“Wo wir in der Dämmerung beieinander saßen, während der sternenreiche Himmel sich wandelte.
Wir webten Träume in der Stille…. .”

George William Russell (Æ)

 

Heute ein weiteres Gedicht des mystischen Lyrikers George William Russell, der meist unter dem Pseudonym Æ veröffentlichte.

Den biografischen Hintergrund entnehme man dem Begleittext zu seinem Gedicht „Winter“

In Russell vereinte sich Spiritualität und Geist sowie der Sinn für die politisch-ökonomische Lebensrealität: Er war ein Suchender, der perfekt auf das Poetische, Mystische und Schöne eingestimmt war, der aber auch das konkrete Leben der irischen Bevölkerung des ausgehenden 19. Jahrhunderts im Blick hatte. So arbeitete er sowohl für die Irish Agricultural Organisation Society (IAOS), die sich der Not der in Abhängigkeit gehaltenen Kleinbauern verschrieb und mühte sich gleichzeitig an den Idealen der verschiedenen esoterischen Gruppierungen seiner Zeit ab.

Er wünschte sich den Menschen mit einem „Geist, der in den Wolken schwebt“, dessen Füße aber „fest auf dem Boden der Tatsachen stehen“. AE war einerseits Idealist und Inspirator, andererseits aber auch Warner vor einer Entwicklung, wo der Mensch mutwillig das Streben nach Luxus überbetont und „in den Götzendienst des Mammonismus“ versinkt. (vgl. Katinka Hessel)

Sein ganzes Leben lang zeichnete und malte Russell auch. Meistens waren es Ölbilder; er schuf aber auch Zeichnungen, Aquarelle, Illustrationen und Wandmalereien. Seine Kunstwerke wurden zwar in vielen Ausstellungen gezeigt, der Verkauf der Bilder, wie auch seiner Gedichtbände, reichte aber für seinen Lebensunterhalt nie aus. So war er auf regelmäßige Einkünfte als Journalist angewiesen.

Seine Themen fand er in der irischen Landschaft; er begeisterte sich für Menschen, die sich an der Natur erfreuten. Aber auch sein esoterisches Interesse fand Bahn in der Darstellung von Naturgeistern und spirituellen Wesen, die er durch Hellsehen oder in mystischen Visionen wahrgenommen hatte. Jährliche Besuche in Donegal, lieferten die Inspiration für viele seiner Landschaftsbilder. (theosophy.wiki)

Immer wieder verbrachte er die Sommer auf der kleinen Insel Garnish Island im Südwesten. Markus Bäuchle schrieb darüber in seinem Kommentar zu dem früheren Gedicht:

„George Russell, oder Æ, war oft in unserer Gegend zu Gast. Er verbrachte viel Zeit auf Garnish Island, der Garteninsel der Bryces in Glengarriff Harbour. Russel arbeitete und wohnte in der Casita (The Bachelor´s Quarter). Er malte viel und soll zum Leidwesen der Gastgeberin Violet Bryce regelmäßig den Boden mit Farben eingesaut haben. Bis heute suchen wir nach den zahlreichen gemalten Landschaften von Garinish Island. Sie sind wie vom Erdboden verschluckt.“

 

 

George William Russell (AE)
10. April 1867 – 17 Juli 1935

(Foto: Selbstportrait 1903; theosophie-wiki)

 

 

WAITING

George William Russell

WHEN the dawn comes forth I wonder
Will our sad, sad hearts awaken,
And the grief we laboured under
From the new-in-joy be shaken?

If the night be long in going,
All our souls will fix in sadness;
And the light of morning glowing
Waken in our eyes no gladness.

All unschooled in mirth we will not
Rouse forgotten joys from sleeping;
And the dawn our pain shall still not:
We will gaze on it with weeping.

(Collected Poems by A.E.  1913)

 

Der Protagonist sinniert in seinem Gedicht sprachmächtig über verschiedene Befindlichkeiten in einer Dämmerstunde. Er fragt sich, ob die beginnende Traurigkeit anhalten wird, sich gar steigern könnte, oder sich doch noch in Gefühle der Freude wandeln könnte. Er spürt aber intuitiv – oder aus der Erfahrung heraus – schon: Auch das Aushalten der Dämmerung, das Warten und der notgedrungen einsetzende Schlaf wird seine düster-melancholische Grundstimmung nicht wandeln…

Wunderschön, aber tieftraurig!

Die Übertragung dieses Gedichtes motivierte mich diesmal zu einer Nachdichtung:

Herzlichen Dank an Karin Mangold-Schneider für die Unterstützung bei der Textübertragung.

 

Bild: Werner Bartholme; Strand in Donegal, 2007

Quellen:
http://www.katinkahesselink.net/his/ae.html;
https://en.wikipedia.org/wiki/George_William_Russell;
https://theosophy.wiki/en/George_William_Russell