Ferienzeit. Ich sehe die Bilder von den Flughäfen in Frankfurt, in Dublin, in London und gewinne den Eindruck: Sie wollen alle weg aus ihrem Alltag. Die Menschen im reichen Europa fliegen wieder – so viel wie seit dem Jahr 2019 nicht mehr. Nur die Flughäfen funktionieren gerade nicht so richtig. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe. Ein korrumpiertes, privatwirtschaftlich stranguliertes Gesundheitssystem, Klimakollaps, Kostenkrise. Neustart nach Corona: War da was? Wir machen munter weiter wie bisher. Was suchen die Urlauber? Die alte Normalität der Freizeit an einem anderen Ort? Ein Aufatmen und Luftholen vor der nächsten Großkrise?

Wo stehen wir gerade in dieser anstrengenden Zeit der permanenten Krisen? Wie haben wir die vergangenen zwei Jahre Gesundheits- und Gesellschaftskrise bewältigt und verarbeitet? Sind die fetten Jahre tatsächlich vorbei? Stimmt, was viele sogenannte Experten, aber auch meine Nachbarn und der Mann von der Tankstelle jetzt ständig behaupten: Stehen wir vor dem großen Kollaps der Lieferketten, der kapitalistischen Wirtschaft, gar der Zivilisation? Kommen ganz harte Zeiten?


Wir müssen die Corona-Jahre ordentlich aufarbeiten

Eigentlich sind sie schon seit Jahren hart. Das Coronavirus hat viele Menschen das Leben gekostet. Und zwei Jahre rigide Corona-Politik haben in unserer Gesellschaft massive Schäden angerichtet. Traumatisierte Kinder durch ungerechtfertigte Schulschließungen, hoffnungslose Jugendliche durch Lockdowns und Ausgangssperren – und jede Menge enttäuschte, verletzte, teils resignierte, teils radikalisierte Erwachsene, die in der Corona-Krise diskriminiert, ausgegrenzt, von einer vermeintlich moralisch überlegenen Mehrheit nieder gemacht wurden: Die Ungeimpften. Dies waren die schlimmstem totalitären Exzesse gerade der Regierungen in Deutschland und Österreich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Die klassischen Leitmedien haben sich völlig unkritisch unter dem Vorwand der Wissenschaftlichkeit auf die Seite der Mehrheitsmeinung und der Regierung geschlagen, sie haben eine vorurteilsfreie Meinungsbildung vereitelt, sie haben Angst geschürt, geteilt und ausgegrenzt. Sie haben wissenschaftlich relevante Studien, die nicht ins Bild passten, einfach unterdrückt. Sie haben auf breiter Front versagt. Dasselbe gilt für die Regierungen. Sie haben die Rechte der Parlamente missachtet, Grundrechte mit Füßen getreten,  den Schutz einer großen Minderheit in der Bevölkerung nicht gewährleistet, sie haben gespalten, diskriminiert und ausgegrenzt. 2G hieß die harmlos klingende Formel, die viel Leid und Not über uns gebracht hat.

Charles Eisenstein

Die Mehrheit der Menschen machte willfährig mit und stimmte ein in den Chor der moralisch vermeintlich überlegenen Masse. Man hatte mit dem Virus etwas gefunden, an dem man seine unspezifische Lebensangst fest machen, seine Getrenntheit und Isolierung kompensieren konnte. Sie erfanden die “Pandemie der Ungeimpften”. Der Philosoph Charles Eisenstein nannte dieses Phänomen “Mob Rule”, der belgische Psychologie-Professor Mattias Desmet analysierte in den Kategorien von Hannah Arendt “Mass Formation”, eine Massenhypnose, und das Aufziehen eines unsere demokratischen Gesellschaften bedrohenden technokratischen Totalitarismus, wo Big Tech und Big Pharma den Ton angeben.

Und jetzt? Jetzt will zumindest in der Politik jeder Recht gehabt haben, wie wir in Deutschland bei der Vorstellung des “Gutachtens des Sachverständigen-Ausschusses zur Corona-Pandemie” gerade wieder erfahren haben. Die Forschung ist am politischen Unwillen gescheitert, das RKI hat kläglich versagt: Es gibt bis heute keine verlässlichen Daten zum richtigen Umgang mit dem Corona-Virus. Zu keinem Zeitpunkt wussten wir zuverlässig, wie stark sich das Virus in der Bevölkerung tatsächlich verbreitet hat, wie viele Menschen wirklich krank waren, wie viele Menschen wirklich wegen Corona (und nicht mit) im Krankenhaus lagen. Und doch wurden wir täglich mit der aktuellen Inzidenz-Hitparade in Atem gehalten.

Von Einsicht, Reue, von Gesten der Annäherung oder gar von Entschuldigungen dennoch keine Spur. Immerhin hört man, dass es Schulschließungen, Lockdowns und Ausgangssperren – allesamt Maßnahmen, deren Wirksamkeit bis heute nicht bewiesen werden konnte, deren massive Schäden aber bestens bekannt sind – nicht mehr geben soll. Unterdessen schwindet auch in der geimpften Bevölkerung die Euphorie für die milliardenfachen gentechnischen Eingriffe in den menschlichen Körper, genannt Impfung. Unterdessen organisieren sich die vielen Menschen mit massiven Impfschäden und fordern ihr Recht ein, endlich gehört, erkannt und behandelt zu werden. Was ist geblieben von den anfänglichen Versprechungen der Impfung, die von den ganz Besessenen zum alternativlosen Akt der Solidarität hoch stilisiert wurde?

Es gibt eine Menge aufzuarbeiten aus den vergangenen zwei Jahren. Wer gibt den jungen Menschen die Zuversicht zurück? Wer tröstet die Ausgegrenzten, die Diskriminierten, die Leute, die ihr Geschäft, ihren Beruf verloren haben? Wer sucht die Annäherung mit einstigen Freunden und entzweiten Verwandten? Wer versucht, verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen? Es ist nun wichtig, sich jetzt nicht weg zu ducken, jetzt nicht zu verdrängen und nicht die Dinge zurecht zu biegen, wie es uns passt. Wir alle sollten uns nun um eine ehrliche Aufarbeitung bemühen, schon alleine, damit sich diese gesellschaftliche Katastrophe nicht wiederholt.

 

Sie wollen alle weg . . .

 

Wann fing diese Permakrise eigentlich an?

Andererseits wollen wir das alles nicht mehr hören und erst mal den Sommer genießen. Wir brauchen eine Auszeit von der Permakrise. Wann fing diese Krisenzeit eigentlich an? Mit Corona im Jahr 2020? Mit der Finanzkrise 2008? Vielleicht schon mit den Terrorjahren nach 9/11?

Und jetzt dieser brutale Krieg mitten in Europa, der nun seit vier Monaten andauert – und der abermals unsere ganze Aufmerksamkeit einfordert. Wir wollen zwar nicht kämpfen, aber wir drücken der Ukraine im eigenen Interesse die Daumen und fordern mehr Waffen, Waffen, schwere Waffen. Deutschland wird jetzt wieder Führungsmacht. Die Abweichler, die eine Verhandlungslösung fordern, werden erneut intolerant nieder gemacht, medial nieder gebrüllt. Und während Russland die Getreideexporte aus der Ukraine blockiert, füttert der Westen im großen Stil die wohlstandswahrenden Verbrennungsmotoren mit Bio-Treibstoff: Mit dem Getreide und den Ölsaaten, die heute als Biodiesel verbrannt werden, könnten knapp zwei Milliarden Menschen ernährt werden. Der Hungertod auf dieser Erde hat mehrere Ursachen – und einige haben mit uns selber zu tun.

Im Hintergrund schwelt derweil die Klimakrise weiter, sie wird nun zur Rettung unseres überbordenden Lebensstils in der Priorität erst einmal herunter gestuft. Erst das Gas her, und dann die Moral, beziehungsweise die Klimarettung. Hinter dem Begriff der Klimaschutzpolitik, leicht erkennbar mittlerweile als Etikette für ein neues riesiges Geschäftsfeld (“Green New Deal”) wird das ganze Elend der gewaltigen Zerstörung unseres Planeten versteckt: Die Vernichtung nicht-menschlichen Lebens durch Nutztier- und Agrar-Wirtschaft verursacht eine Massenausrottung der Tier- und Pflanzenarten. Windparks zerstören die letzten bewaldeten Lebensräume. Die Meere sterben durch Plünderung, Sauerstoffarmut und Vermüllung. Dazu kommen noch mindestens 40 Jahre Bevölkerungswachstum, Luftverschmutzung, Bodenverlust, Wasserknappheit, Wasserverunreinigung durch endokrine Disruptoren und das globale Plastikmüll-Desaster. Der von Menschen verursachte ökologische Kollaps der Erde ist ein sehr wahrscheinliches Szenario geworden. Der Kapitalismus hat gesiegt und wird uns alle besiegen. Wir haben uns die Erde untertan gemacht und dabei nicht gemerkt, dass wir uns selber mit in den Abgrund reißen.

Und dann die Altagssorgen: Die Wirtschaft taumelt – und wir mit ihr – zwischen Superinflation und Zinserhöhungen. Das Leben hat sich massiv verteuert, unser Geld wird entwertet, der Wohlstand beginnt zu schwinden, die Armut weitet sich auch im reichen Europa aus. Von Rezession, Depression und jahrelanger Stagflation ist die Rede. Die Globalisierung ist weitgehend gestoppt. Die Welt fällt zurück in die Bi- oder gar Multipolarität. Wir scheinen mit unserem Latein am Ende. Endspielstimmung hat sich breit gemacht.

 

 

Die alte Welt ist am Ende. Eine neue zieht herauf

Andererseits: Was wäre, wenn dieser Wohlstand-Wachstums-Wahnsinn ungebremst weiter ginge? Wenn das entgrenzte westliche Lebensmodell tatsächlich das Ende der Geschichte bringen würde (und damit wohl das Ende des Menschheitsprojekts)? Wenn uns Entfremdung und Trennung von der Natur, von den anderen und von uns selbst weiterhin im Bann halten, wenn wir weiter Konkurrenz statt Kooperation leben? Wenn unsere rücksichtslose Art zu wirtschaften das nicht-menschliche Leben auf der Erde komplett ausrottet?  Wenn das rational-mechanistische Denken und Forschen uns noch mehr Gott spielen lässt und den Menschen in die transhumanistische Ehe mit Maschine und Künstlicher Intelligenz zwingt? Wenn die technokratische Elite des Silicon Valley noch mehr Zugriff auf unser aller Leben nimmt und große Teile der Menschheit in die virtuellen Räume des Metaverse einsaugt?

Phantasien? Keineswegs: Die großen Konzerne der Welt suchen verzweifelt nach einem Ausweg aus dem wirtschaftlichen Niedergang und arbeiten sowohl fieberhaft an transhumanistischen Projekten als auch am Aufbau einer dreidimensionalen Parallelwelt, dem Internet der Zukunft, dem Metaverse. Dort soll der Mensch von seinem Avatar repräsentiert werden, der in der virtuellen Welt all das tun und konsumieren kann/muss, wie einst der Mensch in der materiellen Welt. Schon 2024 sollen im Metaverse 800 Milliarden Dollar verdient werden. Und der Strom dafür kommt aus dem Windrad . . .

Wir müssen da nicht hin gehen. Wir müssen da nicht mit machen. Es gibt genügend Gründe, im Scheitern dieser alten Welt vornehmlich die Chancen für eine neue zu sehen. Wir leben in einer Zeit zwischen den Zeiten, zwischen zwei großen Narrativen, inmitten eines großen Paradigmenwechsels, im Zeitalter der Transformation. Die alte Welt ist am Ende, die neue können wir noch nicht richtig erkennen. Das macht uns unsicher, verletzlich, ängstlich und gereizt. Wir spüren aber deutlich: So wie bisher kann es und wird es nicht weiter gehen. Wir haben zu lange falsch gelebt. Wir sind den großen und wichtigen Fragen zu lange ausgewichen. Wir haben zu lange all die vielen falschen Kompromisse gemacht, die uns mehr und mehr kompromittiert und korrumpiert haben. Es ist an der Zeit, dies zu beenden und aufzuwachen. Zeit, unser Leben zurück zu erobern. Zeit, neue Wege zu gehen in eine menschliche Welt. Der Gegenkultur-Philosoph Charles Eisenstein  schreibt in seinem Buch: “Eine schönere Welt ist möglich – und unser Herz kennt sie”:

“Auf einer gewissen Ebene wissen wir es alle besser. Dieses Wissen wird selten klar artikuliert, so dass wir es stattdessen indirekt durch verdeckte und offene Rebellion zum Ausdruck bringen. Sucht, Selbstsabotage, Aufschieberitis, Faulheit, Wut, chronische Müdigkeit und Depression sind alles Wege, auf denen wir unsere volle Teilnahme an dem uns angebotenen Lebensprogramm verweigern. Wenn der bewusste Verstand keinen Grund findet, Nein zu sagen, sagt das Unbewusste auf seine eigene Weise Nein. Immer mehr von uns können es nicht mehr ertragen, in der ‘alten Normalität’ zu verharren.”

Es ist an der Zeit, dass wir uns die alten großen Fragen wieder stellen, dass wir unseren lange vernachlässigten inneren Kompass neu ausrichten – dass wir von all dem Außen in unsere Mitte zurück kehren und endlich ernst machen. Fragen wir uns:

Wer bin ich?
Was ist der Mensch?
Warum geschehen die Dinge?
Was ist der Sinn des Lebens?
Was ist heilig?
Wer sind wir als Gesellschaft?
Woher kommen wir und wohin gehen wir?
Wer will ich künftig sein?”

 

 

Wir stehen vor wichtigen Entscheidungen

Die alte Welt ist am Ende. Doch das ist nicht das Ende der Welt. Wie könnte ein künftiges Leben, wie eine neue Welt aussehen? Wer wird sie erschaffen, wie wird sie entstehen? Wenn wir genau hinsehen, gibt es heute schon viele Menschen, die mit der alten Welt gebrochen haben, die sich auf die Suche gemacht haben, die ein anderes Leben ausprobieren und einüben. Es ist frei von Wachstums- und Leistungszwang, es beruht auf Kooperation statt auf Konkurrenz, es ist wertegebunden, Werte und Taten sind endlich wieder deckungsgleich. Ich tue, was ich denke und was ich sage. Es ist bescheiden, demütig und solidarisch. Leben und Wirtschaften wird wieder lokal sein, die Verantwortung gilt dem Ort, an dem wir leben und arbeiten. Menschen werden sich nicht länger getrennt und entfremdet fühlen von der Natur, von den anderen Lebewesen, den anderen Menschen, nicht von ihrer Arbeit und nicht von sich selbst.

Konfrontation? Es wird wohl so sein, dass die Spaltung der postmodernen Gesellschaft nicht aufzuhalten ist, dass in den kommenden Jahren auf drastische Weise Parallelgesellschaften entstehen werden, dass der Kampf um das Menschenbild der Zukunft in divergierenden Lebensstilen münden wird:  Transhumanisten gegen Bäume-Umarmer und Hippies, Bewohner des Metaverse gegen Bewohner und Bewahrer der materiellen Welt, Maschinen- gegen Naturgläubige.

Wir werden wichtige Entscheidungen treffen müssen, welche Richtung wir an dieser bedeutenden Weggabelung für die Menschheit einschlagen.

Ferienzeit. Ich sehe die Bilder von den Flughäfen in Frankfurt, in Dublin, in London und gewinne den Eindruck: Sie wollen alle weg. Wohin nur? Sind sie in ihren Leben nicht daheim?


ZUR VERTIEFUNG DES THEMAS:

Transhumanismus und Metaverse: Charles Eisenstein (www.charleseisenstein.org) erklärt die Konzepte und die treibenden Kräfte, sowie unsere Optionen, damit umzugehen. KlicK (Audio-Essay, in Schriftform hier: KlicK)

Metaverse: Die neue Initiative von World Economic Forum und 60 Partnern zum zügigen Aufbau des dreidimensionalen Internets. KlicK

Mass Formation: Der belgische Psychologie-Professor Mattias Desmet analysiert die neuen totaitären Züge in demokratischen Gesellschaften, erklärt die Phänomene Mass Formation und Massen-Hypnose. KlicK

Pandamned: Der neue Dokumentarfilm von Marijn Poehls stellt die Corona-Jahre in einen größeren Zusammenhang und gibt Stimmen Gehör, die in den Mainstream-Medien nicht berücksichtigt wurden. Ein über zweistündiges Kontrastprogramm zum offiziellen Narrativ. Auch in Deutsch. KlicK


Fotos: Antje Wendel  (2. v.u.) Eliane Zimmermann (ganz unten); Google, Charles Eisenstein priv. ; Markus Bäuchle (2)