Pub Session in Kilcrohane, Sheeps Head

Schon gemerkt? Wir haben musikalische Woche auf dem Irland Blog. Zufall, die sich mit Absicht paart. Denn künftig wird der deutsch-irische Musiker Patrick Steinbach an dieser Stelle mehr über die vielfältige Musikszene Irlands berichten. Heute stellt er uns einen absoluten Geheimtipp vor, das Kilcrohane Musik-Festival “Craic on the Coast”. Kilcrohane liegt auf dem einsamen Sheeps Head in West Cork. Obwohl “Craic on the Coast ” seit eineinhalb Jahrzehnten über Ostern stattfindet, hat es bis heute eine liebenswert zurückhaltende (nämlich keine) Öffentlichkeitsarbeit: Wer online Informationen zum Festival 2011 sucht, das vom 22. bis 25. April stattfindet, und heute mit einem Konzert der Newcomer “The Calvinists” eröffnet wird, muss tief graben, um fündig zu werden. Das Kilcrohane Festival wird sich über Besucher trotzdem auch in diesem Jahr nicht beklagen müssen.

Patrick Steinbach hat in den vergangenen Jahren “Craic on the Coast” besucht. Hier sein Bericht:

“Das Kilcrohane Folkfestival existiert seit über 15 Jahren. In seinen Anfängen organisierten die Einwohner des nur wenige Häuser zählenden Dörfchens das Fest selber, in dem sie Nachmittage mit Tombola und Kuchenverkauf veranstalteten, um so die anfallenden Kosten und Musikergagen zu erwirtschaften. Während die Grösse und Form des Festivals über die letzten Jahre etwas variierte, so ist die Beliebtheit stets gewachsen. Grosser Pluspunkt ist, dass das Festival auch sehr stark von Musikern besucht wird, ja sogar etliche Musiker auf Gagen verzichten, um einfach nur dabei zu sein . . . . .

Besonders die Mischung von gebuchten Musikern und Session-freudigen Gastmusikern macht dieses Festival so unvergleichbar. Es ist vor allem ein Ort des Austausches und des gemeinsamen Feierns. Des Zuhörens und Mitspielens. Alles, was es gibt, sind diese drei Pubs, das Fitzpatrick´s, das Bay View Inn und das White House und eine kurzerhand zum Zeltplatz verwandelte Spielwiese 200 Meter ausserhalb des Dorfes.

Ein junger Mann mit einer Wollmütze trägt ein Waschbrett vor dem Bauch. Es ist ein gebogenes Stück Blech, welches man sich wie eine Schürze über die Schultern hängen kann, und das vorne etwa ein Zentimeter tiefe Riffelungen hat. Mit zwei einfachen Teelöffeln in der Händen fegt er darüber hinweg und entlockt seinem Waschbrett wahre Kunststücke. Ich habe solch ein Instrument noch nie zuvor im Einsatz gesehen. Ich hätte es eher mit Cajunmusik assoziiert. Aber der Waschbrettmann tut einen furchtbar guten Job. Er schlägt und fegt und wischt auf seiner wahrscheinlich selbst gebauten Rhythmusraspel, dass eigentlich die Funken fliegen müssten. In wahnsinnig schnellen Auf- und Abbewegungen schwingt er seine Arme über das metallene Waschbrett, holt manchmal sogar um ganze Armeslängen aus, um dann zielgenau irgendeine Synkope zu treffen. Vorzüglich, das anzuschauen.

Hank & Ray in Aktion. Der Dame schmeckt´s.

Für den späteren Nachmittag ist ein Gitarre-Mandolinen-Duo angekündigt. Hank Wedel, ein deutschstämmiger Ire mit einer gut klingenden aber schon sehr mitgenommenen Takamine Gitarre und sein Kollege Ray Barron aus Cork an der Mandoline. Beide etwas ergraute gemütliche Herren im besten Alter, die so völlig entspannt zwischen halbvollen Biergläsern eine kleine PA aufgebaut haben und dann nach einigen Minuten ohne grosse Ansagen einfach loslegen. Zuerst glaube ich nicht so ganz, was ich höre. Ein wahres Feuerwerk an locker gespielten Grooves und verspielt dazwischen geworfene Mandolinenlinien verraten zwei alte Haudegen, die sich blind auf den anderen Partner verlassen können. In allerbester Singer Tradition wechseln die Stile von schwungvollen Countryballaden, über angejazzte Folktunes zu echtem Rock´n´Roll. Es ist einfach eine Freude, den beiden beim Spielen zuzuhören. Nicht nur die beiden Musiker harmonieren perfekt miteinander. Auch die Instrumente, die die Jungs spielen, scheinen wie für einander geschaffen. Ray spielt zwei alte Gibson Mandolinen mit dem Schriftzug „The Gibson“ auf der Kopfplatte. Dadrauf angesprochen erklärt er mir In der Pause, dass dieses Logo nur auf Instrumenten zu finden ist, die vor 1920 gebaut wurden.

„Wanna have a go?“ fragt er mich. Ich schaue ihn ungläubig an, als er mir sein Instrument völlig selbstverständlich in die Hand drückt. Noch nie zuvor habe ich solch eine Rarität in den Händen gehalten. Für Ray ist dieses Musikinstrument kein heiliger Fetisch sondern schlicht ein unwahrscheinlich gut funktionierendes Arbeitsgerät. Ich spiele andächtig einige Tunes und erhalte sogar anerkennendes Schmunzeln. „Nice Irish Tune. What´s the name of it….?“ Und schon sind wir mitten drin in einem Gespräch über Instrumente, wie und wo man herkommt und all der ganze Kram, über den sich Musiker halt so unterhalten. Das Gespräch wird nach einigen Minuten von Hank unterbrochen, der sich mit einer Runde Bier zurück an den Tisch setzt. Man kann sich später weiter unterhalten. Let´s play music first.

Durch zufälliges Lauschen erfahre ich, dass eben im Bay View der bekannte Sänger John Spillane gesungen hat. Es muss ein ganz besonderes Erlebnis gewesen sein. John Spillane würde normalerweise in Cork oder in Dublin nicht unter 15 Euro in irgendeinem Konzertsaal zu sehen sein. Und hier in Kilcrohane,  hier könnte man den bekannten Sänger kostenlos in hautnaher und gemütlicher Umgebung erleben. Ich laufe die zweihundert Meter hinüber zum Bay View. Leute mit Gläsern inder Hand und Lächeln im Gesicht kommen mir entgegen. Das Bay View ist immer noch rappel voll. Von Spillane keine Spur. Dafür aber spielen drei Kinder im Alter von 10 oder 12 Jahren Akkordeon. Ich kenne das Lied. Es heisst Rodey McCorley und ist ein Rebell Song. Ich strecke meinen Daumen in die Höhe und nicke ihnen zu.

Wilder Tanz in Kilcrohane

Das White House liegt ungefähr eine Meile ausserhalb von Kilcrohane. Hier entdecke ich im hinteren Teil des Pubs drei ältere Herren, die um einen Tisch herum sitzen und gemütlich vor sich hin musizieren. Ihre Wahl der Waffen fiel auf Fiddle, Akkordeon und Mandoline. Eine friedliche Zusammenkunft graubärtiger netter Männer, die anscheinend nichts mehr schätzen als lockeres Zusammensitzen, gemeinsam Bier zu trinken und immer wieder die alten Stücke zu spielen. Es sind allesamt keine Überflieger oder Instrumentalvirtuosen, nein, beweisen muss hier niemand etwas. Und doch spielen sie so seelenruhig und verträumt vor sich her, dass es scheinen möchte, es wäre nur ein einziges Instrument. Sie spielen nicht besonders schnell, auch scheinen ihnen dramatische Steigerungen und Betonungen nicht sehr wichtig oder gar bekannt zu sein. Es plätschert alles so ruhig vor sich her, wie das beständige Schaukeln eines Fischerbootes. Und gerade das macht ihre Musik und ihr Auftreten so sympathisch.

Ich betrete die alte Scheune mit etwas Ehrfurcht, denn die Session ist schon in vollem Gang.  Ich setze mich an den Rand der Tanzfläche und stelle mein Bier ab. Es sind zwanzig oder dreizig Personen in der Scheune. Mitten unter ihnen Tim, the Brit. Der Tanzlehrer. Er trägt einfache Jeans und ein passendes blaues Jeanshemd und sieht mit seinen über sechzig Jahren umwerfend gut aus. Die Musiker auf der Bühne verstummen und Tim erklärt die nächsten Tanzschritte. Dazu benötigt er jeweils zwei Paare. Schnell finden sich ein paar bereitwillige und folgen Tims Anweisungen. „One two, into the center, one two, back to the rim.“

Es wird mir noch die ganze Nacht in den Ohren klingeln. Seine einfachen Anweisungen und seine nette Art lassen selbst mich alten Plumpsack nach ungefähr drei Minuten teilhaben an einer Tanzveranstaltung, die man sonst nirgendwo geboten bekommt. Tim lädt alle ein mitzumachen. Er beschreibt den folgenden Tanz als Abfolge von geometrischen Schrittmustern als würde es sich um getanzte Blumenbilder handeln. Er stellt die Musiker vor, die auf einer kleinen Bühne sitzen, Gitarre, Akkrodeon, Flöte und Bodhran, greift sich eine der umherstehenden Frauen und fegt mit ihr über die Tanzfläche, als wäre es das Normalste der Welt, in einer alten Scheune hinter dem White House ganz hinten am Sheep´s Head eine tolle Tanzparty zu erleben. Angeführt und vorgetanzt von einem Veteranen der alten Schule, Tim the Brit.

Im Hinterzimmer vom Fitzpatrick´s, einem kleinem Saal mit Kamin haben sich zwei Fiddlespieler, drei Flötisten und eine Frau an den Bones zusammengefunden. Bones, das sind zwei Rippenknochen einer Kuh, welche ähnlich den Kastanetten in den Händen gehalten werden. Durch rhythmischen Schlagen und Schlingern der Händen geraten nun die Knochen aneinander und geben einen hölzernen trockenen Klang wieder, der sich filigran in die Melodien der Flöten und Geigen einfügt. Alle Musiker spielen mit einer unglaublichen Energie und Präzision. Keiner schaut den anderen wirklich an. Fast alle Musiker haben die Augen geschlossen, konzentrieren sich voll und ganz auf den Tune und schaffen eine Intensität und Spannung, vor der ich nur meinen Hut ziehen kann.

Das Kilcrohane Musikfestival an Ostern vor ein paar Jahren war ein absolut gelungenes Event. Hat riesig Spass gemacht! Zwei Tage Zelten, überall coole Sessions, nette Leute, gemütliche Pubs, echte handgemachte Folk-Musik. Einfach nur  feiern, mitspielen und geniessen und durchatmen. Tagsüber raus auf die Klippen und in die Landschaft, abends zurück zum Tanzen, Lauschen und Mitsingen. Craic on the coast. Drei Tage  Irish Lifestyle pur. Jedes Jahr zu Ostern auf der Sheep´s Head Halbinsel im Südwesten Irlands.

See yeh there Ostern 2011 . . . . . Slainté!  Patrick Steinbach

Patrick Steinbach lebt als Musiklehrer, Musikmanager und Musikpublizist in Neu-Isenburg bei Frankfurt. Er verlegt Notenbücher für irische Musik, gibt Konzerte und veranstaltet  Konzertabende. Mehr Informationen zu Patrick gibt es auf dem Irland Blog und auf seiner Website.

Patrick Steinbach