Vor kurzem berichtete die Nachrichten-Website The Journal über einen interessanten Einzelfall auf dem irischen Arbeitsmarkt. Irland Blog-Autorin Nicola nahm die viel diskutierte Story aus Dingle zum Anlass, sich Irlands Arbeitsmarkt einmal genauer anzuschauen.  Bringt der Fall eines Restaurantbesitzers, der erfolglos einen Koch sucht, Licht in eine verfahrene Situation?

Auslöser des Artikels ist  Sean Roche, seines Zeichens Besitzer des renommierten “Doyle’s Seafood Restaurant” in Dingle Town,Co. Kerry, der vierzehn Tage lang vergeblich auf eine Bewerbung auf die von ihm angebotene Stelle eines Chef de Partie gewartet hatte. (Für alle Nicht-Gastronomen: Ein “Chef de Partie” ist eine Köchin/ein Koch, die/der einen Teilbereich in der Küche leitet.) Dann twitterte er völlig entnervt: “Guten Morgen, suche immer noch einen Chef de Partie, seit zwei Wochen keine Bewerbung, es ist lächerlich.”

Daraufhin bekam er zwar zwei SMS, aber mehr auch nicht. “Ich habe auch in einer Lokalzeitung inseriert, und ein paar Leute aus der Branche haben zurück getwittert, aber kein Erfolg. Dabei ist das ein fester, gutbezahlter Job für sechs Monate mit Fünf-Tage-Woche. Ehrlich gesagt, bin ich nicht überrascht – der Chefkoch ist seit drei Jahren bei mir, aber seit zwei Jahren habe ich Probleme damit, den Chef-de-Partie-Job zu besetzen.” sagte er frustriert dem “Journal”.

Nicht einmal die Aussicht auf einen Sommer auf der idyllischen Dingle-Halbinsel und im Herzen eines lebhaften Touristenstädtchens lockte Bewerber. “Der Löwenanteil an Beschäftigten in der Gastronomie hier besteht aus Tschechen, Litauern und Esten, aber die werden demnächst alle nach London gehen, wenn sich dort die Olympischen Spiele nähern.  Wir sind nicht die einzigen, die zu kämpfen haben. Das Cliff House Hotel in Waterford hat einen Michelin-Stern und sie hatten die gleichen Probleme, obwohl dort die Leute eigentlich Schlange stehen sollten. Ebenso “The Tannery” in Dungarvan.”

Paul Flynn, Besitzer und Küchenchef des berühmten “Tannery”, hat in den vergangenen Wochen ebenfalls per Twitter einen Chef de Partie gesucht. “Suche dringend einen engagierten, erfahrenen Chef de Partie. Ist da irgendwo einer?”

Als junger Koch hatte Sean Roche seinen Lebenslauf noch an alle Top-Restaurants des Landes geschickt, um möglichst viele Erfahrungen zu sammeln. “Heute kommt es mir vor, als wenn alle, die etwas auf dem Kasten haben, direkt nach Australien oder sonst wohin ins Ausland gehen. Es besteht hier ein echter Mangel.” Aber dieser besteht nicht nur im ländlichen Irland, sondern laut Irish Times auch in Dublin: Das berühmte “Shelbourne”, “Shanahan’s on the Green” und das “Bon Appetit” in Malahide – alle suchen Mitarbeiter. Beim irischen Restaurantverband RAI steht es ganz oben auf der Prioritätenliste, mehr ausgebildete Fachkräfte in die Küchen zu bekommen und eine Ausbildung für Arbeitslose anzubieten, um diejenigen Restaurants, die die Rezession überleben, auch mit genügend Personal auszustatten.

Unter den Leserinnen und Lesern von TheJournal.ie entbrannte daraufhin eine heiße Diskussion.

Die erste Meinung war, dass es sich nun räche, dass in der Gastronomie in den vergangenen Jahren hauptsächlich ausländische Mitarbeiter eingestellt wurden. Denen machte es wenig aus, an fünf Abenden in der Woche und an den meisten Wochenenden zu arbeiten. “Das muss sich ändern, wenn wir junge Leute in die Branche holen wollen.” Für irische Köche sei das nicht mehr attraktiv, wo in anderen Ländern auf einen oder zwei (branchenüblich sehr lange) Arbeitstage meistens zwei freie Tage folgen, damit die “Chefs” auch so etwas wie eine Lebensqualität haben.

Jemand anderes regte sich auf, dass es eben immer etwas zu mäkeln gäbe. Auf der einen Seite die beklagte Arbeitslosigkeit, auf der anderen Seite immer noch diese versnobten Einstellungen. Immer seien die Ausländer Schuld: erst hätten sie den Iren die Arbeitsplätte weggenommen, nun seien sie fort, hätten aber den Arbeitsmarkt verdorben. Es sei scheinheilig, direkt ein Sperrfeuer an Ausreden loszulassen, ohne überhaupt die Einzelheiten des Jobangebotes zu kennen.

Dagegen wurde argumentiert, dass im Gegensatz zu Küchenpersonal die Krankhaus- und Wachdienstangestellten zwar auch an Wochenenden arbeiteten, aber nicht durchgehend und Jahr um Jahr. Es gäbe keine “Chefs”, die arbeitslos zu Hause säßen, obwohl es ein so harter Job sei. Aber: “Würdest du für einen Sechs-Monats-Job nach Dingle gehen?”

Bei 450.000 Arbeitslosen sollten viel mehr Menschen einfach diese Chance ergreifen, wird von einem Mann entgegnet, der selbst Arbeitgeber ist. Die meisten Berufstätigen hätten nun mal eine Fünf-Tage-Woche, und die Köche wussten doch über die Arbeitszeiten in der Branche Bescheid, bevor sie sich für diese Ausbildung entschieden. “Ich würde lieber Toiletten putzen … als arbeitslos zu sein.” Auf dem gegenwärtigen Arbeitsmarkt müsse man nehmen, was es gibt, da würde einem nichts hinterher geworfen.

Jemand anderes kritisiert, dass dieser Job auch nicht gerade gut inseriert worden sei. Nicht jeder habe Twitter, und in einer Lokalzeitung zu inserieren würde nicht gerade die Zielgruppe treffen; auf jobs.ie wäre die Resonanz vielleicht besser gewesen, oder wenn man direkt bei den Gastronomie-Fachschulen nachfragt hätte. Vielleicht könnte der Job ein bisschen attraktiver gestaltet werden – auch “Chefs” wünschten sich eine gute Work-Life-Balance, dieses Wissen werde in der Gastronomie aber noch nicht besonders gut umgesetzt.

Daraufhin meldete sich jemand zu Wort mit der Meinung, dass unter den mehrheitlich ausländischen Gastronomie-Kräften unglücklicherweise oft eine derart schlechte Team-Stimmung herrsche, dass Einheimische nicht gern mit ihnen arbeiten würden. “Man möchte sich mit seinen Kollegen doch wohl fühlen.”

Mittlerweile war bekannt geworden, dass der Stundenlohn bei Roche 10 Euro beträgt, was eine Gehalts-Kontroverse nach sich zog: einerseits, dass dieser schlechte Lohn ja wohl genug Grund dafür sei, dass keiner sich beworben hatte, und andererseits, dass es aber doch immerhin eine Stelle sei, die über dem Mindestlohn bezahlt werde, und immer noch besser sei als zu Hause auf dem Sofa zu sitzen und zu jammern. 10 Euro seien so schlecht nicht, besser als gar nichts, und würden “Chefs” nicht sowieso über 100 Wochenstunden arbeiten? (Da war wohl ein kleiner Rechenfehler drin, bezogen auf die Fünf-Tage-Woche…)

“Was passiert denn nach Ablauf der sechs Monate?”, warf eine weitere Stimme ein. Man müsse dann ja erst mal weitere sechs Monate warten, bevor man wieder Stütze bekäme.

Der letzte Beitrag erfolgte durch einer Unternehmerin aus dem Computerbereich, die seit Januar Programmierer suchte und von drei Stellen nur eine besetzen konnte. Daraufhin habe sie die Arbeit dann nach Osteuropa outgesourct. Dass es keine Stellen gäbe, sei ein Märchen, in das sich die Leute hineingesteigert hätten, meint sie. “Sie machen es sich gern einfach, und sie wären wahrscheinlich sowieso nach Australien gegangen, aus Spaß und wegen der Erfahrungen.”

Als Leserin aus der Distanz frage ich mich, wer wohl recht hat? Wahrscheinlich alle ein bisschen, und es wird auch branchenweise Unterschiede geben. Auch scheinen mehrere Wahrnehmungs-Welten parallel zu existieren. Es gibt auf dem Arbeitsmarkt keine einfache Lösung; vielleicht gibt es sogar erst mal gar keine Lösung. Jede/r, egal ob Arbeitnehmer/in oder Arbeitgeber/in, muss für sich selbst den Weg finden, und die Lösung zeigt sich dann vielleicht erst im Nachhinein.

Foto: www.rai.ie