Holy Wells

St Brigid’s Well, Ardsallagh, Co Meath

Sandra Böttcher hat Heilige Quellen in Irland besucht und berichtet über diese faszinierenden Orte, die mit der Schönheit der Natur korrespondieren und welche die Menschen schon vor langer Zeit verehrt und genutzt haben.

Auf einer Wandertour besuchte ich im vergangenen Jahr die Heilige Quelle von Gouladoo, die sich an einem spektakulären Ort auf der Nordseite der Sheep’s Head Peninsula in West Cork befindet. Dieser Platz übte eine starke Anziehungskraft auf mich aus. Ich suchte ihn erneut auf und blieb längere Zeit.

 

Holy Wells Irland

Gouladoo Holy Well

 

Oberhalb der Quelle befinden sich drei Stufen aus Steinplatten, die von einer neueren Beton-Nische mit einer Statue gekrönt werden. Die Ränge sind sorgfältig gearbeitet. Ein paar zurück gelassene Andenken – Plastikblumen, rostige Münzen, ein Wasserglas – zeugen von gelegentlichen Besuchern. Die Quelle von Gouladoo ist ein tobar beannaithe, eine gesegnete Quelle, die mit keinem bestimmten Heiligen verbunden ist. Was macht diesen Ort so besonders? Zurück in der Heimat beschäftigte mich die Heilige Quelle nachhaltig, ich las nach und recherchierte.

 

Was sind Holy Wells?

Der Autor Patrick Logan hat in seinem Buch „The Holy Wells Of Ireland“ (1980), aufgezeigt, dass in Verbindung mit der Verehrung solcher Quellen „häufig Merkmale vorchristlicher Kulte und Bräuche beibehalten werden, und dass der christliche Anstrich manchmal nur dünn ist“. Heilige Quellen sind eng mit den Wurzeln des Christentums auf der irischen Insel verbunden, und viele sind einem lokalen Heiligen gewidmet. Sie sind auch mit der Verehrung heidnischer Gottheiten oder Elemente der Natur verbunden. In alten Zeiten galten diese Quellen als Eingangspforten zu einer mystischen anderen Welt, und die mit ihnen verbundenen Wunder spiegelten das Reich wider, dem sie entsprangen.

 

Heilige Quellen Irland

Toberlauva St Coilman’s Well Cregmahon, Co Galway

 

Ich trat in Kontakt mit Dr. Celeste Ray*, die an der University of the South in Tennessee Anthropologie lehrt. Sie ist Autorin eines wunderbaren Buches über die Ursprünge und die Geschichte der Heiligen Quellen, “The Origins of Ireland’s Holy Wells” (2014), und erzählt mir, wie sie zu ihren Studienarbeiten über die Heiligen Quellen in Irland kam.

„In den späten 1980er Jahren zeigte mir ein älterer Mann die erste Heilige Quelle auf Inis Mór (Aran Islands), die ich je gesehen hatte, als ich Gaststudentin am damaligen University College Galway war, und die Faszination ließ mich nicht mehr los. Im Jahr 2000 begann ich damit, Heilige Quellen zu dokumentieren und ethnografische Interviews über sie zu führen. Bis 2009 war ich jedes Jahr entweder in Irland oder in Schottland unterwegs, bis ich begann, mich ausschließlich auf irische Stätten zu konzentrieren.“

 

Rituale und Gebete

Das Umrunden einer gefassten Quelle und dabei bestimmte Gebete und Bewegungen in einer bestimmten Reihenfolge zu wiederholen, ist in Irland traditionell als paying the rounds bekannt. Paying bezieht sich auf die spirituelle Arbeit, mit der die Aufrichtigkeit der eigenen Bitten an der Quelle und die Hoffnung auf ein gewünschtes Ergebnis zum Ausdruck gebracht werden.

Die Umrundung kann auch als Muster bezeichnet werden, und der zwischen den Stationen zurückgelegte Weg wird im Irischen an turas genannt, was “die Reise” oder “Pilgerfahrt” bedeutet. Diese Pilgerfahrten können zu jeder Zeit unternommen werden und sind ein traditionelles Merkmal der jährlichen Patronatsfeste, bei denen sich die Gemeinden zum Festtag des jeweiligen Heiligen an der Quelle versammeln. Wenn man nach den Runden einen Fisch im Wasser sieht, wird dies als Zeichen dafür gewertet, dass die Bitte wohlwollend beantwortet wird.

Auch anderen Ritualen wurde eine Wirkung nachgesagt, etwa dem Umwickeln eines kränklichen Körperteils mit einem Lappen, dem so genannten Clootie, bevor dieser in die Quelle getaucht wurde, und dem anschließenden Festbinden des Lappens an einen alten heiligen Baum, dem Lappenbaum, der in der Nähe stand (in der Regel eine Esche oder ein Weißdorn). Mit dem Verrotten des Lappens vergingen auch die Krankheiten, von Keuchhusten bis Arthritis.

 

Holy Wells

Lappenbaum St Olcan’s Well, Co Antrim

 

Nicht alle Heiligen Quellen heilen. Diejenigen, die es tun, werden als “gesegnete Quellen” bezeichnet. Die Erlangung der Heilung hängt mit ortsspezifischen volkstümlichen Liturgien zusammen und kann beinhalten, dass das Wasser getrunken wird oder die betroffene Stelle in einem Bach gebadet wird, der von der Quelle wegfließt (um eine Kreuzkontamination zu vermeiden), oder dass der Kranke einfach mit Brunnenwasser gesalbt wird. Um die Heilung zu erreichen, muss der Betroffene bei den meisten Quellen mehrmals Runden gehen.

Einige Heilige Quellen sind reich an bestimmten Chemikalien mit wohltuenden Eigenschaften wie Kalium oder Magnesium. Wasser, das beispielsweise mit Hautkrankheiten in Verbindung gebracht wird, enthält oft Schwefel. Die häufigste Heilung an irischen Heiligen Quellen war bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts die von wunden Augen, und solche Orte sind noch immer als tobair na sul (Augenbrunnen) bekannt.

In einem Interview mit der BBC (2021) erklärt Dr. Celeste Ray, dass die Beziehung zwischen Brunnenwasser und Spiritualität so alt sein könnte wie die Menschheit selbst.
 Sie sagt:

“Heilige Quellen gehören zu den ältesten heiligen Stätten der Welt. Es sind die ersten Orte, an denen die Menschen das Übernatürliche suchten; es sind die ersten Orte, um die sich die Menschen schützend und sogar territorial kümmern. Es handelt sich einfach um eine Wasserquelle, in der Regel eine Quelle, die ein Ort der religiösen Verehrung ist. Diese heiligen Stätten könnten von den Menschen vertieft worden sein; ihr Wasser könnte mit Steinen oder einer anderen Form von Mauer aufgestaut worden sein, um das Wasser zurückzuhalten; sie könnten Stufen für den Zugang eingebaut haben, aber sie unterscheiden sich von den von Menschen ausgegrabenen Löchern, die zum Sammeln von Wasser gemacht wurden.”

In der Republik Irland gibt es 2996 bekannte Heilige Quellen, während im Northern Ireland Sites and Monuments Record (NISMR) 187 dieser Orte verzeichnet sind.

 

Holy Wells

Landkarte ‘Holy Wells in Ireland’ von Carl Lange

 

Wundersame Heilkraft

Mich interessiert die persönliche Ansicht von Dr. Ray. Ich frage nach, ob sie an die Kraft auf Heilung glaubt.

„Ich glaube an die Macht des Gebets und habe zu viele Geschichten über persönliche Heilungen durch Gebete an heiligen Quellen gehört, um daran zu zweifeln. Viele der Wässer haben chemische Eigenschaften, von denen wir wissen, dass sie heilend sind – und zwar für dieselben Krankheiten, für die die Quellen berühmt wurden. Manchmal ist es die örtliche Flora, die für die Heilung sorgt (Quellen in der Nähe von Weidenbäumen z. B. werden in der Regel für die Heilung von Halsentzündungen oder anderen Schmerzen verantwortlich gemacht, und die Rinde von Weidenbäumen war die ursprüngliche Quelle für Aspirin).“

 

Schülerberichte aus 1937/38: Unsere Heiligen Quellen

Ich bekam Einblicke in Aufzeichnungen der National Folklore Collection, einer bemerkenswerten Sammlung aus den Jahren 1937-39. In Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium und der Irish National Teachers’ Organisation zeichneten Grundschüler mehr als 750.000 Seiten lokaler Geschichte und mündlicher Überlieferungen aus allen 26 Grafschaften des irischen Freistaats auf. Sie behandelten unter anderem auch das Thema Holy Wells.

Über die Gouladoo Holy Well, die ich besuchte, gab es wenig zu recherchieren, ich fand nur einen schriftlichen Eintrag aus dem Jahr 1938:

Auf der Farm von Henry Lynch gibt es eine heilige Quelle, die direkt am Meer liegt. Um sie herum gibt es nichts Großes, außer einer erhöhten Fläche/Plattform (ardán) darüber und Steinplatten davor. Es gibt keine Führungen/Pilgerfahrten (turasanna), aber einige Leute kommen dorthin, um sich von rheumatischen Beschwerden heilen zu lassen. Die Quelle trägt keinen Namen, und es gibt auch keine Gewissheit, dass es sich um eine heilige/gesegnete Quelle handelt. Einer der Lynch-Männer, der Großvater von Henry Lynch, dem Mann, dem die Quelle jetzt gehört, hatte einen Traum, dass die Quelle die Kraft habe, Knochenschmerzen, Zahnschmerzen, Rheuma usw. zu heilen. Es wurde gesagt, dass Menschen dort geheilt wurden. 

Gooladoo National School, Informantin Frau Brigid Lynch.“

 

Holy Wells

(Opfer-)Gabe, Holy Well Gouladoo

 

Ein weiterer Schüler-Bericht bezieht sich auf die Ladys Well in Bantry, County Cork.

 

Holy Wells

Schüler-Bericht 1938, National Folklore Collection

 

„… Einige Leute gehen an bestimmten Tagen zu diesem Ort und machen dort ihre Runden. Im Allgemeinen gehen sie am Fest Mariä Himmelfahrt, dem 15. August, dorthin. Sie gehen fünfzehn Mal um die Quelle herum, und jedes Mal beten sie ein Vaterunser, ein Ave-Maria und eine Ehre sei dem Vater und beten dann den Rosenkranz. Manchmal werden Menschen von Krankheiten geheilt, indem sie die Runde um die Quelle machen und das Wasser daraus trinken. Wenn die Menschen zur Quelle gehen, lassen sie dort immer ein Zeichen zurück, wie z. B. eine Rosenkranzperle, Medaillen, Gebetsbücher oder eine Münze. Um die Quelle herum liegen viele Krücken und Stöcke, die von Menschen zurückgelassen wurden, die durch Gebete und das Trinken des Quellenwassers geheilt wurden. In alten Zeiten soll die Muttergottes dort gesehen worden sein.“

 

Holy Wells

Lady’s Well, Bantry. Das saubere, kalte Wasser sammelt sich in einem flachen Becken, das in das nahe gelegene Feld abfließt.

 

In zahlreichen weiteren Aufzeichnungen wird davon erzählt, dass die beiden Heiligen in Form von zwei Forellen im Wasser erschienen sind. Eines Tages kam eine alte Frau zur Quelle, um Wasser zu holen. Sie brachte die beiden Forellen in einem Eimer mit nach Hause. Sie setzte das Wasser auf das Feuer, um es zu kochen, aber sie konnte es nicht kochen. Sie musste das Wasser und die beiden Forellen wieder zur Quelle zurückbringen.“

 

Privates Recht

Dr. Rachel Tracey, eine historische Archäologin, ist Mitglied des neu gegründeten Forschungsteams Hidden Heritage of Holy Wells (HHHW) an der Queen’s University in Belfast. Sie sagt, dass „einige Gemeinden nicht möchten, dass ihre Quellen landesweit anerkannt werden – sie möchten sie privat halten.
 Wenn zum Beispiel jemand nach dem frühen Tod eines Kindes eine Votivgabe gemacht hat, ist das eine sehr private, sehr persönliche Sache. Wenn man dann anfängt, Informationstafeln für Touristen aufzustellen, nimmt das den Wert der Stätte weg.”

Dr. Ray bat um Rücksicht, als ich sie nach ihren favorisierten, persönlichen Stätten fragte, da „diese sich größtenteils auf Privatgrundstücken befinden, und ich die Besucher meiner Website nicht dazu ermutigen möchte, sie aufzusuchen und vielleicht die Grundstückseigentümer zu verärgern.“

 

Verlust der Folklore?

Das Team von HHHW arbeitet daran, sicherzustellen, dass keine wertvollen Dinge verloren gehen. Der Verlust hat viele Ursachen, von Veränderungen in der Umwelt und der Landwirtschaft über fehlende Dokumentation bis hin zur zunehmenden nationalen Mobilität – Menschen, die aus ihren Gemeinden wegziehen und damit die Kultur und Folklore ihrer Region schwächen.
 Heilige Quellen sind besonders gefährdet, da viele von ihnen auf privatem Grund stehen und keinen rechtlichen Schutz genießen.

“Wir können nicht alles in Aspik konservieren – die Welt verändert sich ständig -, aber wir müssen sicherstellen, dass wir die Dinge, die von Wert sind, nicht verlieren”, sagt Dr. Lilley, ein historischer Geograf aus dem HHHW-Team.

 

Glaube und Tradition – Wie reagieren wir?

Ich frage mich, wie wir neuzeitlichen Pilger, Wanderer und Touristen bei Besuchen dieser Orte wohl reagierten, wenn wir den tiefen Ursprung all dieser Bräuche und deren Geschichte(n) kennen würden. An wie vielen heiligen Stätten wandern wir achtlos vorbei, weil wir sie nicht erkannt oder gefunden haben? Heilige Quellen können heute in gepflegten Gärten fließen, als fast vergessene Tümpel in Waldgebieten ruhen, bedenklich nahe an viel befahrenen Straßen liegen, als schmucklose Vertiefungen im Boden existieren, die nur wenigen Familien bekannt sind, oder als vielbesuchte Pilgerstätten inmitten von Weiden liegen.

Auch wenn nicht alle alten Geschichten und Überlieferungen wahr sein mögen: In vielen Fällen drücken die Aufzeichnungen der Menschen Überzeugungen aus der Zeit aus, in der sie geschrieben wurden. Ich konnte die spirituellen und psychologischen Bedürfnisse der Bevölkerung in Verbindung mit den lokalen Heiligen Quellen aus den alten Aufzeichnungen herauslesen.

Wie wohl jeder, der eine der Heiligen Quellen auf der Suche nach Trost oder Heilung aufgesucht hat, bestätigen kann, sind die Heilkräfte, die dort zu finden sind, sicherlich nicht nur auf die chemische Zusammensetzung des Wassers zurückzuführen. Diese Stätten haben auch eine uralte tiefe Ausstrahlung aus der Zeit der großen Mythen. Sie erzählen die uralte Geschichte, die Menschen seit jeher mit bewegtem Wasser verbindet.

Ich habe an diesen Orten ein tiefes Gefühl des Friedens empfunden und so manches Mal einen Wunsch gesendet.


  • Die Anthropologin Dr. Celeste Ray
Holy Wells

Dr. Celeste Ray

Dr. Celeste Ray ist Professorin für Environmental Arts and Humanities und Anthropologie an der University of the South in Sewanee, Tennessee. Sie hat eine Ausbildung in Kulturanthropologie, ökologischer Anthropologie und Archäologie, und ihre Lehr- und Forschungstätigkeit konzentriert sich weiterhin auf diese Teilgebiete. In ihren Veröffentlichungen hat sie sich mit heiligem Wasser, Regionalismus, Kreolisierung und Ethnizität beschäftigt.

 

 


Foto Credits/Copyright:
1, 3, 4, 9  Dr. Celeste Ray
2, 8 Sandra Böttcher
5 Landkarte ‚Holy Wells’ von Carl Lange
6 Amanda Clarke, www.holywellscorkandkerry.com
7 UCD, National Folklore Collection

Quellen:
The Holy Wells Of Ireland by Patrick Logan (1980)
BBC-Bericht 2021
Dr. Celeste Ray, Flora, Fauna And Curative Waters
Dr. Celeste Ray, Sacred Waters