Island of Ireland

Was können wir tun, wenn das Virus unsere Gedanken befällt und unsere Seele belagert? Wenn ein komplizierter Alltag uns zusetzt und erschöpft? Hier sammeln wir Vorschläge für die tägliche Auszeit, für die kleinen kreativen Fluchten, für unsere Auftank-Momente.

Abschalten. Einfach täglich eine Zeitlang abschalten. Bei einem Spaziergang in der Natur. Wenn ich beladen bin, voller Sorgen und Gedanken, dann gehe ich hinaus, in die Berge oder ans Meer. In dieser urtümlichen Landschaft im Südwesten Irlands fällt es mir leicht, den inneren Hebel umzulegen und zur Ruhe zu kommen. Ich ahne, wie schon vor vielen hundert oder gar tausend Jahren die Menschen genau hier an der Atlantikküste entlang gegangen sind. Sie haben gesehen, was ich heute sehe. Seitdem hat sich in dieser Landschaft nicht viel verändert. Das Meer spricht noch immer dieselbe Sprache, wenn es seine Wellen gegen die Küste schickt.

Heute: Ein Spaziergang in die Vergangenheit

Wenn ich entlang der Felsen nach Westen schaue, sehe ich Skellig Michael, die sagenumwobene Klosterinsel im Atlantik vor der Kerry-Halbinsel. Dort in der Abgeschiedenheit eines einsamen Felsens haben sich Mönche im 7. Jahrhundert nieder gelassen. Sie suchten nicht das einfache Leben, sie suchten Gott. Sie glaubten, ihm dort draußen in der Wildnis des Meres näher zu sein. Wenn sie in ihre Boote stiegen, ruderten sie manchmal auch nach Süden zur Beara Halbinsel. Ich komme an den Grundmauern einer alten Mönchszelle vorbei. Diese Männer, das wissen die Archäologen, standen in Kontakt mit den Glaubensbrüdern von Skellig Michael.

 

Great Skellig

The Skelligs

 

Die Mönche an der Spitze von Beara lebten in einem bescheidenen Steinhaus auf einer Anhöhe. Sie konnten auf den Atlantik sehen. Darunter, im Windschutz, auf der meeresabgewandten Seite, kultivierten sie einen Gemüsegarten – und daneben wurden die Toten begraben. Ich gehe und reise zurück in der Zeit. Wie schwer muss es gewesen sein, hier draußen zu überleben, in Wind und Wetter, Regen und Kälte zu bestehen. Nur an den guten Tagen würde man hinauf sehen nach Skellig Michael – oder hinüber zum Bull Rock, dem mythischen Insel-Felsen, vier Kilometer westlich von Dursey Island.

Der Bull galt den vorchristlichen Menschen als die Heimstadt von Donn, dem Herrn des Totenreichs. Die Gälen kannten die 93 Meter hohe Felseninsel im tosenden Atlantik als Teach Duinn, das Haus von Donn. So steht es im Book of Invasions, dem irischen Buch der Landnahmen, das christliche Mönche vor etwa 1000 Jahren gemäß tausende Jahre alter mündlicher Überlieferungen niederschrieben.

Die nicht-christlichen Vorfahren der Iren hielten den Naturtunnel durch den Felsen des Bull Rock für die Pforte ins Jenseits. Sie nahmen an, dass die Seelen der Toten mit der untergehenden Sonne auf dem Meer westwärts reisten. Den Tunnel durch den Felsen gruben Wellen, Winde, Stürme und tosende Gischt in Millionen von Jahren (Mehr über den Bull Rock habe ich hier geschrieben).

Mein Blick kehrt zurück zur Kloster-Ruine. Es stehen nur noch Mauerreste. Als die Mönche ihre Zelle aufgaben, lag sie lange brach. Bis sie eine neue Bestimmung fand. Der Platz am Meer außerhalb der Siedlungen wurde zu einem traurigen Ort. Kleine Bündel tragende Männer mit Schaufeln würden ihn nach der Dämmerung aufsuchen. Sie würden Erde in der Ruine ausheben, einen rohen Stein stellen und das Bündel davor begraben. Weinende Frauen zuhause im Dorf . . . Ich stehe am Cillin, einem Ruheplatz der ungetauften Kinder. Er ist heute ein friedlicher Ort. Vielleicht kommen dereinst Nachfahren hier her und segnen die Seelen der namenlosen Kinder.

Der Spaziergang in die Vergangenheit lässt Frieden in mir einkehren. Orte mit Vergangenheit gibt es überall . . .


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Hier geht es zur Übersicht “Kleine Fluchten” : KLICK


Fotos: Der Atlantik Irlands mit den Inseln Dursey, Cow, Bull Rock (links) und Skellig Michael (rechts); Die Skelligs (unten): Markus Bäuchle © 2022