
Es ist nicht das erste Mal dass kontinentaleuropäisches Ästhetikempfinden und irische Lässigkeit auf diese Weise zusammen kommen. Kein Ire dreht sich um, wenn Bauer Paddy mit lehmverschmierten Gummistiefeln zum Gottesdienst erscheint, keine Irin rümpft die Nase, wenn Nachbarin Mary ihr Kind im verbeulten SchlafTrainingsanzug von der Schule abholt. Versabbelte Krawatten regen hier niemanden auf, ungeschminkte Gesichter sowieso nicht. Mindestens ein Riss in der Zimmerwand gehört irgendwie zu jedem Haus dazu, genauso die drucklos tröpfelnde Dusche, die flackende Glühbirne, der quietschende Fußboden. Kreischende Farbzusammenstellungen an Hausfassaden, riesige Blumenmuster an Gardinen oder Bettwäsche, Plastikblumen an Fenstern und auf Restaurant-Tischen sind oft so skuril, dass sie schon wieder etwas Künstlerisch-Originelles an sich haben. Wildwuchs an und vor Haustüren werden genauso wenig wie unsortierte Wäscheberge in Wohnzimmer-Ecken als „eyesore“ (Augenschmerz) empfunden. Weder Frittengeruch an der Kleidung noch ein gewisser Muff-Mief in Gebäuden (bei oft 80% Luftfeuchtigkeit völlig normal) fällt irgendwie unangenehm auf.
Farblich, gestalterisch und auch menschlich gibt es auf der Grünen Insel also viel Toleranz und damit auch viel Freiheit. Beides wirkt ungemein befreiend auf die Seele. Es muss nicht alles perfekt sein, auch krumm gebaute Wände schützen vor Regen, auch eine schrecklich geblümte Jacke hält warm. So what!
…eine schrecklich geblümte Jacke…! Eine Freundin aus Wales pflegt solche modische Verirrungen gelegentlich mit „I’ve seen a sofa in that fabric“ zu kommentieren ;-)
Wunderbar! Ich kann mir auch denken, welcher Laden das war – ich war beim ersten Mal auch schockiert ;)