westen Irlands nun zum Verkauf stand. Es könnte in einen Spielplatz für übersatte Europäer verwandelt werden. Sie würden am Freitagabend aus Deutschland oder sonstwoher einfliegen und am Montagmorgen wieder in ihren Büros sein. Wenn sich diese Art von Tourismus entwickelt, werden die Einheimischen ihre Selbstachtung einbüßen. Wir werden alle zu Objekten. Die Touristen werden uns anschauen und sagen: “Seht her, einige dieser Art sind noch nicht ausgerottet.”

 

Nach zehnjährigem, aussichtslos erscheinendem Kampf, errangen die mutigen Sieben von Mullaghmore im Frühjahr 2000 einen der größten Siege der irischen Umweltbewegung aller Zeiten. Sie hatten es geschafft, die öffentliche Meinung zu drehen. Das höchste irische Gericht verdonnerte den Projektbetreiber, das regierungseigene Office of Public Works (OPW), eine Baugenehmigung zu beantragen. Danach wurde das gesamte Vorhaben zu Fall gebracht, alle Spuren der eigenmächtig begonnenen Bauarbeiten mussten komplett beseitigt werden.

 

Patrick McCormack

Patrick McCormack, Farmer, Poet und Umweltschützer in seinem Heim im Ost-Burren.

 

Ich habe Patrick McCormack in seinem Haus am Fuß des Mullaghmore besucht. Der Fels-Landschaft im Ost-Burren blieb das große Touristen-Zentrum erspart. Der Öko-Färmer und seine Frau Cheryl sind Eigentümer des Hauses, das als Father Ted´s House in der populären Sitcom Father Ted in den 90er Jahren Berühmtheit erlangte. Sie zogen viel Aufmerksamkeit und auch eine Menge Touristen in die Gegend. Heute leiden die McCormacks unter der touristischen Dauerbelagerung vor ihrer Einfahrt. Sie wünschen sich Ruhe, mehr Abstand und Respekt.

Am Gate von Father Ted´s House

Schaulustige belagern die Einfahrt der McCormacks

Die Familie hat die Zurückgezogenheit der Pandemie zum Überdenken, zum Infragestellen und zur Neuausrichtung genutzt. Patrick sagt heute: „Es begann sehr unschuldig und es ging dann zu weit. Es ist schwer, die Balance zu wahren. Wir gehen es an. Jesus sagte: Heile Dich selbst.“ Die McCormacks sehen ihre Zukunft ganz in der Bio-Landwirtschaft.

Warum geschah “das Wunder von Mullaghmore” vor 20 Jahren, frage ich Patrick. Aus der Distanz von zwei Jahrzehnten führt der Freidenker den Erfolg vor allem auf zwei Ursachen zurück. Die eher kryptisch formulierte: „Ein paar gute Männer gingen auf die andere Seite“. Und: Zwei maßgebliche Männer waren damals im richtigen Alter für eine unpopuläre Entscheidung und am richtigen Ort:  Der Priester John O’Donohue und Richter Costello. Das ist Patrick McCormacks Bescheidenheit. Kein Wort über die eigene Rolle.

 

Mullaghmore: Tribut des Respekts an die Schönheit

Auch wenn die Burren-Natur heute mehr leidet, als man auf den ersten Blick sieht – sie ist massiv überdüngt, mit Herbiziden und Pestiziden belastet, die einst fischreichen Seen sind fast leer – und auch wenn der Kampf die Menschen in der Region polarisiert und entzweit hat: Patrick McCormack erinnert sich mit gutem Gefühl an die Arbeit der Burren Action Group: „Es war, wie Robert Frost gesagt hätte, ein brachialer Tribut des Respekts an die Schönheit“.

Mullaghmore war auch ein großer Sieg für John O’Donohue, der als Vorsitzender der Action Group den Konflikt maßgeblich vor Irlands höchstes Gericht, den Supreme Court steuerte. John pflegte – eine Erfahrung, die mir selber nie fremd war  – eine zwiespältige Einstellung zum Tourismus. Er brachte selber Reisegruppen ins Land, um sie zu alten Energie-Orten der keltischen und christlichen Kultur, zu heiligen Quellen und an gewaltige Steilküsten im County Clare zu führen. Dabei plädierte er zumindest für das rechte Maß und distanzierte sich entschieden vom zerstörerischen Massentourismus.

Sein Freund Patrick McCormack führte Johns Gruppen viele Jahre in die Kalksteinlandschaften des Mullaghmore. Man ging achtsam, behutsam und still. Trotzdem kommt Patrick McCormack heute zum Schluss: „Die Touristenströme der verlorenen Seelen zerstören diese schönen, einzigartigen Orte. Ich musste sogar feststellen, dass Gruppen, die wir zu den heiligen Orten brachten, diese Orte empfindlich gestört haben. Wir müssen also sehr vorsichtig sein.“

 

John O'Donohue

John O’Donohue im Jahr 1997 in seiner Heimat im Burren (© Hessischer Rundfunk – www.hr.de)

 

John O’Donohues kritischer Blick auf Touristen und Tourismus floß in seine Essays und seine Lyrik ein. Im Gedicht „Vor einem Cottage“ aus dem Buch Connemara Blues (dtv 2001, Seite 145) beschreibt er fotografierende Touristen, die vom Bus vor einem alten Cottage abgesetzt werden, um sich Bild-Trophäen von der Ruine zu sichern, die sie dann als stolze Beute mit in ihre Heimat zurück nehmen. In dem Gedicht spricht O’Donohue den Souvenir-Jägern rundweg die Fähigkeit ab, die Wirklichkeit dieses Ortes zu spüren, zu begreifen und in seiner Tiefe zu verstehen, oder die fortdauernde Anwesenheit derer wahr zu nehmen, die in einer vor-touristischen Zeit dort gelebt und gearbeitet haben.

Heute, 20 Jahre später, sind wir einen Schritt weiter – wenn nicht drei oder vier, in der falschen Richtung wohl. Der Kampf, einen lebendigen, beseelten Naturraum zu schützen und vor der unbegrenzten menschlichen Ausbeutung zu retten, kann nicht mehr mit gefühligen Argumenten geführt werden. Harte „wissenschaftlich fundierte“ Argumente über die Einhaltung von EU-Umweltstandards und irisches Umweltrecht zählen zu den bevorzugten Waffen. Die Erfolgsaussichten für die Schützer und Bewahrer sind trotzdem vergleichsweise klein geblieben.

 


 

Die Irlandnews-Serie

John O’Donohue im Jahr 1999. Foto: dtv; privat

John O’Donohue (1956 – 2008), wuchs auf einer Farm in einem Kalksteintal im Burren, County Clare, auf. Als ältester von vier Geschwistern wurde er Priester, später Schriftsteller, Philosoph und Dichter, Umweltaktivist, Lebenslehrer, Redner, Mystiker und Humanist. Mit Anam Cara, Die vier Elemente (erschienen und erhältlich in deutscher Sprache bei dtv), Eternal Echoes und Divine Beauty schrieb er Welt-Bestseller. Er  liebte die menschliche Existenz in all ihren Facetten. Sein großes Thema war, das Leben in ganzer Fülle ohne Angst zu leben. Als maximale Verfehlung des Menschseins galt ihm das ungelebte Leben. In Büchern und Vorträgen ermutigte John dazu, mutig das Leben zu leben, das man sich wünscht und das man lieben würde. Es sei wichtig, seine Träume nicht nur zu träumen sondern auch zu verwirklichen und so seine Bestimmung zu finden – frei von Angst und aus vollem Herzen.

O’Donohue war ein freier Geist, der keltische und christliche Spiritualität, die Mystik Eckharts und die Philosophie Hegels zusammen dachte. Er sah uns Lebende an der Küste des großen Meeres des Unsichtbaren wandeln, die Vorstellungskraft schuf ihm die Brücken aus der sichtbaren in die unsichtbare Welt. Er verstand das tiefe Verlangen der Menschen nach Zugehörigkeit in einer zunehmend sinnentleerten materiellen Welt und war überzeugt, dass der Mensch die Angst vor dem Tod überwinden kann – weil er ein Fortschritt sei, und nicht ein Ende. Auf seinem Grabstein steht: „Their lives have changed not ended.“

Ich denke oft an diesen Menschen, der mich viel gelehrt hat über das Leben, die Seele, die keltische Spiritualität, die Natur. Ich habe ihn nie kennen gelernt, ich las seine Bücher. Wie oft hörte ich seine Worte über die beseelte Landschaft, wenn ich durch das Moor ging, fühlte seine Weisheit, wenn ich durch die Berge zog, verstand seine tiefe Einheit mit der Natur, wenn ich am Meer stand und nach Westen schaute. Am 1. Januar 2021 wäre John O’Donohue 65 Jahre alt geworden. Wäre er nicht vor 13 Jahren völlig überraschend gestorben. Ich hätte ihn gerne gekannt. Im November 2018 habe ich mich auf Spurensuche begeben. Sie begann durch einen Zufall am Grab von John O’Donohue in Fanore im County Clare. Im Jahr 2021 berichte ich hier auf Irlandnews über Ergebnisse dieser Spurensuche.

 


 

Das unangemessenste Tourismus-Projekt seit Mullaghmore

Das “unangemessenste touristische Großprojekt seit Mullaghmore” , so die Einschätzung von Irlands wichtigstem Umwelt-Aktivisten, Tony Lowes, wird seit drei Jahren in West Cork, an der Spitze der Beara Peninsula vorbereitet: Die vorgelagerte Atlantik-Insel Dursey Island soll mit einer neuen leistungsfähigen Seilbahn mit dem Festland verbunden, die Beförderungskapazität der bislang eher skurrilen Touristen-Attraktion mehr als verzehnfacht werden.

Mindestens 80.000 Menschen sollen Dursey Island dann pro Jahr besuchen und dafür die Beara Peninsula in ganzer Länge durchfahren. Auf dem Festland am Sound soll ein großes Besucherzentrum mit Restaurant, Sonnenterasse und Souvenir-Shop entstehen, ein großer Parkplatz soll 100 Autos und mehrere Touristen-Busse aufnehmen können. Das enge Sträßchen hinaus zum Dursey Sound soll verbreitert werden, ein elektronisches Verkehrsleitsystem soll den Zugang zur Beara Peninsula schon in Glengarriff koordinieren.

Rummelplatz Dursey Sound: Was aussieht wie der touristische Ausverkauf der schönsten Halbinsel im Südwesten, wird in der Öffentlichkeit breit beklatscht und laut herbeigerufen.

Viele Bewohner und Firmen von Bantry bis zum Dursey Sound hoffen, vom touristischen Super-Kuchen ein profitables Stück abzubekommen. Von Widerstand bislang kaum eine Spur. Die poetisch-mächtige Stimme eines John O’Donohue fehlt in West Cork, fehlt lange schon in ganz Irland. Nur ein paar Umwelt-Aktivisten von den Friends of the Irish Environment, von An Taisce und Birdwatch Ireland sind gewillt, den Kampf für die natürliche Welt, für die letzten Alpenkrähen (Choughs) von Irland und gegen die Ausbeutung Dursey Islands aufzunehmen.

Wunder gibt es immer wieder . . .

 

Dursey Island

Die Seilbahn am Dursey Sound nach Dursey Island. Die Zeichen stehen auf Ausverkauf.

 



 

Anmerkungen und Foto-Credits

  • Fotos: Markus Bäuchle, mit Ausnahme von:
  • Porträt John O’Donohue (2. Foto v. oben): Hans-Ruedi Hebeisen
  • Schwarz-Weiß-Porträt John O’Donohue: dtv.
  • Die Aufnahme von John O’Donohue im Burren aus dem Jahr 1997 stammt aus dem Dokumentarfilm des Hessischen Rundfunks Irlands einsamer Westen – Eine Reise durch Connemara mit dem Priester und Poeten John O’Donohue aus dem Jahr 1997. Der knapp einstündige Film von Meinhard Schmidt-Degenhard ist ein einzigartiges Dokument. Es stellt John O’Donohue in seiner Heimat Clare und seiner Wahlheimat Connemara vor. O’Donohue spricht über sein Schreiben, sein Fühlen und Denken sowie sein Verhältnis zur Kirche in bestem Deutsch, kurz bevor er berühmt wird. Meinhard Schmidt-Degenhard sprach mit John O’Donohue nach der Entfremdung von der Katholischen Kirche und wenige Monate vor Erscheinen seines Bestsellers Anam Cara. Ein Dank an den Hessischen Rundfunk (hr) für die Screenshots aus dem Film. (© Hessischer Rundfunk – www.hr.de )
  • Der Zeitungsausschnitt stammt aus der Zeitung The Clare People. Die Seite hängt als gerahmtes Bild im Haus der McCormacks.
  • Ein einfühlsames Film-Porträt des Burren, des Burren-Farmers Patrick McCormack und des Kampfes gegen den Massen-Tourismus im Burren hat die Regisseurin Katrina Costello mit The Silver Branch gedreht. Details hier.

 

Fortsetzung folgt

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