Die Natur und wir: Warum sind wir Menschen so im Unreinen mit der Natur? Warum zerstören wir sie so bedenkenlos? Woher kommt der tiefe Riss? Weil wir im Unreinen mit uns selber sind, weil wir uns selber verloren haben, weil wir vom kalten Verstand in Geiselhaft gehalten werden und das Empfinden verlernt haben, sagt Thomas Vogel und rät zur Umkehr durch Mäßigung.

 

 

 

 

“Ohne Mäßigung im Sinne eines rechten Maßes im Verhältnis zur Natur wird es der Menschheit kaum gelingen, ihre Lebensgrundlagen zu erhalten. Mäßigung ist aber nicht allein ein Mittel zum Zweck der Rettung der Welt, sondern seit Jahrtausenden eine philosophische Einsicht auf dem Weg zu Zufriedenheit und Lebensglück.”

 

Der folgende Text ist ein Auszug aus dem aktuellen Buch Mäßigung von Thomas Vogel. Untertitel: Was wir von einer alten Tugend lernen können. Der Pädagogikprofessor an der PH Heidelberg geht der Frage nach, warum es uns Menschen in den Industrienationen (noch) nicht gelingt, unseren Konsum und unsere Ansprüche zu mäßigen. Kann es dem einzelnen überhaupt gelingen, in unser Überfluss-Gesellschaft Maß und Mitte wieder zu finden und damit einen eigenen Beitrag zur Bewahrung der Lebensgrundlagen auf unserer ökologisch angeschlagenen Erde zu leisten? Thomas Vogel versucht, den unpopulären und verstaubten Begriff Mäßigung zu rehabilitieren und beschreibt das Prinzip der Mäßigung als Grundlage für unser Überleben sowie für ein individuell gutes und glückliches Leben.

Das Buch bietet einen populär-philosophischen Streifzug zum Konzept der Mäßigung von Plato über Goethe und Schelling bis Foucault, und den Versuch, ein alternatives Fortschrittsmodell zu entwickeln für die Bewältigung der tiefen ökologischen und existentiellen Krise der Gegenwart. Vogels Kernfrage lautet: Können wir Mäßigung lernen? Seine Antwort: Ja,  durch Moralentwicklung, ästhetische Bildung und die Stärkung der eigenen Person. Lektüre empfohlen. 189 Seiten, Oekom Verlag 2018, 17 Euro. Es kann hier beim sozialen Online-Buchhändler Buch 7 bestellt werden: Buch 7.

Hier einige kurze Auszüge aus Thomas Vogels Buch:

Die Ausgangslage:

“Der gegenwärtige verschwenderische, naturzerstörende Lebensstil in den entwickelten Indutriegesellschaften geht unweigerlich seinem Ende entgegen. Dieses Ende kann in zweierlei Hinsicht eintreten: Indem uns die Natur – vermutlich auf sehr schmerzhafte und verlustreiche Weise – die Grenzen aufzeigt oder indem der Mensch die Gefahren der gegenwärtigen Entwicklung erkennt und zur Einsicht gelangt, dass er sich mäßigen muss. Die triviale Erkenntnis, dass die Wirtschaft auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen nicht unbegrenzt expandieren kann, hat uns der Club of Rome mit seinem Bericht über die “Grenzen des Wachstums” bereits vor über vier Jahrzehnten aufgezeigt. Für die Einsicht, dass ständiges Wachstum nicht möglich ist und dass der Mensch sich immer, dem rechten Maß folgend, gegebenen Grenzen fügen muss, hätte es aber im Grunde keiner wissenschaftlichen Studie bedurft – hierfür hätte gründliches Nachdenken ausgereicht, wie uns die Philosophie der Mäßigung schon vor über 2500 Jahren gezeigt hat.

[…]

Im Wesentlichen gibt es drei Erklärungen für Maßlosigkeit in unserer Gesellschaft: Erstens war es entwicklungsgeschichtlich für den Menschen über lange Zeit – man denke nur an unsere Vorfahren in der Steinzeit – immer ein (Überlebens-)Vorteil, mehr zu haben als zu wenig. Das hat sich der Menschheit ins Bewusstsein eingeprägt. Zweitens müssen die meisten Menschen in den Industrieländern ständig in entfremdeten Verhältnissen arbeiten, die ihnen ein hohes Maß an Selbstdisziplin abfordern. Ständiges Konsumieren bietet den Menschen einen vermeintlichen Ausgleich für Arbeitsleid und für ungenügende soziale Anerkennung. Drittens schließlich erklärt die (Sozial-)Psychologie die gegenwärtige Maßlosigkeit damit, dass das Leben, das uns Menschen auferlegt ist, zu schwer ist. Es bringt viel Schmerz, Enttäuschungen und unlösbare Aufgaben, die nicht bewältigt werden können, und um dieses Leben ertragen zu können, benötigen wir Linderungsmittel durch Zerstreuung, Konsum oder Rauschmittel.

 

Zu einer Kultur der Mäßigung:

Neben der Produktion und dem Wirtschaftssystem muss sich auch der Verbraucher verändern und sich von Konsummustern des Immer-mehr lösen, das heißt weniger kaufen und gleichzeitig die Dinge entsprechend länger nutzen. Somit muss der Konsument weniger auf die Quantität als vielmehr auf die Qualität achten und die Dinge länger gebrauchen und nach Möglichkeit reparieren. Es ist beispielsweise viel sinnvoller, sich seltener neu einzukleiden, dafür aber hochwertigere Kleidung zu kaufen.

Eine wichtige Voraussetzung für diesen Wandel hin zu einem rechten Maß ist die Versöhnung von Mensch und Natur. Diese erfordert die Bereitschaft der Gesellschaft, ihre ökonomischen, technologischen und politischen Kräfte gegen die gegenwärtige Naturentfremdung zu richten.

[…] Erst das Wissen vom “Ich” begründete den Zerfall der ursprünglichen Einheit vom Sein von Mensch und Natur, von Subjekt und Objekt.  […]   Heute stehen wir vor der historischen Aufgabe einer neuen Konstitution der Einheit von Mensch und Natur, die allerdings nie wieder den Urzustand eines Einsseins erreichen kann. […] Ein Lösungsansatz zur Überwindung der gesellschaftlichen Naturkrise muss bei dem Versuch ansetzen, Natur im Einklang mit Arbeit, Produktion und Konsum zu gestalten.

 

Können wir Mäßigung lernen?

“Sich bilden, das ist wie aufwachen”. Durch das Erwachen, die Entwicklung von Selbsterkenntnis und Selbstbewusstsein kann es gelingen, die durch die Kultur hervor gerufenen Prägungen  (Immer mehr! Mehr Wachstum ist gut, MB.) in ihren verschiedenen Zielsetzungen und Widersprüchlichkeiten zu erkennen. Erst auf dieser Grundlage wird eine vernunftgeleitete Selbstbestimmung möglich, die auch über ein rechtes Maß im Leben zu reflektieren erlaubt. […]  Die Selbsterkenntnis führt zur Klärung der eigenen Bedürfnisse, Fähigkeiten  und Zielsetzungen […] , sie dient auch der Einsicht, welche Bedürfnisse nur von außen durch Manipulation aufgedrängt werden und letzlich nicht dem eigenen Wohlbefinden dienen. So kann der Mensch die Fähigkeit erwerben, Souveränität über sich selbst zu gewinnen. Auf dem Weg zur Selbsterkenntnis kann Bildung einen Beitrag zur Entwicklung von Techniken der Übung und Disziplin leisten.  (Anm: Es folgt die Begründung, dass diese Übungen immer auch lustvoll sein können und sollen, MB)

 

Mäßigung durch ästhetische Bildung:

Einen großen Beitrag zur Wahrnehmung der Krise hat vermutlich aber auch (Anm: neben ökologischen Katastrophen wie Tschernobyl, MB) die Zerstörung der Ästhetik der Umwelt geleistet. Sachs behauptet deshalb, die Umweltbewegung sei eher aus einem ästhetischen Impuls heraus entstanden […] Er meint, dass sich der Protest am Beginn besonders gegen die weitere Verbeitung des Hässlichen und des Zerstörerischen – also der konkreten Erfahrung der Disproportionalität, des Unmäßigen, der Maßlosigkeit – gewendet habe. Der Verlust des rechten Maßes in seinen vielfältigen Formen beförderte das Krisenbewusstsein der Menschen. Die Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis lautet, dass erst eine “Ästhetik des Maßes” die Menschheit wieder zur Besinnung bringen kann. […]  Ästhetische Bildung kann dazu beitragen, dieses Gespür zu erhalten und zu fördern. […]  Während die gegenwärtige Kultur und in ihr die Bildungsprozesse auf die Nutzung der Natur und deren Unterdrückung gerichtet sind, wäre für eine Versöhnung mit ihr heute weit mehr eine Bildung der sinnlichen Empfänglichkeit für die Freiheit und Schönheit der Natur erforderlich. (Im Folgenden zitiert der Autor Friedrich Schiller, der bereits vor 200 Jahren die “Ausbildung des Empfindungsvermögens” zur Entwicklung von (Mit-) Gefühl für die Kultur als ein dringendes Erziehungsziel und als Gegenbewegung zur Kälte des rational-ökonomischen Denkens sah.

 


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Leben nach dem rechten Maß:

In einem Wirtschaftssystem wie dem unseren, das dem Wachstum, dem Überfluss und der Verschwendung seine Existenz verdankt, finden Menschen, die sich selbst beherrschen und zugleich mäßigen können, wenig Anerkennung. Der Kapitalismus braucht entwurzelte, verängstigte, unzufriedene und potentiell unglückliche Menschen; denn solche Menschen benötigen zur Befriedigung stets neue Erlebnisse und Konsumgüter, wodurch das Wirtschaftswachstum beschleunigt und der Profit gefördert werden. Menschen hingegen, die ein Bewusstsein von soch selbst besitzen und zur Herrschaft über sich sowie über ihre Bedürfnisse in der Lage sind, erscheinen in diesem System eher suspekt. Dieses System des Immer-mehr jedoch zerstört die natürlichen Lebensgrundlagen. Die Menschheit muss sich mäßigen, will sie eine lebenswerte Zukunft für sich und künftige Generationen erhalten.

[…]

Bereits ohne Kenntnis einer ökologischen Krise hatte der Philosoph Friedrich Wilhelm Schelling aus der Analyse der Struktur neuzeitlichen Denkens die Naturkrise vorausgesehen. In seinen “Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit” (1809) hatte er deshalb davor gewarnt, dass die Menschen durch die Absolutsetzung ihres Geistes ihre Lebensgrundlagen zerstören würden. […] Die Philosophie müsse einen neuen Begriff der Natur konstruieren, Schelling forderte, nach einem “geheimen Band” zu suchen, “das unseren Geist mit der Natur verknüpft”.

[…]

Aber wie gelangt der Mensch zum rechten Maß? Und wie findet die Menschheit das rechte Maß in ihrem Naturverständnis? Das Individuum müsste eigentlich Mäßigung nicht erlernen; denn jeder Mensch mit einem gesunden Verstand und einer natürlichen Sensibilität trägt in sich ein Gespür für das rechte Maß. Dieses Gespür kann allerdings – kulturell bedingt – abstumpfen und sogar in Süchten krankhaft degenerieren. Bildungsprozesse können dem vorbeugen. Unser Bildungssystem könnte Rahmenbedingungen schaffen, unter denen man die Tugend der Mäßigung erlernen kann. Hierzu gehört die Förderung einer ästhetischen Bildung. In einer überkomplexen, beschleunigten Welt müssen die Menschen kaum etwas dringlicher lernen, als innezuhalten, um das Schöne in der natürlichen und sozialen Mitwelt wahrzunehmen und zu würdigen.”

 

Thomas Vogel, Mäßigung. Was wir von einer alten Tugend lernen können. 189 Seiten, Oekom Verlag 2018, 17 Euro.

Das Buch kann hier beim sozialen Online-Buchhändler Buch 7 bestellt werden: Buch 7.

 

Zum Schluss eine Überlegung zur ästhetischen Bildung aus Friedrich Schillers 17. Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen (1793-95). Durch Schönheit kann in dem angespannten Menschen die Harmonie wiederhergestellt werden und in dem abgespannten die Energie. Der jeweils eingeschränkte Zustand wird auf einen absoluten, ästhetischen Zustand zurückgeführt, in dem der Mensch in Einheit mit seiner Natur und so ein vollendetes Ganzes ist. Freiheit kann nur auf diese Weise erfahren werden. Überwiegt einer der beiden Grundtriebe, befindet sich der Mensch in einem Zwangszustand, dem Zwange der Empfindungen oder dem Zwange von Begriffen. (Quelle: Wikipedia).