Dunkelheit

Haben Sie es bemerkt? Gestern war mal wieder Earth Hour. Für eine Stunde wurden an zahlreichen Orten der Welt zwischen 20:30 und 21:30 Uhr die Lichter im Namen des Klima- und Umweltschutzes ausgeknipst. Die Aktion des World Wide Fund For Nature (WWF) fand im 18. Jahr statt und war gestern angesichts der ernsten Lage unseres Planeten gleich noch der Demokratie und dem Frieden gewidmet. Die ursprüngliche Idee, durch das Ausschalten des Lichts symbolisch Energie zu sparen, wurde erweitert zum Motiv, eine Stunde lang etwas Gutes für den Planeten zu tun. So schalteten viele Leute, die die energiearme Geste lieben, für 60 Minuten die Lichter aus. In Berlin stand das Brandenburger Tor im Dunkeln, in New York das Empire State Building, in Paris der Eifelturm – die üblichen Verdächtigen eben, die sich am St. Patrick´s Day in stromfressendes grünes Scheinwerferlicht tauchen lassen.

In Irland ignoriert man die symbolische Dunkelstunde seit Jahren weitgehend. Im Jahr 2021 hatte Präsident Michael D. Higgins immerhin noch mitgeteilt, dass er samt Frau Sabrina eine Stunde lang im dunklen Präsidentenpalast im Phoenix Park von Dublin ausharren würde. In diesem Jahr wissen wir nicht, ob er vielleicht das Licht im Badezimmer für die frohe Botschaft gedimmt hat. In Deutschland dagegen wurde auch in diesem Jahr wieder 60 Minuten lang fleißig abgedunkelt. Es heißt, viele Fußballfans hätten das Länderspiel der wieder belebten Nationalmannschaft gegen Frankreich im Schein einer echten Kerze angeschaut. Selbst im Fußballstation im französischen Lyon gingen für Momente die Lichter aus  – dies war aber wohl einer Show-Einlage vor dem Spiel geschuldet.

Ich fühle mich derweil hin und her gerissen: Ist der einmal im Jahr zur Schau getragene Wir-sind-die Guten-Symbolismus besser als gar nichts, oder sollte sich der WWF nach 18 Jahren Schattenspielen nicht besser eingestehen, dass der gewollte 60-Minuten-Blackout eine eher peinliche Farce ist, die in fast zwei Jahrzehnten nichts bis gar nichts bewirkt hat? Warum beispielsweise gibt es nicht längst wirklich wirksame Selbstbeschränkungen? Warum wird nicht generell darauf verzichtet, Monumente und Sehenswürdigkeiten nachts zu beleuchten? Warum hat die Nacht kaum noch Fürsprecher?

In unserem kleinen Townland  am Atlantik im äußersten Südwesten von Irland ist es jede Nacht so dunkel, wie es Sonne, Mond und Sterne zulassen. Seit die ängstliche alte Nachbarin, die ihre Furcht vor der Nacht mit hellen Scheinwerfern zu vertreiben suchte, zurück in die Stadt gezogen ist, bleibt die gesamte Nachbarschaft nachts unbehelligt. Es gibt weder Straßenlaternen noch beleuchtete Einfahrten. Nur die örtliche Hafenbehörde macht der Nacht und der Nachtruhe der maritimen Tierwelt neuerdings einen Strich durch die Rechnung: Sie hält es im Zeitalter der exakten GPS-Navigation für nötig, die Einfahrt in die Bantry Bay mit blinkenden Leuchtbojen zu markieren.

Aus gegebenem Anlass möchte ich Ihnen im Folgenden mein Loblied auf die Nacht noch einmal zum Lesen anbieten, das ich vor einiger Zeit schon geschrieben habe und das ich genau so wieder formulieren könnte:

 

Das Ende der Nacht: West-Europa bei Nacht. Blick aus der ISS. Foto: Nasa

Irische Nacht. Schauen Sie manchmal nachts in den Himmel? Folgen Sie dem Mond in seinen Phasen, sehen Sie den Großen Wagen und den Kleinen Bären? Finden Sie den Sternhaufen M45 mit bloßem Auge, bekannt als die Plejaden? Je nachdem, wo wir uns befinden, macht die Himmelsschau längst keine Freude mehr. und das liegt nicht an Wolken oder Dunstglocken: In unseren lichtgefluteten Städten gibt es keinen dunklen Nachthimmel mehr. Die nächtlichen Lichtglocken über den menschlichen Siedlungen nehmen dem Naturspektakel am Himmel viel von seinem Reiz. Der Mond wirkt durch die Lichtschleier hindurch wie ein schwacher Schatten seiner selbst. Die Abermillionen Sterne und die Milchstraße sind von unserem Nachthimmel weitgehend verschwunden. Wer durch das Licht der Städte ein paar Dutzend Sterne funkeln sieht, darf sich schon glücklich schätzen.

Irland Dunkelheit

Licht und Dunkelheit in Westeuropa. Irland links oben. Foto: Nasa

Vielerorts auf unserem gelb leuchtenden Blauen Planeten ist die Nacht längst abgeschafft. Wir leben im ewigen Licht. Wir vertreiben die Dunkelheit mit allgegenwärtigem Scheinwerfern, Straßen-Laternen, mit LED-Lichtkanonen, Spot- Flächen- und Laser-Strahlern. Wir machen die Nacht zum Tag, erhellen unsere Straßen, Plätze, Vor- und Hinterhöfe, unsere Häuser, Gärten, Gewerbe-, Wohn- und Amüsier-Gebiete.

Schön dunkel: Irlands Südwesten. Foto: Nasa

Wir haben offensichtlich Angst vor der Dunkelheit. Nacht, Düsternis, Finsternis, Schwärze – wir wollen von der Dunkelheit, der schwarzen Schwester des Nebels, nichts wissen, vertreiben sie mit Licht. Licht statt Schatten, denn die Dunkelheit wirkt auf uns bedrohlich. Welche sinistren Figuren treiben ihr Unwesen im Schutz der Dunkelheit . . . ? Was geschieht Unberechenbares nach Einbruch der Dunkelheit? Wen hat die Dunkelheit verschluckt? Unsere Redewendungen weisen auf menschliche Urängste hin. Der Schlaf, das ist der kleine Tod, die Dunkelheit ist die Mutter des Schlafs. Wir wollen ins Leben, ans Licht. Dunkle Straßen, der Wald bei Nacht gelten als unsichere, gefahrvolle Orte.

Wirklich?

Ich erinnere mich gerne an eine der eindrucksvollsten Kindheits-Erfahrungen: den Anblick des millionenfach schimmernden und glitzernden Sternenhimmels hoch in den einst einsamen österreichischen Alpen. Mein überwältigendes Gefühl eine Mischung aus Vollkommenheit und Demut, aus Größe und Nichtigkeit, dazu ein Hauch von Ewigkeit. Seitdem ist mir immer klar gewesen, wie unbedeutend wir sind, die wir uns für so wichtig nehmen und als Mittelpunkt der Welt miss-verstehen. Später folgten zweisame Spaziergänge unter dem Sternenhimmel. Was gab es Schöneres, als gemeinsam den Nachthimmel zu ergründen und zu genießen.

Blind durch Licht. Sternen-Beobachter und Himmelsgucker weltweit beklagen den Verlust der Dunkelheit. Wie den Elefanten, den Blauwal oder den Löwen vertreiben wir Menschen die Nacht und die Dunkelheit von der Erde. Licht-Verschmutzung (Licht-Smog) nimmt uns die Sicht, macht uns blind für die endlose Weite des Weltalls – für unsere Begrenzungen und unsere Winzigkeit. Die Dunkelheit hingegen lässt uns weitsichtig sein.

Die alte Nacht und die geheimnisvolle Dunkelheit haben auch unter den Menschen noch immer Anhänger. An einem guten Dutzend Orten weltweit haben Freunde der Nacht in den letzten Jahren sogenannte Lichtschutzgebiete eingerichtet. Dort, wo die Lichtverschmutzung noch nicht sehr ausgeprägt ist, versuchen Idealisten, den vernichtenden Siegeszug des künstlichen Lichts zu stoppen. Sie erklären die nächtliche Dunkelheit zum schützenswerten Gut. Diese Dunkelgebiete sind bekannt als Sternen-Park, als Dark Sky Park, als Starlight Reserve oder Sternen-Oase.

Irland Vollmond

Vollmondnacht in Irland: Foto: Antje Wendel

Wir leben im nächtlich dunklen Südwesten Irlands. Auf den Halbinseln an der dünn besiedelten Atlantikküste, fernab der Städte und der großen Straßen, beleuchten nachts nur wenige Lichter den Himmel. Viele Grundstücke bleiben nachts völlig unbeleuchtet. Wir genießen schwarze wolkenverhangene Neumondnächte, den prallen Sternenhimmel in klaren mondlosen Nächten oder die fast taghellen Vollmondnächte. Wer sich an die Dunkelheit erst einmal gewöhnt hat, erlebt sie anders. als einen schützenden Mantel. Im Schutz der Dunkelheit lassen sich Sternenhimmel genießen, in ihr lässt sich gut leben und gut schlafen. Die phantastischen Sternenhimmel über West Cork und Kerry kennen nur eine ernsthafte Widersacherin: Die große atlantische Regenwolke . . .

In unserer Nachbarschaft, im Westen der Kerry-Halbinsel, haben Fans der Dunkelheit das Kerry Dark Sky Reserve erfolgreich etabliert. Es gilt als bestes ausgewiesenes Dunkelheits-Reservat der nördlichen Erhalbkugel und als eines der drei besten weltweit. Gut möglich, dass das Reservat auch auf West Cork ausgedehnt wird. Wer mehr zum Thema Sternenparks erfahren möchte, kann auf diesen Seiten lesen:

Sterne Irland

Ein Super-Blut-Mond. Foto: Nasa

 


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Titelfoto: Nacht auf dem Atlantik, Markus Baeuchle (c) 2024
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