Carsten Krieger

Tolkiens Wald: Eine irische Zauberlandschaft, fotografiert von Carsten Krieger

 

Licht, Farbe und Form in der Landschaft
von Carsten Krieger

 

Eine Buch-Rezension von Eliane Zimmermann

 

In Zeiten von eingeschränkter Freiheit, zunehmendem Fernweh und Sehnsucht nach den inspirierenden Landschaften Irlands kommt dieses Werk über Natur- und Landschaftsfotografie gerade richtig. Der Autor, Fotograf Carsten Krieger, betont noch vor dem Inhaltsverzeichnis, dass es sich nicht um ein “Lehrbuch im herkömmlichen Sinne handelt”. Vielmehr möchte er seine Leserinnen und Leser dazu einladen, mit ihm auf Zeitreise durch seine zwei Jahrzehnte der Landschaftsfotografie zu gehen. Von seinen Erfolgen zu lesen und auch von seinen Fehlern zu lernen.

Für Carsten – Sohn eines Fototechnikers – war der Umgang mit einer Spiegelreflexkamera bereits als kleiner Junge vertraut. Er war als „knipsender Hoffotograf“ bei Familienfesten ein gewohnter Anblick. Die Inspiration durch den Großvater mütterlicherseits, dieser war Landschaftsmaler, sorgte für die passende Ergänzung so dass sein Weg fast vorbestimmt wurde. Die kleine Sucher-Öffnung, so beschreibt er es selbst, wurde damals zum Fenster in eine andere Welt. Er „fotografierte“ sogar ohne die für einen Schüler teuren Filme. Lernen, genau hinzusehen, den Blick für das Wesentliche zu schärfen, ästhetische Bildkompositionen zu schaffen – so sieht Carsten rückblickend seine wichtigste Lernphase.

 

Carsten Krieger

Estuary Dawn, Kilbaha Bay Co Clare: Küstenlandschaft im Dezember, vor Carstens Haustür

 

Dass er im Jahr 2002 nach Irland zog, klingt nach einzig logischer Konsequenz dieses Weges. Wo, keine zwei Stunden seiner fränkischen Heimat entfernt, finden sich so atemberaubende Landschaften wie rund um Kilbaha auf dem Loop Head im Westen des County Clare, fast in Fußnähe des Burren und mit Blick auf die endlosen Weiten des Atlantik. Carsten veröffentlichte inzwischen 13 Bücher (die Co-Produktionen nicht mitgezählt), was ihn zu einem der meist publizierten Fotografen in Irland macht.

Das Inhaltsverzeichnis dieses Bildbandes macht Appetit auf sechs große Kapitel, diese stellen jeweils ein Thema vor, immer gefolgt von einer Galerie aus 15 oder ein paar mehr Fotos, die den theoretischen Teil untermalen. Im Vorwort sowie im ersten Kapitel erfahren wir vorab Grundsätzliches über die Entstehung der Fotografie (Lochkamera im Jahr 1826) und insbesondere der Landschaftsfotografie. Auf neun Seiten gibt Carsten uns Tipps zur Ausrüstung, insbesondere Objektive und Filter werden in Kürze angesprochen und wie der „Weg im Kopf“, also die „Jagd“ nach Motiven, zu hervorragenden Bildern führen kann. Denn mit dem Drücken des Auslösers ist es nun mal nicht getan.

 

Die fünf Haupt-Themen:
Grenzgebiete: Langzeitbelichtung
Im Labyrinth: Bildkomposition
Kleine Landschaften: Schärfentiefe
Farben und Formen: Makrofotografie
Farblose Landschaften: Schwarzweiß-Fotografie

 

Am liebsten würde ich zum Ende des Buches hüpfen, denn ich fühle mich immer sehr zur Schwarzweiß-Fotografie hingezogen. Zudem blättere ich neue Bücher fast immer von hinten durch. Doch jetzt mal ausnahmsweise von vorne.

Carstens Fotobeispiele im Kapitel „Grenzgebiete“ zeigen fast alle Wasser in vielen Farben und Formen. Es zischt, sprudelt, spritzt, fließt, friert, reflektiert und plätschert auf unverkennbar irische Weise vor sich hin. Jedes Motiv ist ausführlich erklärt – das zieht sich durch alle Fotos im Buch, wir werden auf die Reise mitgenommen zu jedem der Orte, die Carsten so kunstvoll eingefangen hat. Die Fahrt führt uns durch die ganze Grüne Insel. Neben Ort, Datum, Uhrzeit sowie technischen Daten plaudert er auch sehr persönlich „aus dem Nähkästchen“. 

Besonders gut gefällt mir, wie er bei fast jedem Foto seine kleinen Pannen oder verpatzten Gelegenheiten erläutert – oder selbstkritisch beschreibt, was er im Nachhinein anders machen würde. Oft spielte das Licht nicht so mit, wie geplant oder durch den Wetterbericht erhofft. Er kam zu früh oder zu spät, irgendwo war zu viel oder zu wenig Laub, auf einem Foto stört der kleine Trampelpfad am Rand des Bildes, ein anderes wurde durch ständige Regenschauer zur Geduldsprobe. Wie jeder Künstler leidet er auch schon mal an „fotografischer Ladehemmung“, auch diese weiß er zu thematisieren.

 

Carsten Krieger

Fair Head, County Antrim

 

Carsten liebt die Natur, engagiert sich für etliche Naturschutzprojekte

Sein zwiespältiger Umgang mit der Fotodrohne wird thematisiert, doch mit dieser hat er durchaus faszinierende Motive eingefangen. Carsten liebt die Natur, engagiert sich für etliche Naturschutzprojekte und erwähnt darum auch bei manchen Motiven, wie herausfordernd es sein kann, die Magie eines Ortes einzufangen, ohne zerstörende Spuren zu hinterlassen. Er vermeidet es, die in Irland so häufigen, bezaubernden Moosteppiche zu zertrampeln und er sieht auch zu, dass er die Bewohner von fast kunstvoll „arrangierten“ Totholz-Stapeln nicht aufschreckt.

Mit dem nächsten Kapitel tauchen wir ins endlose Grün der Insel ein, sehen Bäume, Moos, Farne, Lichtungen, Wiesen, Wälder, Efeu- und Bärlauchteppiche, Wälder im Sommer und auch im Herbstkleid. Da ich Carsten mehrfach erleben durfte – er war der unterrichtende Wanderführer unserer Fotowander-Reisen, weiß ich um seine erste große Inspiration. Denn einer der Hauptgründe, warum er überhaupt zum ersten Mal auf die Grüne Insel reiste war JRR Tolkien. ln einer der Biografien der berühmten Fantasy-Autors las Carsten, dass Irland einen großen Einfluss bei der Erschaffung von Mittelerde spielte. Die erste Reise wurde also zur Liebe auf den ersten Blick, er fühlte sich in Irland sehr schnell weitaus mehr Zuhause als in Deutschland. So einen perfekten Tolkien-Wald zeigt er uns auf Seite 72, ich möchte am liebsten eintauchen und den Gnomen beim Flüstern lauschen.

Im Kapitel „Kleine Landschaften“ reisen wir weiter durchs Land, unser Auge wird auf viele Details wie Steinoberflächen und rostendes Metall, die wunderschönen irischen „Gute-Luft-Anzeiger“ Flechten und das so typische „Meeresgemüse“, den Seetang gelenkt. Von meiner fast 21-jährigen Erfahrung in meiner irischen Wahlheimat kann ich fast behaupten, mancher Ire würde diese ästhetischen Winzigkeiten gar nicht wirklich sehen, sich womöglich schulterzuckend anwenden und sich denken: „Diese Deutschen mit ihrer Detail-Versessenheit…“ („Those fussy Germans“, bekam ich auch schon zu hören!) 

Das geschulte Auge des Fotografen sieht jedoch nicht nur die Schönheit im Detail, sondern macht auch vor der täglich und überall sichtbaren Achtlosigkeit nicht Halt. So zeigt das Foto „Sign of the times“ einen noch eher harmlosen Anblick eines plastik-vermüllten Stückchens Küste, so wie auch ich es als Meeresnachbarin regelmäßig mit anschauen muss.

 

Carsten Krieger

Am Atlantik: Welle im Goldenen Schnitt

 

Im nächsten Kapitel kommt die Makrolinse zum Einsatz, wir schauen ins Innere der so hübschen irischen Orchideen, mit Frost gezuckertes Laub, Schnecken und Muscheln, den so leckeren Meerfenchel. Das ästhetische Mandala des Inneren eines Gänseblümchens hat bislang vermutlich noch kaum jemand so genau eingefangen. Bei Krebs, Frosch und tango-tanzenden Seesternen ist es besonders spannend zu lesen, wie diese gar nicht einfach einzufangenden Motive entstanden sind. An einigen Stellen amüsiert mich die Detailversessenheit von Carsten wirklich sehr. Da sieht er aus dem Augenwinkel eine eher winzige gelbe Blume an eine grauen Felsspalte – ein seltenes Enziangewächs im Burren, macht einen Sprung, um sie nicht zu zertreten und „komponiert schnell“ ein Foto aus dieser Begegnung. Freilich im Goldenen Schnitt! Selbst nach 20 Jahren, schreibt er zufrieden, selbst nach 20 Jahren würde er an diesem Bild nichts ändern, es sei eines seiner wenigen Motive, die er als perfekt bezeichnen würde.

Und nun bin ich am letzten, am Schwarz-Weiß-Kapitel angekommen, bei einer typisch gespenstisch anmutenden Ruine eines Herrschaftshauses, kargen Bäumen, rauen Berghängen, die im irischen Wechsellicht oft ohnehin mehr schwarzweiß anzusehen sind, also auch auf meinen laienhaften Farbaufnahmen. Strukturen von Wolken und immer wieder die faszinierenden Naturkunstwerke, die vom Wasser in, auf und rund um die Grüne Insel geschaffen werden. Damit schließt sich der Kreis dieser großen Rundreise durch Irland, geführt, kommentiert, erklärt von einem intimen Kenner der großen Landschaften und der allerkleinsten Details. Vermutlich detaillierter, als sie viele Einheimische dieses schönen Plätzchens Erde je zeigen könnten. 

 

Fotobuch

Fotograf Carsten Krieger: Warten auf das perfekte Licht

 

Die tausende von Kilometer, die Carsten für dieses Buch (und seine anderen Bücher) abgefahren ist, die ungezählten Stunden, die der Perfektionist auf den optimalen Lichtmoment hinter seinem Stativ lauerte, die Windböen, die Schauer, die Müdigkeit – all das lässt sich ahnen in diesem sehr persönlichen Werk, das uns gleichzeitig in Geheimnisse und Tricks der stimmungsvollen Fotografie einweiht.

 

Fazit: Ein ungewöhnliches Buch, das gleichermaßen viel Technik-Erklärung bietet wie auch Unterhaltung und dabei auch noch ein Stückchen Insel-Fernweh stillt. Als Grafikerin und dennoch ungeduldige Knipserin bin ich freilich mehr von den recht persönlichen Geschichten rund um die vielen Fotos fasziniert. Carsten ist es gelungen, mich zu fesseln und zu inspirieren.

 

Licht, Farbe und Form in der Landschaft.
Bildgestaltung in der Landschaftsfotografie

von Carsten Krieger
dpunkt.verlag Heidelberg, Dezember 2020
216 Seiten, Hardcover, € 29,90

Das Buch gibt es online hier beim fairen Buchhandel Buch 7 oder beim lokalen Buchhändler.

 

 

 

Kunstdrucke vieler Motive im Buch gibt es in drei unterschiedlichen Größen in Carstens Shop: https://www.irelandsnaturestories.com/shop . Auf seinem (englischsprachigen) Blog kann auch ein bisschen die Sehnsucht & Reiselust erfüllt werden.
Kontakt: www.carstenkrieger.photography     Email: carstenkrieger@hotmail.com