“Alles hat ein Ende:
Eines traurigen Tages wird es für dich und mich ein Ende geben.
Und ein Ende der Tage, die wir zusammen hatten:
Die gute Kameradschaft… alle Arten von Wetter.”
Katharine Tynan

 

Bevor es losgeht: Ich höre sie schon die Einwände auf unser heutiges Gedicht Any Woman von Katharine Tynan: …altbacken … traditionelles Frauenbild … sowas von „katholisch“ … wie kann man nur 2021 so ein Gedicht aufgreifen? Alles richtig. Und gerade deshalb präsentiere ich es heute.

Keine Literatur und auch kein Gedicht entsteht im luftleeren Raum. Autorinnen und Autoren unterliegen Prägungen individueller Art (Herkunft, Familie, Geschwister) und gesellschaftlicher Wirklichkeit (Weltbilder, Gesellschaftssysteme, Einflüsse von Religionen).

Beim heutigen Gedicht sticht uns dies deutlich ins Auge, stößt uns sogar unangenehm auf: Die Frau fast reduziert auf DIE MUTTER, eine hehre Gefährtin des Mannes, traditionell in kirchlicher Vorstellung von Reinheit gefangen.

Das kann auch nicht anders sein in einem Gedicht des ausgehenden 19. Jahrhunderts, war doch Irland bis in die letzten Jahrzehnte hinein geprägt vom allumfassenden Einfluss der – ja: reaktionären –  katholischen Kirche.

Welch ein Wandel hat sich in den letzten 30 Jahren vollzogen, bei dem dieser Einfluss auf ein mitteleuropäisch-angemessenes Maß zurückgedrängt wurde. In diesem Wissen lassen wir uns also ein auf ein lyrisches Zeugnis aus alten Tagen, von einer Autorin, die in ihrer Zeit viel gelesen wurde und auch heute noch einen Namen hat.

Katharine Tynan

Any Woman/Irgendeine Frau

 

Katharine Tynan war eine überaus produktive irische Autorin, die vordringlich für Leserinnen schrieb. Obgleich sie eine traditionelle Katholikin war, setzte sie sich für die Belange von Frauen ein, ohne jedoch dezidiert politische oder gar feministische Ansätze zu vertreten. Sie unterstützte auch die Belange der armen Bevölkerung ihres Landes und schrieb über die Not der Kinder, die entweder verwaist waren oder in Armut lebten. Mit großem Einsatz kritisierte sie die chronisch schlechten Arbeitsbedingungen der Frauen. Sie leistete einen wichtigen Beitrag zum Aufblühen der irischen Literatur und ihre Arbeit wurde von etablierten Schriftstellern wie W. B. Yeats geschätzt. Ihr vielleicht berühmtestes Werk war das Gedicht The Wind That Shakes the Barley, dessen Text zu einem populären Volkslied wurde.

 


Alle Gedichte der Irlandnews-Serie Lyrik am Sonntag können Sie hier aufrufen: Lyrik am Sonntag

 

Katharine Tynan wurde im Januar 1861 (oder 1859 – die Angaben gehen auseinander!) als eines von zwölf Kindern auf einem Milchviehbetrieb in Clondalkin, Grafschaft Dublin, geboren. Chronische Augenentzündungen führten bei ihr zu einer lebenslangen Kurzsichtigkeit. Trotz dieses Handicaps schrieb sie bereits in jungen Jahren Gedichte, die in Dubliner Publikationen veröffentlicht wurden.

In dieser Zeit lernte sie William Butler Yeats kennen, mit dem sie eine lebenslange Freundschaft verband. Es wird kolportiert, dass er ihr 1885 sogar einen Heiratsantrag machte, den sie aber ablehnte. Yeats hatte großen Einfluss auf ihr Schreiben. Ihre frühen Gedichte kritisierte er als “zu englisch”, was sich Katharine in ihrem zweiten Gedichtband Shamrocks 1887 mit deutlich irisch geprägter Lyrik zu Herzen nahm.

Trotz ihrer starken Verwurzelung im irischen Katholizismus, heiratete sie 1893 einen protestantischen Anwalt (Barrister). Mit ihm lebte sie 20 Jahre in London, wo sie unter ihrem Doppelnamen Tynan-Hinkson weiter veröffentlichte. Im Krieg kehrte sie mit ihrem zum Richter ernannten Mann zurück und lebte in der Grafschaft Mayo.

Katharine Tynan starb am 2. April 1931. Sie hinterließ ein umfangreiches Werk mit 100 Romanen, zwölf Sammlungen von Kurzgeschichten, drei Theaterstücken, Gedichtsanthologien sowie zahlreichen Zeitschriftenartikeln.

 

Katharine Tynan (-Hinkson)

21. Januar 1859 (oder 1861) – 2. April 1931
(Foto: wikipedia)

 

ANY WOMAN

I am the pillars of the house;
The keystone of the arch am I.
Take me away, and roof and wall
Would fall to ruin me utterly.

I am the fire upon the hearth,
I am the light of the good sun,
I am the heat that warms the earth,
Which else were colder than a stone.

At me the children warm their hands;
I am their light of love alive.
Without me cold the hearthstone stands,
Nor could the precious children thrive.

I am the twist that holds together
The children in its sacred ring,
Their knot of love, from whose close tether
No lost child goes a-wandering.

I am the house from floor to roof,
I deck the walls, the board I spread;
I spin the curtains, warp and woof,
And shake the down to be their bed.

I am their wall against all danger,
Their door against the wind and snow,
Thou Whom a woman laid in a manger,
Take me not till the children grow!

 

Schiebt man alle oben angeführten Bedenken ob des konservativen Frauenbildes beiseite, so ist Any Woman im Kern ein berührendes Gedicht, das die selbstlose Liebe von Müttern und die Mutterschaft als hohes Geschenk feiert.

Das Gedicht bedient sich dabei vielfältiger Bilder, vielleicht zu vieler. Tynan beginnt mit der Einführung der zentralen Metapher Haus. Die Mutter ist dabei nicht nur das Fundament, sie ist vita, lux et amor – das Leben, das Licht und die Liebe, die ein Haus erfüllen.

Tynans Tochter Pamela Hinkson , die selbst Schriftstellern war, sieht das Gedicht als eine etwas idealisierte Selbstsicht ihrer Mutter. Katharine, die in der Herkunftsfamilie wohl eher ein Papa-Kind war, zeige in dem Gedicht Any Woman die große Zuneigung für ihre Kinder. Tochter Pamela meint weiter:

“Sie hatte als Mutter diese seltene und undefinierbare und wertvollste aller Gaben: ein Feuer auf dem Herd zu entzünden, … eine Lampe ins Fenster zu stellen, für die Kinder, die zu ihr nach Hause kommen… Sie hob ihre Augen vom Schreibblock, um in die Augen des Kindes zu sehen, das um Trost bittet und das nie abgewiesen wurde.”

Die positiven Bilder und Bezüge sind – jedes für sich genommen – eindrucksvoll. Meinem Gefühl nach überspannt sie aber in der Summe den Bogen. Gerade am Ende lässt die Autorin das Gedicht in ein Gebet münden: Sie betet und bittet, dass Gott/Jesus sie so lange am Leben lasse, wie die Kinder ihrer helfenden Hand bedürfen.


Zwei abschließende Bemerkungen: 
In den Lebensbeschreibungen wird berichtet, dass Yeats die Autorin immer wieder aufforderte, ihr Katholisch-Sein stark in der Lyrik zu betonen. Hier scheint sie ihrem Mentor und Förderer auf extreme Weise Folge geleistet zu haben. Und: Das Gedicht ist immer noch Unterrichtsinhalt auf den Britischen Inseln. Auf zahlreichen Lehrplattformen wird dieses Gedicht aufgegriffen und von Schülern (Klassen 11/12) interpretiert. In keinem Aufsatz oder keiner Interpretation wurde auf den historischen und gesellschaftlichen Hintergrund oder auf das überholte Frauenbild hingewiesen. Sehr erstaunlich im 21. Jahrhundert.

 

Ich habe nach der Übersetzung  versucht, das Poem mit vereinfachtem Reimschema ABCB nachzudichten:

 

Dank an Wolfgang Paetow für die Unterstützung bei der Übersetzung

 

Bild: Werner Bartholme; Madonna auf einem Grab in Connemara; 2013
Quellen: My poetic Side und Wikipedia