„Es gibt nichts, was ich mehr genieße als den “Rausch”, mit dem ein neues Gedicht auf die Seite kommt
– das Hochgefühl einer neuen Idee, die sich durchsetzt.

… Ein Gedicht zu schreiben ist eine Reise, eine Entdeckung,
und man landet selten dort, wo man angefangen hat“

Enda Wyley

 

War / Krieg?
Muss das sein, heute ein Gedicht über Flucht und Krieg auszuwählen? (Wann, wenn nicht jetzt?)
Wird Poesie nicht oft verknüpft mit Gefühligkeit, manchmal mit Weltflucht, mit  hehrer Abgehobenheit?

Nein!
Lyrik ist in Sprache und Schönheit gegossenes Leben. Wie könnten da Grausamkeiten wie Krieg und Flucht ausgespart werden – zumal wir aktuell mit Kriegsangst (Ukraine) und Vertreibung/Flucht (Belarus) konfrontiert sind.

Die 1966 in Dún Laoghaire geborene Dichterin Enda Wyley ist für beides bekannt: für Liebeslyrik und politische Gedichte.

Die Liebe spielt in meinen Gedichten eine zentrale Rolle. Nicht nur in den vielen Liebesgedichten, die ich geschrieben habe, sondern in meiner allgemeinen Herangehensweise an die Entstehung eines Gedichts und den emotionalen Unterströmungen, die darin fließen. Ich bin ein großer Befürworter davon, die Welt und die Menschen in ihr zu feiern, und obwohl ich auf persönliche Erfahrungen zurückgreife, erfinde ich diese Erfahrungen neu, fiktionalisiere sie in gewisser Weise und strebe danach, dass das endgültige Stück universell ist, so dass auch andere sich damit identifizieren können.“ ¹

Im selben Interview gibt sie aber auch der Notwendigkeit Raum, die andere Wirklichkeit in Sprache zu packen:

 „Ich glaube, das Politische ist in der Poesie immer im Spiel und kann in den intimsten Gedichten besonders deutlich werden.“

 Das heutige Gedicht ist ein Paradebeispiel für ebendiese Verbindung.

Enda Wyley hat sechs Gedichtbände veröffentlicht, von Eating Baby Jesus (1993) über Borrowed Space, New and Selected Poems (2014) bis hin zu ihrem jüngsten Werk The Painter on his Bike (2019), Dedalus Press. Gerade erst wurde ihr Gedicht Daughter als Gedicht der Woche in der Irish Times veröffentlicht.
Zu den Auszeichnungen gehören der Vincent Buckley Poetry Prize der Universität Melbourne und ein Katherine and Patrick Kavanagh Fellowship for Poetry. Enda wurde vielfach übersetzt und in Anthologien veröffentlicht, unter anderem in The Harvard Anthology of Modern Irish Poetry.
Sie hat Kinderbücher veröffentlicht, darunter I Won’t Go to China! Boo and Bear und The Silver Notebook, O’Brien Press. Sie ist außerordentliche Professorin für das Carlow Pittsburgh MFA Program USA.

Enda ist Mitglied von Aosdána, dem Zusammenschluss kreativer irischer Künstler, der 1981 gegründet wurde, um Künstler zu ehren, die einen außergewöhnlichen Beitrag zur Kunst in Irland geleistet haben.Mit ihrem Mann, dem ebenfalls erfolgreichen Autoren Peter Sirr, und ihrer Tochter lebt sie in Dublin. ²

Im Irlandnews-Fragebogen gibt die Lyrikerin Auskunft über sich selbst:

 

4 Fragen an Enda Wyley

 

 Wie sind Sie dazu gekommen, Gedichte zu schreiben?

„Ich habe schon als Kind angefangen zu schreiben und habe immer Gedichte und Geschichten in Hefte gekritzelt und sie mit Bildern illustriert. Ich habe auch gerne gezeichnet, was logisch ist, denn Schreiben war für mich schon immer eine sehr visuelle Angelegenheit.

Unser Haus war ein lautes Haus – fünf Kinder, dazu meine Eltern und ein tollwütiger Hund! Wir lasen viel und teilten uns gegenseitig Bücher mit. Es war eine Kindheit voller Plauderei, Spielen und Lachen, und das hat meine Fantasie beflügelt und mich dazu gebracht, zu schreiben, um das Glückliche und Gute in der Welt zu feiern. Ich habe auch von klein auf Tagebuch geführt, und das habe ich mein ganzes Leben lang immer wieder getan. Das hat mir geholfen, meine Gefühle zu verarbeiten und festzuhalten, was ich gesehen und gehört habe. Durch das Schreiben von Tagebüchern begann ich auch, meine Fähigkeiten als Schriftstellerin zu verfeinern, und sie wurden von unschätzbarem Wert für meine Entwicklung als Dichterin.

Auch mein Vater hatte eine tiefe Liebe zur Poesie und als ich begann, mich mehr dem Schreiben von Gedichten zuzuwenden, ermutigte er mich, Bücher zu lesen, die mich anleiten und inspirieren würden. Eines meiner Lieblingsstücke ist immer noch das schmale, aber perfekte Buch Poetry in the Making von Ted Hughes, das ich von meinem Vater zum sechzehnten Geburtstag geschenkt bekam. ‚Stell dir vor, worüber du schreibst. Sieh es und lebe es. Denke es dir nicht mühsam aus, als ob du Kopfrechnen betreiben würdest. Sieh es einfach an, berühre es, rieche es, höre es, versetze dich in es hinein. Wenn du das tust, erledigen sich die Worte wie von selbst, wie von Zauberhand.‘
Ein weiser Rat, den ich nie vergessen habe!“

Welche Rolle spielt Poesie in der irischen Kultur heute?

„In der Poesie geht es um Möglichkeiten, Verbindungen zu schaffen und als solche ist sie eine positive Kraft in Irland.
Das wurde besonders während der Lockdowns deutlich, als die Menschen sich der Poesie zuwandten, um in einer schwierigen Zeit Trost und Hoffnung zu finden. Derek Mahons Gedicht ‚Everything Will be All Right‘ wurde oft zitiert, ebenso wie eine Zeile von Seamus Heaney in einem Interview, das er 1972 gab, als er über die Unruhen in Nordirland sprach. ‚Wenn wir das hier überwintern, können wir überall Sommer machen.“

 Wenn Sie zaubern könnten….. Was wünschten Sie sich für sich selbst und für uns alle?

„Glück und Gesundheit!“

 Können Sie den biografischen und/oder politischen Hintergrund des Gedichtes schildern?

„Ich habe das Gedicht ‚Krieg‘ aus einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit für mein Leben heraus geschrieben. Meine Tochter war noch sehr klein, und in der Stille ihres Schlafzimmers, als sie einschlief, wurde ich plötzlich von der Erkenntnis überwältigt, dass andere Menschen auf der Welt, in vom Krieg zerrissenen Gebieten, um ihr Überleben kämpften oder brutal ermordet wurden. Der enorme Kontrast zwischen der Stille im Zimmer meiner Tochter und dem Horror, den ich mir vorstellte, veranlasste mich, zum Stift zu greifen und das Gedicht aufzuschreiben.“

 

 

Enda Wyley

 

War

Because the world
is quiet here,
because you nod
your head in sleep,
because I can turn you over,
place another blanket
across your midriff,
because the moth lands
on our oatmeal carpet
and is still in darkness,
because the wind howls
but there are no gunshots,
because we do not have to
cross borders
to a new, raw life,
or run out of numbers
to count our dead –

because of all these things
we know we are lucky
to rest here in our home,
the others not forgotten,
their bodies battered,
their bloodied noses
barely touching.

(aus: To Wake to This; Dedalus Press 2009)

 

Das Gedicht War / Krieg ist dem 2009 erschienenen Band To Wake to This entnommen. War ist – zusammen mit dem Gedicht  Zwei Frauen im Kosovo  – nach einem erschütternden Bericht im Guardian entstanden. Darin wurden  zwei Schwestern im Kosovokrieg 1998/99 porträtiert, die in einem Café erschossen und dann auf einen Lastwagen geworfen wurden, um sie zu einem Massengrab zu bringen…

„Dieser Artikel hatte eine so starke emotionale Wirkung auf mich, dass ich wusste, dass ich keine andere Wahl hatte, als zu schreiben…
‚Krieg‘ ist auch ein sehr persönliches, intimes Gedicht. Als ich es schrieb, war ich zum ersten Mal Mutter und brachte meine kleine Tochter ins Bett. Aber ich dachte auch an die Menschen, die in den vom Krieg zerrissenen Ländern leiden, während wir uns zu Hause ausruhen. Für mich ist das Politische und das Persönliche nicht voneinander zu trennen – beides wirkt nebeneinander, oft auf subtile Weise. Ich betrachte die beiden von Ihnen erwähnten Gedichte “Krieg” und “Zwei Frauen im Kosovo” einfach als Teil meines gesamten Werks und Lebens.¹

 

 

Herzlichen Dank an Karin Mangold-Schneider für die Unterstützung bei der Textübertragung.

 


Alle Gedichte der Irlandnews-Serie Lyrik am Sonntag können Sie hier aufrufen: Lyrik am Sonntag


Lyrik von Enda Wyley

  • Eating Baby Jesus (Dedalus Press, 1993)
  • Socrates in the Garden (Dedalus Press, 1998)
  • Poems for Breakfast (Dedalus Press, 2004)
  • To Wake to This (Dedalus Press, 2009)
  • Borrowed Space, New and Selected Poems (Dedalus Press, 2014)
  • The Painter on his Bike (Dedalus Press, 2019).

Kinderbücher

  • Boo and Bear (O’Brien Press, 2003)
  • The Silver Notebook (O’Brien Press, 2007)
  • I Won’t Go to China! (O’Brien Press, 2009)

Auszeichnungen

 

Quellen:
Interview https://www.islandsedgepoetry.net/poets-a-j/enda-wyley/ , 2018: (1)
Biografische Angaben von der Autorin (2)
Irlandnews-Fragebogen
Wikipedia https://en.wikipedia.org/wiki/Enda_Wyley
Porträtfoto: privat
Kinderfoto: Kirsten Bartholme