…“und ich hab ja gesagt, ja ich will, ja”

Molly Bloom, Ehefrau von Leopold Bloom,
am Ende des Romans von James Joyce „Ulysses“

 

Heute gibt es erneut ein Gedicht von James Joyce aus seinem frühen Gedichtband Chamber Music / Kammermusik mit 36 Liebesgedichten aus dem Jahr 1907. Für wen hat er diese Liebeslyrik geschrieben? Welches waren die Frauen im Leben des Großschriftstellers? Gab es „die Eine“?

Ja und Nein. Joyce hatte zahlreiche Liebschaften und amouröse Kontakte und es gab dennoch die EINE, die beständige Frau an seiner Seite – Nora Barnacle, mit der er 37 Jahre liiert war.

 

Nora Barnacle

21. März 1884 – 10. April 1951
(als Elfjährige; links Foto: wikipedia)

 

Was man über Nora weiß

Nora Barnacle wuchs zusammen mit 7 Geschwistern in Galway auf. Nach einigen unglücklichen Liebesbeziehungen ließ sie sich 1903 in Dublin nieder.

Im Juni 1904 lernte sie den später weltbekannten Schriftsteller James Joyce kennen. Nora war 20 Jahre alt, ein mittelloses irisches Mädchen, das sich als Zimmermädchen in einem Dubliner Hotel durchschlug. Für sie und Joyce war es Liebe auf den ersten Blick. Schon vier Monate später brannte Nora mit ihm nach Paris durch. Danach erhoffte sich Joyce eine Anstellung als Lehrer an der Berlitz School in Zürich. Als man ihn dort nicht nahm, reisten sie weiter nach Triest, Pola und wieder zurück nach Triest.

Jahrelang zog das Paar – inzwischen auch schon mit Kindern – immer wieder um. In Triest hatte James Privatschüler, schrieb gleichzeitig erfolglos an seinen Werken, trieb sich nächtelang in Lokalen herum, betrank sich sinnlos und vernachlässigte seine Familie. Nora versuchte, trotz oft bitterer Armut, die Familie über Wasser zu halten. Ihre Liebe war schier bedingungslos und grenzte manchmal beinahe an Hörigkeit.

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, retteten sie sich nach Zürich, wo „Jim“ – wie Nora ihn nannte – Gönner fand, die sein literarisches Arbeiten und damit seine Familie finanziell absicherten. Seit 1917 schrieb er ernsthaft an seinem Hauptwerk, Ulysses, das 1922 fertig wurde und, unterstützt von Ezra Pound, jetzt in Paris, endlich den literarischen, gesellschaftlichen und finanziellen Durchbruch brachte… (3)

 

Nora in Joyce’s Literatur

Für Joyce war Nora nicht nur Halt und Hafen in einem turbulenten, auch von Misserfolgen geprägten Leben. Ihre fürsorgliche Liebe und ihr starkes Wesen, aber auch die starke erotische Anziehungskraft stellten für ihn literarisch eine Quelle der Inspiration dar – will heißen, er „arbeitete“ sie in zahlreiche seiner Werke ein.

  • Viele Charakterzüge Noras sind in die Frauengestalten der Geschichtensammlung The Dubliners eingeflossen.
  • Im autobiographischen Drama Exiles (Verbannte) aus dem Jahre 1914 wird Nora als Bertha porträtiert
  • Als Molly Bloom taucht sie  im Ulysses auf. Der Roman spielt bekanntlich an einem einzelnen Tag, dem 16. Juni 1904. Genau an diesem Tag begann die Beziehung zwischen Joyce und Nora. Joyce übernahm bei der Charakterisierung der Molly sogar Noras Stil und ihre Eigenart, ohne Zeichensetzung zu schreiben.
  • Anna Livia Plurabelle in Finnegans Wake besitzt einige Charakterzüge der reiferen Nora. (1)

 

Nora – lange verkannt

Die Rolle Nora Barnacles im Leben von Joyce wurde lange verkannt. Der amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe beschrieb sie in einem Brief als: „eine von tausend französischen Mittelstandsfrauen, […] ein vulgärer, eher schlaffer Mund; nicht sehr intelligent wirkend.“

Die Times fand nach Noras Tod im Jahre 1951 zumindest einige Worte der Anerkennung und billigte ihr zu, dass sie die „langjährige Vertraute und literarische Hebamme ihres berühmten Schriftstellergatten“ war.

In den Folgejahren wurde Nora immer negativer dargestellt, und sie galt als Schlampe, sowie als „ungebildete und unbelesene Frau“, die „nie die Sprache des Landes [beherrschte], in dem sie lebte.“ Allein ihr Freundeskreis wusste um Noras wichtige Rolle im Leben von Joyce, ebenso, dass es vor allem Nora zu verdanken war, dass Joyce seine Schöpfungskraft nicht durch seine Alkoholkrankheit verloren hatte.

Erst durch die Recherchen der Autorin Brenda Maddox und die darauf beruhende Biographie („Nora. Das Leben der Nora Joyce“; 1988) wurde das Bild über Nora zurechtgerückt. Basierend auf dieser Biographie wurde Noras Leben im Jahre 1999 verfilmt und kam 2000 in die Kinos. Den Film mit Ewan McGregor und Susan Lynch kann man hier ansehen.

 


Alle Gedichte der Irlandnews-Serie Lyrik am Sonntag können Sie hier aufrufen: Lyrik am Sonntag


 

James Joyce

2. Februar 1882 – 13. Januar 1941

(ca 1918. Foto: wikipadia )

Ein erstes Gedicht aus der Lyriksammlung und biografische Infos zu Werk und Leben von James Joyce habe ich hier vorgestellt.

 

 

Rain has fallen all the day

Rain has fallen all the day.
O come among the laden trees:
The leaves lie thick upon the way
Of memories.

Staying a little by the way
Of memories shall we depart.
Come, my beloved, where I may
Speak to your heart.

 

Das Gedicht

Das poetische Frühwerk von James Joyce, das meist im Schatten seiner großen Romanwerke steht, überrascht auch hier wieder mit romantischen Tönen. Passend zum Monat Oktober, der nicht nur helle Farben, sonder auch trostlos schweren Regen aufbieten kann, habe ich Gedicht 32 aus der Sammlung „Chamber Music“ aus dem Jahr 1907 ausgewählt und neu übertragen. Ein kleines, kurzes Gedicht mit einer einfachen Reimstruktur (ABAB).

Joyce greift hier die Bilder Herbstregen, Waldspaziergang, intimer geschützter Platz unter einem Baum auf und gestaltet ein süßlich-trauriges Gedicht. Der Protagonist scheint in einer Erinnerung an eine gerade verfließende Liebe zu schwelgen. Noch einmal könnte man zu zweit – geschützt vom nassschweren Baum – den Träumen und der Liebe nachsinnen . . .  Doch die Trennung scheint nicht mehr abwendbar.

 

Bild: Herbstblätter 2010; Werner Bartholme

Quellen
(1) wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Nora_Barnacle
(2) My Poetic Side  James Joyce: https://mypoeticside.com/show-classic-poem-14326
(3) Verlagsankündigung zu „Nora Joyce und die Liebe zu den Büchern“ von Nuala O’Connor; Insel 2021

(
4) James Joyce Gesammelte Gedichte; Suhrkamp 1987