Irland Buch Tipp

Der Irland-Buch-Tipp:  Morgenschwimmer von Gerard Donovan; Luchterhand Literaturverlag – 1. Auflage Oktober 2011.

Gelesen und vorgestellt von Susanne Kardel.

Eher durch Zufall bin ich neulich beim Stöbern in der Buchhandlung auf „Morgenschwimmer“ gestoßen. Ein Versuch, denn eigentlich bin ich kein Fan von Kurzgeschichten. War es das gelungene Cover, das mich so unmittelbar auf der Gefühlsebene erreichte? Der Titel, der mich neugierig machte? Oder gar der Autor selbst? Der in den USA lebende Gerard Donovan (*1959) wurde bekannt durch seinen Roman „Winter in Maine“, der zu einem internationalen Bestseller avancierte. Erstmals schreibt er nun über das Land, in dem er geboren und aufgewachsen ist: Irland. So geht es in diesem erst kürzlich auf Deutsch erschienenen Buch – die Originalausgabe kam 2008 unter dem Titel „Country of the Grand“ heraus – um die menschliche Schwachheit, die eine zerstörerische Kraft in sich trägt. Irland bietet nicht nur die Kulisse für die dreizehn in die Tiefe gehenden Erzählungen, es geht auch und vor allem um deren Menschen. Durch die rasanten wirtschaftlichen Veränderungen haben sich die Lebenserfahrungen drastisch gewandelt. In Zeiten von Schnelllebigkeit und Wohlstand heißt es Schritt zu halten, Einhalt zu gebieten und Vergangenheit und Menschsein nicht zu vernebeln.

Von einer entspannten Bettlektüre voller Leichtigkeit kann bei diesem Buch nicht die Rede sein. Donovan nimmt den Leser mit in unterschiedliche Lebenssituationen, die ganz alltäglich und doch besonders sind, da sie von einem Moment auf den anderen alles verändern, alles in Frage stellen. Es geht um Verlust, Zerfall, Verrat, Enttäuschung, Schmerz – zutiefst menschliche Themen, die uns alle angehen und nicht nur das Leben im modernen Irland widerspiegeln. Mit poetischer Kraft beschreibt Donovan Lebensschicksale. Melancholisch, aber auch einfühlsam lässt er die Protagonisten der einzelnen Geschichten lebendig erscheinen:

Einen Mann, der jeden Morgen mit seinen Freunden schwimmen geht und eines Tages zufällig mitbekommt, wie die Männer sich über die Affäre seiner Frau unterhalten, von der er bis zu dem Zeitpunkt nichts wusste.

Eine Frau, die nach dem Tod ihres Mannes erfährt, dass er zu Lebzeiten ein Doppelleben führte.

Einen Anwalt, der auf der Suche nach seiner Vergangenheit nachts durch die Straßen seines Heimatortes irrt.

Eine junge Archäologin, die bei Ausgrabungen eines menschlichen Skeletts anfängt, ihr Leben und die Beziehung zu ihrem Freund zu hinterfragen und sich schlagartig der Konsequenz eines einmal in ihrem Leben begangenen Schrittes bewusst wird.

Einen Jungen, der verstummt als sein Vater stirbt und seine Sprache erst durch eine grausame Entdeckung wiedererlangt.

Besonders berührt hat mich „Der Vogelsommer“. Ein zehnjähriges Mädchen wird von seiner Mutter verlassen und bleibt allein mit dem Vater zurück. Ein kleines Vogelpärchen lässt sich jeden Tag auf der Fensterbank nieder. Sehnsucht und Hoffnung legt das Mädchen in diese allmorgendliche Begegnung und lernt dabei, mit seinem Schicksal umzugehen.

Donovan ist es hervorragend gelungen, sich in die Tiefen der menschlichen Seele hineinzudenken und ein Bild der Menschen im heutigen Irland – weniger mystisch als sehr realistisch – zu vermitteln. Ein anrührendes Buch, das in die Stille führt, das zum Nachdenken und Weiterdenken anregt, das deutlich macht, wie wenig Sicherheit Beziehungen bieten können, wie zerbrechlich unser aller Leben ist.

Das Buch kann hier bestellt werden.