The Stags

 

Off the Beaten Track: Manche Landspitzen an der Südküste Irlands hat der Wilde Atlantische Touristenparcour bis heute verschont, geradezu übersehen. Auf diesem Kap, auf dem ich vor einigen Tagen wanderte, gibt es keinen öffentlichen Parkplatz, kaum Platz für zwei, drei Autos.

Was nicht heißt, dass nicht Ortsfremde den Weg hierher gefunden hätten. Sie wohnen diskret, unauffällig, zurückgezogen, wohlhabende Sommerbürger. Sie fahren kleine alte Autos, manche sind linksgesteuert. Unweit vom Cottage des alten Spiegel-Redakteurs, dort wo ein deutscher Sozialminister einst in euphorischer Verzückung Sirtaki auf einem Autodach tanzte, beginnt ein faszinierender Fußpfad auf hohen Klippen.

Tief unten in den steinigen Buchten sonnen sich die Kegelrobben. Es sind um die 150 Tiere, die sich hier im Schutz der Felsen sicher fühlen. Sie liegen träge auf den Steinstränden, Menschen an einem Playa de las Baleares nicht unähnlich, ähnlicher noch den Steinen, auf denen sie gut getarnt die Stunden vorbeiziehen lassen.

Draußen vor der Küste ragt wie immer das Penthouse eines großen Riffs aus dem Wasser. Der bizarre Fels erinnert mich an die Ruinen einer geschleiften Burg. Irische Augen sehen darin seit Generationen etwas anderes: wilde Tiere. Sie nennen die Felsformation “Die Hirsche”. Auf dem Meeresgrund östlich und westlich der Hirsche reihen sich die Wracks gesunkener Schiffe wie an einer Perlenkette auf. Dort draußen haben Generationen von Kapitänen kapituliert, dort starben im wilden Wetter des tosenden Atlantiks Hoffnungen, versanken Träume, Menschen und Fracht. Die Hirsche standen stumm dabei. Sie stehen noch immer.

 

Kegelrobben

 

Klippengänge: Gedanken kommen und gehen

Hier auf den Klippen, mit Blick auf die Hirsche, kommen und gehen die Gedanken beim Gehen. Warum sollte ich den Ort, diesen wundervollen Ort, für mich behalten, ihn nicht beim Namen nennen? Die innere Stimme sagt: Wer ihn finden will, wird ihn finden.

Mein Februar-Experiment des Aufhörens habe ich nach fast drei Wochen beendet. Ich las fast drei Wochen keine News, konsumierte keine Nachrichten. Die Nachrichtenruhe tat gut. Mein Denken wurde klarer und tiefer. Und doch fühlte ich mich zunehmend desorientiert in meiner Wahrnehmung der großen Welt “da draußen”.  Welches Spiel spielen Biden und Putin? Wie lange kann sich der irrlichternde Lauterbach noch halten? Wann fallen die Masken? (Tatsächlich: Hier in Irland am 28. Februar. Hallelujah.) Vor allem aber trieb mich um:  Wann kommt Eunice, wie kommt Eunice, welche Sturmwarnungen gibt es? Nach dem Orkan dann: Was hat Eunice angerichtet, hier in Irland, später als Zeynep in der alten Heimat?

So begann ich wieder Nachrichten zu lesen – mit der klaren Erkenntnis: Wenig ist mehr. Ich werde die Zeit für News künftig drastisch begrenzen und mir immer wieder die Frage stellen: Was ist wichtig, was ist relevant, was muss ich wissen, und: Was nützt es, wenn ich es weiß? Was hält über den Tag hinaus stand? Die Zeit des Nachrichten-Fastfoods ist jedenfalls vorbei.

Bald schon ist März, und das nächste Experiment des Aufhörens beginnt.

Lest Ihr noch mit? Macht Ihr noch mit? Macht Ihr eigene Experimente des Aufhörens?

Fotos: © 2022 Markus Bäuchle