Die Pandemie ist vorbei. Und die Moral von der Geschicht? Heute möchte ich wie vor einem Jahr hier verabredet noch einmal auf die Pandemiejahre zurück schauen. Ich bin weiterhin einer dieser Ungeimpften. Ich erkrankte im Sommer 2022 an Corona und durchlebte die keineswegs triviale Krankheit mit Prophylaxe, Vertrauen in mein Immunsystem und eine begleitende Therapie mit Naturheilmitteln. Die zurück bleibenden Narben stammen nicht von der Erkrankung. Ich bin kein Impfgegner, weiß jedoch, dass es sich bei der mRNA-basierten Gentherapie nicht um eine herkömmliche Impfung handelt, sondern um ein beispielloses Massenexperiment mit ungewissem Ausgang und mit möglicherweise allzu vielen Geschädigten.

Ich sprach mich nicht generell gegen diese Injektion aus und hielt sie bei alten Menschen und Risikogruppen für wichtig und sinnvoll. Ich habe die drastischen politischen Maßnahmen, vorneweg die harten Lockdowns, die Schul- und Kitaschließungen, dann den diskriminierenden 2G-Ausschluss einer Minderheit von 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung vom öffentlichen Leben, und schließlich die partielle sowie generelle Impflicht abgelehnt. Ich habe dafür plädiert, das Recht auf Gesundheit nicht zu verabsolutieren und es nicht radikal über alle anderen Grundrechte zu stellen. Mir leuchtet bis heute nicht ein, warum nicht die schutzbedürftigen Menschen, also vor allem Alte und einschlägig Vorerkrankte, besonders sorgfältig und wirksam vor dem Virus geschützt wurden, anstatt die gesamte Bevölkerung, vor allem aber die Kinder und Jugendlichen, über Wochen und Monate zuhause einzusperren.

Vor allem aber habe ich widersprochen, dass es sich beim “Impfen” um einen Akt der Solidarität handeln soll. Die Injektion ist und bleibt reiner Selbstschutz. Ich lasse mir die Solidarität nicht absprechen, habe jederzeit respekt-, verantwortungs- und rücksichtsvoll gehandelt. Mich hat maßlos geärgert, dass in einem der reichsten Länder der Erde ein kaputt-privatisiertes Gesundheitssystem, das noch während der schlimmsten Coronawellen Intensivbetten abbaute, als gottgegeben hingenommen und als Rechtfertigung für den Entzug der Freiheitsrechte herhalten musste. Von der ahnaltenden gesellschaftlichen Missachtung der Pflegeberufe ganz zu schweigen.

Am meisten irritiert und schließlich schockiert hat mich, wie sich die Mehrheitsgesellschaft der Geimpften vor allem in Deutschland und Österreich radikalisierte und angeführt von Politik und klassischen Leitmedien “die Ungeimpften” aus dem gesellschaftlichen Leben ausgrenzte, marginalisierte, diskriminierte, pauschal in die rechtsextreme Ecke stellte und teilweise sogar kriminalisierte. Diese autoritäre gesellschaftliche Zuspitzung hatte ich mir in Deutschland nicht vorstellen können und  zuvor auch noch nie erlebt. Wie konnte dies passieren?

Inzwischen ist angesichts von Krieg, Coronamüdigkeit und dem Ende der Pandemie in Europa einigermaßen Ruhe eingekehrt. Vorbei ist das alles aber noch lange nicht. Diese Krise hat zu dramatischen gesellschaftlichen Verwerfungen geführt, die Gräben zwischen Menschen und Gruppen sind tief, Parallelgesellschaften sind entstanden, das Vertrauen in die Politik und in die klassischen Medien, in die Wissenschaft und in die Justiz ist nachhaltig beschädigt. Der Schutt und die Trümmer der Pandemiejahre werden uns noch lange im Weg liegen.

Und plötzlich bin ich ein rechter Schwurbler . . .

Auch ich habe die ganze Wucht der Intoleranz und der Ausgrenzung in den vergangenen zweieinhalb Jahren zu spüren bekommen. Ich habe viel Zeit und Energie investiert, um den Corona-Komplex umfassend zu verstehen. Ich habe fast alle etablierten Quellen und zudem viele alternative Quellen der Gegenöffentlichkeit regelmäßig gelesen, ich habe auch den Wissenschaftlern zugehört, die aus dem Mainstream ausgeschlossen wurden, weil sie “die eine Wahrheit” anzweifelten. Ich habe dazu gelernt, musste angesichts der sich rasch ändernden Faktenlage Vieles revidieren, mich korrigieren. Ich versuchte, offen zu bleiben.

Wenn ich meine (so gewissenhaft wie jeweils möglich) auf Fakten gestützten Beiträge zur Corona-Problematik hier auf Irlandnews veröffentlichte, wurde ich von Impfbefürworten letztlich als unsolidarischer Egoist, als freiheitsverherrlichender Hedonist, im besten Fall als ahnungslos bezeichnet, im schlimmsten Fall in die Ecke von rechten Schwurblern und Verschwörungsgläubigen gestellt. Freunde, zumindest gute Bekannte, haben sich abgewendet, brauchten eine Pause von mir. Die Zusammenarbeit mit einem Bannerträger der Impfmoral blieb auf der Strecke. Hier noch einmal einige Aussagen aus dem Dezember 2021, Kommentare zu meinem Beitrag Bethlehem 2021. Die Migranten kommen jetzt aus Deutschland:

“Impfen ist – neben Selbstschutz – auch ein Akt der Solidarität mit Alten, Vorerkrankten und Menschen, die sich nicht impfen lassen dürfen.” (W.)

“Es gibt kaum einen Satz, den ich nicht widerlegen möchte” (G.)

“Ich hatte beim Lesen Deines Artikels den Eindruck, dass etwas ganz Entscheidendes fehlt. Die Fakten . . . Die Meinung ist frei, aber die Fakten sind heilig. Jeder und jede hat sein/ihr Recht auf eine eigene Meinung, aber ein Recht auf eigene Fakten hat keiner. (H.)

“Und wofür kämpfen sie in Deutschland, Österreich und der Schweiz? Dafür, Lügen alternative Fakten und Hass Meinung nennen zu dürfen, aber vor allem für die Freiheit, die Gesundheit anderer zu gefährden, ohne Konsequenzen tragen zu müssen.” (N.)

“Rechte sind nicht abgekoppelt von Pflichten und diese hedonistischen Quertreiber benehmen sich wie rotzige Teenager, die als Erwachsene behandelt werden möchten aber die Bequemlichkeiten der Kindheit nicht aufgeben wollen. Und ähnlich verhalten sie sich in Diskussionen.” (G.)

“Du bist auf deiner Insel weit weg vom Geschehen in Deutschland, lieber Markus.” (N.)

“Ich lebe nicht in einer medial gleichgeschalteten Gesellschaft. Ich begleite die politischen Maßnahmen kritisch und konstruktiv. Ich sehe um mich herum v.a. keine Menschen, die fluchtartig Deutschland verlassen wollen – zumal die meisten anderen Länder ähnliche, wenn nicht gar radikalere Corona-Maßnahmen haben … Es wäre eine zu große Mühe hier für mich, alle Aussagen zu hinterfragen oder dem gar zu widersprechen, was in deinem Artikel von mir nicht mitgetragen wird . . . ” (W.)

“Du schreibst: ‘Ein die alleinige Wahrheit beanspruchendes Mehrheits-Narrativ walzt alle abweichenden Meinungen platt’. Solche Äußerungen finde ich zutiefst erschreckend.” (D.)

 

Heute, ein Jahr später, wissen wir mehr (wenn wir wollen)

Mittlerweile wendet sich das Blatt, die Massenhysterie hat sich zumindest vorübergehend gelegt. Stück für Stück werden Fehler der Pandemie-Politik, ihrer Wahrnehmung und Einschätzung öffentlich gemacht. Wir wissen heute, dass die strengen Lockdowns eine nur sehr begrenzte Wirkung hatten, dass sie aber immense materielle, existenzielle und psychische Schäden bis hin zu Suiziden verursacht haben¹. Schulen würden heute selbst die rigiden Grünen nicht mehr schließen. Wir wissen,  dass “die” Wissenschaft, Lieferant der vermeintlich einen einzigen Wahrheit (“Fakten”), massiv instrumentalisiert und politisch wie medial manipuliert und damit nachhaltig beschädigt wurde². Wir alle haben mit bekommen, dass die “Pandemie der Ungeimpften” ausgeblieben ist.

Wir wissen, dass die Meinungskorridore der veröffentlichten Meinung gravierend verengt sind und dass die privaten wie die öffentlich-rechtlichen Leitmedien, besonders in Deutschland, bereitwillig, servil und konsequent auf Regierungslinie einschwenkten und ihre Kontrollaufgabe nicht einmal mehr ansatzweise wahrgenommen haben. Wir sahen Angst- und Einschüchterungskampagnen statt umfassender Aufklärung, moralisierenden Kampagnenjournalismus statt fairer und kompetenter Berichterstattung, Haltung statt Ausgewogenheit³. Wir wissen, dass die EU-Kommission und die Welt-Gesundheits-Orgaisation WHO die “Sozialen Medien” von Facebook über Google bis Youtube nach allen Regeln der Kunst zur Zensur verpflichteten und an die Kette legten. Beiträge, die nicht auf der erwünschten Linie lagen, wurden massenhaft und systematisch gelöscht⁴.

Wir wissen, dass die deutschen Gerichte bis hinauf zum einst stärksten Korrektiv zur Politik, dem Bundesverfassungsgericht, versagt haben, indem sie der Regierung einen Blankoscheck zum Handeln wie auch zum Einschränken der Grundrechte ausgestellt haben⁵. Wir wissen ferner, dass es sich bei der Injektion um Selbstschutz handelt, und dass der Fremdschutz, wie von Wissenschaftlern, Politikern und Medien einst versprochen, eine Illusion und ein falsches Versprechen blieb⁶. Vielmehr erwiesen viele sich arglos sicher fühlende Durchgeimpfte mit hohem Mobilitätsradius als ideale Super-Spreader des Virus.

Wir wissen zudem, dass Corona für Kinder und gesunde Jugendliche weniger gefährlich ist als die Grippe und dass Gefährlichkeit und Sterberisiko für gesunde Menschen bis zu 60 Jahren eher mit der Grippe als mit den oft bemühten Schreckgespenstern Pest und Cholera verglichen werden können⁷. Und ja, wir müssen fundiert vermuten, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Gesundheitsschäden durch die Covid-Injektionen weit größer und schwerwiegender sind, als es die Impfstoffhersteller (die sich aus jeglicher Haftung befreit haben) und die offiziellen Statistiken behaupten. Auch viele drei- und vierfach Geimpfte sind nun schlauer: Das Versprechen “steriler Immunität” war ein leeres, wenn nicht eine Täuschung. Geimpfte sind massenweise trotz aller Versprechen an Corona erkrankt – können sich nun allenfalls trösten, dass sie nicht “einen noch schwereren Verlauf” hatten. Denn schlimmer ist immer der Tod⁸.

Wir alle kennen nun zahlreiche Menschen, teils persönlich, teils aus den Medien, die tatsächlich “plötzlich und unerwartet” verstorben sind. Junge gesunde Männer, Sportler, fitte Frauen, die gerade noch mitten im Leben standen. Plötzlich tot. Auch bereits kranke Menschen, die von Impfung zu Impfung mehr abbauten, schwächer wurden, bald starben. Wir haben einen geliebten nahen Menschen nach der dritten Spritze verloren. Man mag einwenden: Das sind selektive Eindrücke ohne Beweise. Bitter nur, dass keine systematischen Obduktionen statt finden und kein politischer Wille erkennbar ist, diese selektiven Erfahrungen von so vielen Menschen zu widerlegen (oder zu bestätigen).

 

Sie haben agitiert. Gesammelte Diskriminierung von Ungeimpften (Zum Vergrößern und Erinnern auf das Bild klicken)

 

Wir wissen nun auch, dass die hoch aggressive Stimmung gegen Ungeimpfte (“Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen”, “Beugehaft”, “Ihr seid raus”, “Bekloppte”, “Vollidioten”) nicht nur gefühlt, sondern sehr real war. Die Gesellschaft war auf dem direkten Weg in die Gewalt unterwegs, aufgepeitscht von reichweitenstarken Politikern und Prominenten⁹. (Einige dieser verantwortungslosen Provokationen und Wutausbrüche sind auf dem Bild oben gesammelt.)

Am 8. Dezember 2022 veröffentlichte das Wissenchafts-Journal nature, es ist gewissermaßen die Bibel der globalen Wissenschafts-Community, eine Aufsehen erregende Studie über die Diskriminierung von Ungeimpften während der Pandemie. Die Ergebnisse müssen auch von denen ernst genommen werden, die sie nicht gerne hören: Geimpfte haben Ungeimpfte in einem Maße diskriminiert, wie es sonst nur Minderheiten wie Migranten ertragen müssen. Umgeimpfte waren Ziel von negativen Gefühlsausbrüchen, von Ausgrenzung und Stereotypisierungen sowohl im familären als auch im politischen Raum. Die Diskriminierung war einseitig. Die Eliten und die geimpfte Öffentlichkeit beriefen sich dabei auf eine moralische Verpflichtung. Die Diskriminierung ging so weit, den Umgeimpften ihre Grundrechte abzusprechen. (Ich habe das Abstract der Studie und den Link zu nature am Ende des Beitrags dokumentiert*).

Wie können wir eine derartige kollektive Entgleisung künftig verhindern?

Alle Vergleiche mit früheren Zeiten sind natürlich vollkommen unangemessen. Und doch müssen wir uns fragen: Wie kam es zu diesem kollektiven Ausbruch an Intoleranz, Unterdrückung und Diskriminierung? Wie zu dieser einmaligen Missachtung unserer Freiheits- und anderer Grundrechte? Wer spielte die Sündenbock-Karte? Wer ist für die Spaltung der Gesellschaft und der wissenschaftlichen Community verantwortlich? Wer hat von dem ganzen Schlamassel profitiert? Was hätten das Robert-Koch-Institut und die Leopoldina tatsächlich leisten müssen – und wofür brauchen wir noch diesen sogenannten Ethikrat?

Wer muss sich jetzt entschuldigen? Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn war schlau genug, schon vor Monaten einen Spruch und ein Buch dazu in die Welt zu setzen, das Verantwortlichkeiten mit leichter Hand vernebelt: „Wir werden einander viel zu verzeihen haben“, drehte der Oberausgrenzer den Spieß schon mitten in der Pandemanie geschickt um. Wir einander, also einmal im Kreis, ungefähr jeder mal jedem? Sicher nicht. Vor dem voreiligen Verzeihen stehen Analyse, Aussprache, Einsicht und die Benennung von Verantwortlichkeiten. Die schmerzhafte Frage lautet: Wer muss hier wem verzeihen? Und die konstruktive Frage: Wie können wir eine derartige autoritäre gesellschaftliche Entgleisung künftig vermeiden?

Das Schweigen überwiegt. Nur wenige der Haupt-Protagonisten der pandemischen Lage finden bislang den Mut zur Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels in der deutschen Nachkriegs-Demokratie. Enttäuschend für mich ist vor allem das Schweigen meiner einstigen Lieblingsblätter, allen vorweg des SPIEGEL, des einstigen “Sturmgeschützes der Demokratie”, das sich am eilfertigsten und radikalsten auf die Seite der offiziellen Corona-Politik geschlagen hat. Und doch gibt es Hoffnung: Die Berliner Zeitung bemüht sich offen, aktiv und engagiert um die politische, soziale und ethische Aufarbeitung der Coronajahre. Die Beitrags-Serie “Corona-Debatte” ist ein Gewinn für alle denkenden Menschen, die an der Wahrheit interessiert sind und nicht nur an der Bestätigung ihrer eigenen Meinung und ihrer Vorurteile.

So schreibt der Philosoph Michael Andrick in seinem Beitrag vom 12. Dezember 2022:

“Wer sachlich haltlos und teils fanatisch gegen Ungeimpfte gehetzt und oft ihr Leben zerstört hat, der möchte jetzt ganz gern, dass wir alle eine „Lernerfahrung“ angesichts einer „Herausforderung“ gemacht haben. Wirklich? Unsere „Lehrmeisterin Pandemie“ hat Kinder terrorisiert, Existenzen vernichtet und Gesunde zu einer Therapie genötigt, die auch tödlich enden kann? Nein, das war die Pandemiepolitik der Ganzgroßen Koalition. Das Geschwurbel der Verantwortungsflüchtigen muss jetzt enden. Es verhöhnt die unschuldigen Opfer staatlich-medial-mitbürgerlicher Panikmache und Ausgrenzung.

Nötig sind offizielle Entschuldigungen, Rücktritte, Erstattung der Corona-Bußgelder, Hilfe für Impfgeschädigte und ein Recht auf Wiederanstellung mit Rückvergütung für alle, die wegen Corona-Vorschriften den Job verloren. Moralische Klarheit und viel Geld sind nötig, um begangenes Unrecht soweit möglich zu kompensieren. Nur während sich all das entfaltet, kann auch Versöhnung gelingen.”

Die Rechtsanwältin Jessica Hamed schreibt für dieselbe Serie in der Berliner Zeitung am 4. Dezember 2022:

“Der staatliche, soziale und private Umgang mit „Ungeimpften“ wird der schmerzlichste Teil des Dialogs, der im Großen wie im Kleinen geführt werden muss. Er kann nur mit Einsicht und einer Entschuldigung für die Ausgrenzung beginnen.

Diese Ausgrenzung war und ist rechtlich, ethisch und gesellschaftlich zu missbilligen. Sie stellte für eine freiheitliche Demokratie ebenso einen Tabubruch dar wie der Lockdown. Für diese Bewertung kommt es weder auf die Richtigkeit der getätigten Annahmen noch auf die Einschätzung des Gesundheitsrisikos an. Dass es zudem nie eine „Pandemie der Ungeimpften“ gab, macht das gesellschaftliche Versagen noch tragischer, aber moralisch und juristisch nicht schlimmer. Es war Unrecht, so wie es immer Unrecht ist, Minderheiten zu stigmatisieren.

Die Angst vor dem Virus hat gleichermaßen irrationale Blüten getrieben wie die Angst vor einer Diktatur. Die Risikokommunikation von Regierung und Medien war katastrophal, führte in der Spitze zu Angststörungen und zur Ausgrenzung von Menschen und befeuerte so auch die Ängste der Ausgegrenzten. Verängstigte und zugleich angstschaffende Staatsorgane sowie eine verängstigte Bevölkerung sind rechtsstaatsgefährdend. Die Radikalisierung der Auseinandersetzung bis ins Bitterböse und Unerbitterliche hinein war die Folge. Die Aufarbeitung muss jetzt beginnen.”

Der politische Insider Wolfgang Kubicki (FDP-Vizechef und MdB) fordert in seinem Beitrag am 10. Dezember 2022 eine parlamentarische Aufarbeitung dieser “Mega-Krise”, um die Achtung vor unserer verfassungsmäßigen Ordnung wieder herzustellen. Kubicki schreibt weiter:

“Seit dem vergangenen Herbst und Winter hat sich nach meinem Empfinden etwas Entscheidendes verändert. Eine enorme Erschütterung ging durch die bereits arg coronagepeinigte bundesdeutsche Gesellschaft, die für viele bis heute nachwirkt.

So wurde ich vor ein paar Wochen am Rande einer Veranstaltung von einer Frau angesprochen, die den langen Weg quer durch die Republik nur deshalb auf sich genommen hatte, um mir persönlich zu danken. Sie hatte Tränen in den Augen. Sie erklärte, sie wüsste nicht, was mit ihr passiert wäre, wenn die allgemeine Impfpflicht jetzt hätte umgesetzt werden müssen – so wie es von einem großen Teil der Bundestagsabgeordneten vor einem Jahr geplant gewesen war.

Solche persönlichen Erlebnisse habe ich seit der erregten Debatte um die allgemeine Impfpflicht immer wieder. Diese individuellen Leidensschilderungen zeigen mir nicht nur, wie grausam die Kraft der Ausgrenzung in jenen Tagen auf viele gewirkt hat, sondern auch, wie wenige Identifikationsfiguren und Anknüpfungspunkte diese Menschen im öffentlichen Diskurs hatten. Kaum jemand ergriff damals öffentlich Partei, um diesen Menschen so etwas wie Halt oder Trost zu spenden.

Stattdessen wurden sie von Weltärztepräsidenten zu „Tyrannen“ gestempelt, von Kirchen mittels 2G herzlos ausgesperrt, ja sogar das Bundesverfassungsgericht verfügte „2G plus plus“ (also mit aktuellem PCR-Test) in seinen Räumen. Wer individuelle Gründe für sich geltend machen wollte, sich nicht impfen zu lassen, wurde im Diskurs gnadenlos überrollt, gesellschaftlich geächtet, mit schweren Nachteilen bedroht und als unsolidarisch gescholten. Obwohl ich selbst nicht von dieser Ausgrenzung betroffen war – ich habe mich mittlerweile aus Überzeugung das vierte Mal impfen lassen –, bekam ich eine Ahnung von der Wucht dieser Welle, als ich mich im vergangenen Jahr öffentlich gegen diese Art des Umgangs wehrte.

Als ich am Ende des Jahres 2021 im Interview mit der Zeit erklärte, vielen Impfpflichtbefürwortern scheine es im Hinblick auf die Ungeimpften um „Rache und Vergeltung“ zu gehen, brauste ein medialer Sturm los, der auch für mich den Rahmen des bisher Erlebten sprengte. Von der Süddeutschen wurde ich in die Nähe von Rechtsradikalen gerückt, vom Spiegel als „mental am Ende“, „fast im Verschwörerjargon“ redend bezeichnet.

Ich bin es gewohnt, öffentlich hart angegangen, beschimpft und beleidigt zu werden. Ich kann damit umgehen, zumal ich neben den üblichen Morddrohungen damals „nur“ heftigste, zum Teil ekelhafte und ehrverletzende Anwürfe erhielt. Doch was wurde Menschen zugemutet, denen in einem solch aggressiven Klima tatsächlich die grundsätzliche gesellschaftliche Teilhabe verwehrt wurde und die durch politische Maßnahmen in eine unentrinnbare Entscheidungssituation gebracht wurden? Warum hielt es ein großer Teil der politischen, medialen, gesellschaftlichen Eliten für geboten, von Einzelnen eine solche Geste der erzwungenen Unterwerfung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft zu fordern als Voraussetzung dafür, dass sie als dessen Teil wieder akzeptiert würden?

Denn dass die Ungeimpften zu Unrecht in die Rolle der Allgemeingefährder gebracht wurden, war spätestens klar, als sich die Berichte über Impfdurchbrüche häuften und die Zeitung Die Welt schlimme Mogeleien einiger Bundesländer bei den offiziellen Hospitalisierungszahlen zulasten der Ungeimpften aufdeckte. Dass dieser Umstand viele in ihrem Streben nach Vergeltung dann gar nicht mehr interessierte, sprach allen Beteuerungen Hohn, es ginge bei der Bewältigung der Pandemie um die Beachtung der Wissenschaft. In der Rückschau zeigt sich immer mehr, dass viele, die meinten, im gerechten Zorn auf Menschen zeigen zu können, eher von selbstgerechter Wut getrieben waren.

Wir haben nicht nur erlebt, dass viele Journalisten irgendwann nur noch eine coronapolitische Erzählung verteidigten, auf die sie sich einmal festgelegt hatten, anstatt der Wahrheit weiterhin auf die Spur zu gehen. Wir haben auch erlebt, dass dies politisch sogar kultiviert wurde. Die regelmäßigen journalistischen Hintergrundgespräche von Regierungssprecher Steffen Seibert an den Tagen vor den unsäglichen Bund-Länder-Runden waren dazu da, eine öffentliche Stimmung zu erzeugen, die die politische Linie Angela Merkels stützte. Journalisten machten sich damit offenbar zu Verkündern des Regierungsnarrativs und gaben ihre demokratische Aufgabe und ihre journalistische Selbstachtung an der Garderobe des Bundespresseamtes ab. Nicht nur das ist ein beispielloses Versagen, das einer Aufarbeitung bedarf.

. . .

Mindestens eine Enquete-Kommission muss sich deshalb dieses Themas mit der gebotenen Ruhe und Tiefe annehmen. Wer meint, dass das nicht nötig sei, unterschätzt die Wunden, die die politischen Entscheidungen bei vielen Menschen hinterlassen haben.”

 

Das Ziel dieser Aufarbeitung ist im Übrigen ein Lohnendes. Am Ende könnten wir uns wirklich verzeihen, uns die Hände reichen und uns versöhnen. Wir hätten zusammen gelernt, wie eine Wiederholung dieser Tragödie verhindert werden kann, die zusätzlich zur Pandemie unermesslich viel unnötiges Leid in die Welt gebracht hat.

Auf ein gutes, friedliches, hoffentlich gemeinsames Jahr 2023!

 

 

PS: Ich habe die Pandemiejahre überwiegend in Irland (Foto) erlebt. Hier hat sich ein gehorsames Volk anstandslos fast komplett durchimpfen lassen. Die Impfquote rangierte in Europa auf dem Siegerpodest. 3G kannte man hier gar nicht, von Freiheitsrechten wurde allenfalls am Rande geredet. Die Angst regierte gut und die vermeintliche Sicherheit kam weit vor der Freiheit. Der Impfpass war hier lange die Regel und man stieg direkt mit 2G in den Impfpass ein. Wir erlebten die europaweit härtesten Lockdowns, wurden monatelang in 2km- und 5km-Zonen eingesperrt. Alleine die traditionelle Durchsetzungsschwäche irischer Politik konnte als ein gewisser Vorteil gelten: Beschlossen wurde viel, kontrolliert eher wenig. Im Februar 2022 nahm die irische Regierung fast alle Maßnahmen und Einschränkungen zügig und konsequent zurück, das Leben normalisierte sich schnell. Die ideologisch-moralisierenden Konfrontationen, wie sie auf dem europäischen Festland tobten, gab es in Irland nicht.

 


Quellen und Nachweise:

1 “Warum die Wirksamkeit des Lockdowns wissenschaftlich nicht bewiesen ist”, in: Telepolis vom 18.12.2020
Studie über Corona-Maßnahmen: Wirkung von Radikal-Lockdowns „gering bis nicht vorhanden“, in: Merkur.de vom 3.2.2022
2 Jonas Schmidt-Chanasit: Wie der Journalismus die Virologen in zwei Lager aufteilte, in: Berliner Zeitung vom 24.12.2022
3 Richard David Precht, Harald Welzer: “Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist.” Frankfurt am Main, 2022; Wolfgang Kubicki über das Zusammenspiel von Regierungssprecher und Journalisten in der Pandemie, zitiert in diesem Beitrag; “Der aktivistische Journalismus und der Preis der Wahrheit”, ein Gastbeitrag von Tomasz Kurianowicz, in: Spiegel online vom 20.12.2022
4 Norbert Häring: Wie die WHO die sozialen Medien kontrolliert, in:  www.norberthaering.de
5 Heribert Prantl: “Noch nie hat das Bundesverfassungsgericht so versagt” in: Süddeutsche Zeitung online vom 30.20.2021, und: ders: “Mutlose Richter” in: Süddeutsche Zeitung online vom 3.12.2021
6 “Die Impf-Euphorie trübte den kritischen Blick: Medien, Politiker und Wissenschafter versprachen in Sachen Corona-Impfung zu viel. Und statt sich zu hinterfragen, beharren manche auf ihren Behauptungen”, in: Neue Zürcher Zeitung vom 31.10.2022
 7 Studie “Infection fatality rate of COVID-19 in community-dwelling populations with emphasis on the elderly: An overview”, in: medRxiv und: „Die Grippe ist gefährlicher als Corona“, Interview mit Franz Allerberger, in: Profil online vom 6.12.2022
8  “Corona-positiv trotz Booster: Wie schlimm sind Impfdurchbrüche?” in: ndr.de Ratgeber Gesundheit vom 27.4.2022
9 Eine Sammlung der öffentlichen Diskriminierungungen von Ungeimpften in den Medien durch Politiker, Prominente und Medienvertreter: Ich habe mitgemacht – Das Archiv für Corona-Unrecht

* Die Studie aus nature vom 8. Dezember 2022:

Discriminatory Attitudes Against the Unvaccinated During a Global Pandemic 

During the COVID-19 pandemic sizeable groups of unvaccinated minorities persist even in countries with high vaccine access. Consequently, vaccination became a controversial subject of debate and even protest. Here, we assess whether people express discriminatory attitudes in the form of negative affect, stereotypes and exclusionary attitudes in family and political settings across groups defined by COVID-19 vaccination status. We quantify discriminatory attitudes between vaccinated and unvaccinated citizens in 21 countries, covering a diverse set of cultures across the world.

Across three conjoint experimental studies (N=15,233), we demonstrate that vaccinated people express discriminatory attitudes towards the unvaccinated, as high as the discriminatory attitudes suffered by common targets like immigrant and minority populations. In contrast, there is an absence of evidence that unvaccinated individuals display discriminatory attitudes towards vaccinated people, except for the presence of negative affect in Germany and United States. We find evidence in support of discriminatory attitudes against the unvaccinated in all countries except Hungary and Romania and find that discriminatory attitudes are more strongly expressed in cultures with stronger cooperative norms. Prior research on the psychology of cooperation has shown that individuals react negatively against perceived free-riders including in the domain of vaccinations. Consistent with this, the present findings suggest that contributors to the public good of epidemic control (i.e., the vaccinated) react with discriminatory attitudes against perceived free-riders (i.e., the unvaccinated). Elites and the vaccinated general public appealed to moral obligations to increase COVID-19 vaccine uptake but the present findings suggest that discriminatory attitudes including support for the removal of fundamental rights simultaneously emerged.

Deutsche Übersetzung aus nature vom 8. Dezember 2022:

Diskriminierende Haltungen gegenüber Ungeimpften während einer globalen Pandemie 

Während der COVID-19-Pandemie gab es selbst in Ländern mit hohem Impfstoffzugang immer noch große Gruppen ungeimpfter Minderheiten. Infolgedessen wurde die Impfung zu einem kontroversen Thema, das zu Diskussionen und sogar Protesten führte. In dieser Studie wird untersucht, ob Menschen diskriminierende Einstellungen in Form von negativem Affekt, Stereotypen und ausgrenzenden Haltungen in familiären und politischen Kontexten gegenüber Gruppen äußern, die durch den COVID-19-Impfstatus definiert sind. Wir quantifizieren diskriminierende Einstellungen zwischen geimpften und ungeimpften Bürgern in 21 Ländern, die eine Vielzahl von Kulturen auf der ganzen Welt abdecken.

In drei gemeinsamen experimentellen Studien (N=15.233) konnten wir zeigen, dass geimpfte Menschen diskriminierende Einstellungen gegenüber ungeimpften Menschen zeigen, die genauso hoch sind wie die diskriminierenden Einstellungen, unter denen gewöhnlich Zielgruppen wie Einwanderer und Minderheiten leiden. Im Gegensatz dazu gibt es keine Belege dafür, dass ungeimpfte Personen diskriminierende Einstellungen gegenüber geimpften Personen zeigen, mit Ausnahme des Vorhandenseins eines negativen Affekts in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Wir finden Belege für diskriminierende Einstellungen gegenüber Ungeimpften in allen Ländern außer Ungarn und Rumänien und stellen fest, dass diskriminierende Einstellungen in Kulturen mit stärkeren Kooperationsnormen stärker ausgeprägt sind.

Frühere Forschungen zur Psychologie der Kooperation haben gezeigt, dass Menschen negativ auf wahrgenommene Trittbrettfahrer reagieren, auch im Bereich der Impfungen. In Übereinstimmung damit deuten die vorliegenden Ergebnisse darauf hin, dass diejenigen, die zum öffentlichen Gut der Seuchenbekämpfung beitragen (d. h. die Geimpften), mit diskriminierenden Einstellungen auf wahrgenommene Trittbrettfahrer (d. h. die Ungeimpften) reagieren. Die Eliten und die geimpfte Öffentlichkeit beriefen sich auf moralische Verpflichtungen, um die COVID-19-Impfquote zu erhöhen, aber die vorliegenden Ergebnisse deuten darauf hin, dass gleichzeitig diskriminierende Haltungen, einschließlich der Unterstützung für die Abschaffung von Grundrechten, aufkamen.