Im Gespräch: Seit einem Jahr macht uns Ellen Dunne hier jeden Monat ein lesenswertes Buch aus Irland schmackhaft. Zeit also, die Literatur-Vorkosterin von Irlandnews selbst einmal vorzustellen, denn Ellen bespricht nicht nur Bücher, sie schreibt selber welche. Ihre Krimis der Patsy-Logan-Reihe sind Highlights des Genres. Gerade hat die südlich von Dublin lebende Autorin ihren fünften Roman veröffentlicht.

“Boom Town Blues” ist ein spannender Krimi, der im kriselnden Dublin der Gegenwart spielt. Die Ermittlerin Patsy Logan muss wider Willen wieder ran.  (Eine Besprechung von Boom Town Blues gibt es demnächst hier auf Irlandnews). Hier unser Gespräch mit Ellen Dunne:

Hallo Ellen, Du kommst aus Österreich und warst eine Expertin für Werbung und Online-Marketing. Heute lebst Du in Irland und bist Roman-Autorin. Wie geht so was?

Das Schreiben war eigentlich immer der rote Faden in meinem Leben, aber so richtig geplant war das nicht. Als Werbetexterin arbeite ich schon seit Ende der 90er Jahre und auch jetzt texte und übersetze ich noch Deutsch/Englisch. Mein Umzug nach Irland war dann eher ein Schritt um „auszubrechen“ und ein Abenteuer zu wagen. Damals war ich 26, hatte schon 7 Jahre in Werbeagenturen gearbeitet, nebenberuflich studiert und das Gefühl: das kanns doch nicht gewesen sein! Mein damaliger Freund (und jetzt Mann) wollte ebenfalls ins Ausland, und der keltische Tiger war damals (2004) am Höhepunkt. 2010 und 2011 waren dann Wanderjahre zwischen Berlin und München, in denen ich meinen Job bei Google gekündigt und mich als Texterin, Übersetzerin und Autorin selbstständig gemacht habe. Damals erschien auch mein erster Roman. Ende 2011 haben wir uns dann wirklich „ernsthafter“ in Irland niedergelassen.

Ellen Dunne

Ellen Dunne

Hast Du Irland nach Deinen Wanderjahren ausgesucht, oder war früh schon klar, dass Du hier leben willst?

Für mich war Irland immer ein Sehnsuchtsland, da hatte ich noch jahrelang keinen Fuß auf die Insel gesetzt. Mein Mann hatte gerade in den ersten Jahren etwas mehr Probleme mit dem „Irish way of life“ als ich und wir sind dann, wie es oft so ist, seiner Karriere gefolgt. Es war bei unserem Umzug nach Berlin 2010 eigentlich auch nicht geplant, noch einmal nach Dublin zurückzukehren. Mir fiel der Abschied unglaublich schwer, aber Berlin war toll. Dass ich 2011 wieder auf die Insel zurückkommen würde, damit habe ich nicht mehr gerechnet. Aber Irland ist wohl mein Schicksal.


Du kamst 2004 nach Irland, lebst seitdem bei Dublin. Was zog Dich hierher auf die Insel?

Einerseits hat mich mein Interesse am Nordirlandkonflikt geleitet, und das Manuskript an dem ich zu der Zeit gearbeitet habe und das später zu meinem Erstlingsroman „Wie du mir“ wurde. Andererseits hatte ich immer dieses schwer zu definierende „Heimatgefühl“ Irland gegenüber. Als würde ich hierhergehören, ohne das rational erklären zu können.

Da Du immer noch hier bist, ist anzunehmen, dass Dir das Leben hier gefällt. Was schätzt Du am irischen Leben?

Im Alltag mag ich die noch immer sehr umgängliche, entspannte Art der Iren, durchs Leben zu gehen. „Getting on with it“ (Dinge hinter sich zu lassen und einfach weiterzumachen), die Hilfsbereitschaft und die Neigung, nicht alles inkl. sich selbst immer so bierernst zu nehmen – all das liegt mir sehr und lässt mich so einige frustrierende Missstände „übersehen“.

Was unterscheidet es von Deinem alten Leben in Österreich?

Was ich am meisten spüre ist der (zum großen Teil internationale) Freundeskreis, der hier zu einer Art Ersatzfamilie geworden ist. Und ich werde in Irland nicht ständig gefragt, warum ich denn so blass bin. Für die Outdoor-Menschen in Österreich schien meine helle Haut irgendwie immer eine Zumutung zu sein.

Der wilde Westen Irlands kam für Dich nicht in Frage? Die zurückgezogen lebende Autorin im einsamen Cottage am Atlantik?

Ich kam mit einem Job nach Irland und der war in Dublin. Inzwischen ist hier natürlich auch mein soziales Netzwerk. Ich liebe den Westen (und Süden und Norden) von Irland aber sehr. Ein Cottage am Atlantik hätte ich gerne – aber nur für ein paar Wochen im Jahr, um wirklich konzentriert zu schreiben. Meine Inspiration ziehe ich vor allem aus der Beobachtung von Menschen, ihren Geschichten, je vielfältiger und schräger desto besser. In der Abgeschiedenheit würde mir das sehr fehlen, das habe ich schon im Lockdown gemerkt.

Wie wurdest Du Schriftstellerin? Nimmt man sich das in jungen Jahren vor und schreibt dann zielstrebig darauf los?

Ich habe schon immer geschrieben, auch beruflich, aber den Gedanken, Schriftstellerin im klassischen Sinn zu werden, habe ich erst in meinen 30ern entwickelt. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der großer Wert auf finanzielle Sicherheit, Stabilität und Konformität gelegt wurde. Den Mut zu so etwas Gewagtem musste ich also erst mit den Jahren sammeln, und daneben natürlich Geld verdienen.

Kannst Du heute vom Schreiben leben?

Ja, aber (noch?) nicht von meinen Büchern. Ich habe eine typische Portfolio-Karriere, wie sich das jetzt nennt. Also mehrere verschiedene Jobs. Und einen Partner mit einem stabilen Arbeitsverhältnis. Das hilft ungemein.

Docklands, Dublin, Convention Centre and Samuel Beckett Bridge reflektieren im Fluss Liffey

In Deinem neuen Roman schreibst Du sehr kritisch über die taumelnde und kriselnde Hauptstadt Dublin. Was ist Dir in den letzten Jahren an negativen Veränderungen aufgefallen?

Ich fühle mich immer mehr an die Jahre vor der Finanzkrise erinnert. Dieses Manische, das Dublin oft an sich hat und ich auch in Boom Town Blues beschreibe, diese Tendenz zu absolut unverhältnismäßigen Preisen, sei es bei den Mieten, beim Essen in Restaurants oder sonstwo. Rip-off Ireland ist wieder überall. Dass sich Menschen keinen Wohnraum mehr leisten können und jahrelang bei ihren Eltern leben müssen, um zu sparen, und dass riesige Apartmentblocks gebaut werden aber nicht zum Verkauf für „Normalbürger“ stehen sondern sofort an Fondsinvestoren zur teuren Vermietung gehen. Eine schreckliche Entwicklung. Ansonsten stört mich vor allem der Stillstand bei der medizinischen Versorgung. Seit ich in Irland lebe, wächst die Zahl der Leute, die am Gang auf ein Bett warten müssen, immer wieder Skandale, immer dieselben Appelle, aber nichts ändert sich. Das finde ich extrem frustrierend.

Weil Du für Deine Romane viel recherchierst, bist Du längst auch eine Irland-Expertin. Welche Zukunft siehst Du für dieses kleine Inselland am westlichen Rand von Europa?

Man hat sich sehr abhängig gemacht von großen Konzernen und amerikanisiert, das wird sich wohl nicht so schnell ändern. Ich sitze da ja auch im Glashaus, immerhin wäre ich ohne Google nicht hier, und ich habe sehr von meiner Zeit dort profitiert. Gesellschaftlich empfinde ich die zunehmend liberalere Einstellung der Irinnen und Iren ermutigend. Aber wer weiß schon, was uns die ständigen globalen Krisen auch in Irland bringen werden? Meine Hoffnung wäre, dass jeder einzelne von uns ein bisschen zur Besinnung kommt. Aber das hoffe ich auch für alle anderen Länder. Dass es so nicht weitergehen kann, zeigt uns die Natur ohnehin immer deutlicher …

Werden wir die Wiederverveinigung von Nord- und Republik Irland bald erleben? 

Bald sicher nicht. Aber langfristig macht einfach nichts anderes wirklich Sinn. Insofern könnte ich mir schon vorstellen, dass es noch zu unseren Lebzeiten passiert. Wenn wir alt genug werden.

Wenn Du einen Roman abgeschlossen hast, wie fühlt sich das dann an? Fühlst Du Dich befreit, oder leer, oder offen für den nächsten?

Meist ist es Euphorie, der wochenlanges Schreiben ohne viele Pausen vorangeht. Ein Roman ist immer ein großes Projekt, bei dem ich ständig zweifle. Es abgeschlossen und geschafft zu haben, gibt mir ein echtes Hochgefühl. Oft bin ich aber dann auch noch so in der Kreativitätsphase, dass ich mir schon Tage später Notizen zum nächsten Manuskript mache. Vor allem, seit ich an einer Serie schreibe, wo sich bisher immer schon die nächsten Entwicklungen für die Ermittlerin Patsy Logan abzeichnen.

Ellen Dunne

Ellen Dunnes neuer Roman Boom Town Blues (2022, 13,95 €)

Wie bist Du mit Boom Town Blues zufrieden?

Würde jetzt zu gerne falsche Bescheidenheit üben, aber ich bin diesmal wirklich sehr zufrieden.

Kannst du schon verraten, woran Du jetzt arbeitest, und worauf sich Deine LeserInnen-Gemeinde freuen darf?

Der Vertrag für den nächsten Patsy Logan-Band ist unterschrieben. Außerdem arbeite ich noch an einem Exposé für einen etwas kommerzielleren Roman abseits der Patsy Reihe. Ein noch ungelegtes Ei, aber die Ideen gehen mir bisher nicht aus.

Zum Schluss noch ein Blick auf Deine Favoriten:

Dein Lieblings-Buch? Ich habe kein ultimatives Lieblingsbuch, aber immer wieder welche, die mich begeistern. Der Neapel-Romanzyklus von Ellena Ferrante (Meine geniale Freundin, etc) gehört zB dazu.

Dein Lieblings-Film? „Im Namen des Vaters“ von Jim Sheridan hat buchstäblich mein Leben verändert, weil er mich zum ersten Mal für das Thema Nordirlandkonflikt sensibilisiert hat. Letzten Endes hat er mich nach Irland geführt.

Deine Lieblings-Musik? Sehr eklektisch. Alte Helden: Prince und – Achtung, Kontroverse! – U2. Heute überlasse ich mich oft dem Algorithmus von Spotify, und die spielen mir dann eine Menge düster-melancholisch-emotionales vor, was nach Elbow, The Frames und Glen Hansard klingt. Für die gute Laune – kubanische Musik oder (Elektro)-Swing. 

Katzen- oder Hundetyp? Absolut Katzencrazy! Bin aber allgemein Tierfreundin – Hunde und andere sind mir ebenfalls willkommen.

Vielen Dank, Ellen, und alles Gute!

PS: Boom Town Blues, den neuen Krimi von Ellen Dunne, gibt es bei Eurem lokalen Buchhändler oder beim fairen Online-Buchhandel Buch7.
Ellens Buch-Tipps für Irlandnews-LeserInnen gibt es hier: KlicK

 

Dublin

In Temple Bar, Dublin

Dublin-Fotos [3]: Tourism Ireland; Foto Ellen Dunne: © Orla Connolly