Immer dienstags: Heute erklärt uns Ralf Sotscheck, warum die Kanadier fast Iren geworden wären und dass sich Pechvögel manchmal glücklich schätzen können.

Die Kanadier sind Pechvögel. Fast wären sie Iren geworden und hätten Guinness trinken können, aber stattdessen müssen sie mit Ahornsirup vorlieb nehmen. Die Fenian Brotherhood, ein Vorläufer der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), der aus Veteranen des US-amerikanischen Bürgerkriegs bestand, hatte ab 1866 immer wieder versucht, Kanada zu besetzen.

Ralf Sotscheck

Die Irland-Kolumne von Ralf Sotscheck.  Der Berliner Journalist lebt seit 1985 in Irland und ist irischer Staatsbürger. Er pendelt zwischen Stadt und Land, irischer See und Atlantik, zwischen Dublin und einem Dorf im Burren. Ralf arbeitet als Irland-Korrespondent für die tageszeitung (taz) und schreibt Bücher, vorzugsweise über Irland und die Iren. Er hält Vorträge, Lesungen und ist ein brillanter Unterhalter. Seine Irland-Kolumne erscheint dienstags auf Irlandnews. Ralfs Website: www.sotscheck.net. Foto: Derek Speirs

Der Plan war einfach: Zunächst wollte man Ontario einnehmen. Dort würde man ein paar Schiffe kapern, den St.-Lawrence-Strom hinaufsegeln und Quebec unterwerfen. Danach wollte man Königin Viktoria anbieten, Kanada unter der Bedingung wieder herauszurücken, dass sie im Gegenzug Irland in die Unabhängigkeit entließ. Um die Invasion zu finanzieren, hatten die Fenier Schuldverschreibungen ausgegeben.

Am Ende scheiterte die Sache. Es hatten sich lediglich 1.000 Mann gemeldet, viele hatten ihre Waffen zu Hause vergessen, andere desertierten, bevor der erste Schuss gefallen war. Dem Rest gelang es immerhin, ein Zollhäuschen und Fort Erie einzunehmen. Das Fort, so berichtete die englische Times höhnisch, bestand lediglich aus einer abgebrannten Kornmühle und einem Wohnhaus.

Irgendwann schickte die US-Regierung ein paar Soldaten, um den Aufstand zu beenden. Die Demokratische Partei in New York musste Geld spenden, damit die geschlagenen Iren Bahnfahrkarten für den Rückzug aus Kanada kaufen konnten. Trotz dieser Demütigung versuchten sie es immer wieder.

Sie marschierten in Kanada ein, als es eine britische Kolonie war, und sie marschierten dort ein, als es ein Dominion mit gewisser Eigenständigkeit war. „Fünf Jahre lang, von 1865 bis 1870, wusste morgens kein Kanadier, der nur einen Tagesmarsch von der US-Grenze entfernt lebte, ob ein irischer Stoßtrupp mal wieder das lokale Postamt besetzt hatte“, schrieb das Postmedia Network.

Einmal gab es sogar eine Erfolgsmeldung: Bei der Schlacht von Ridgeway unterlag die kanadische Miliz vorübergehend, weil ihr Kommandant, der spätere Premierminister John A. Macdonald, zu betrunken war, um die Depeschen mit den Angriffswarnungen zu lesen.

Die Iren waren aber nicht nur wegen der ständigen Invasiönchen in Kanada unbeliebt. Nach der irischen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts waren Zigtausende nach Kanada geflohen, wo sie „unsere Armenhäuser und Gefängnisse“ füllten, wie die Zeitung The Globe indigniert schrieb.

Seitdem haben sich die Iren kaum Freunde in Kanada gemacht. Heutzutage sind es die irischen Studenten, die im Sommer in Vancouver einfallen, in den Clubs auf die Tanzfläche pinkeln, in Kneipen und Pensionen die Zeche prellen und rund um die Uhr voll wie die Nattern sind. Vielleicht hatten die Kanadier damals doch eher Glück, dass ihr Nationalgetränk nicht Guinness, sondern Ahornsirup geworden ist.

 


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Titel-Foto: Irisch Kanada.