Kürzlich in einem Kaufhaus am Rande der zweitgrößten Stadt Irlands Cork: Eine deutsche Frau möchte den freien Tag zum seltenen Shopping nutzen und sich die Garderobe etwas aufhübschen. Nicht dass sie zu einer exklusiven Boutique pilgern möchte, auch das Angebot im schicksten Shoppingtempel der Innenstadt passt nicht so recht zum Landleben mit Tieren und Blumenerde. Einfach mal wieder eine bequeme Hose war angesteuert, wie letztes Jahr bei derselben Kaufhauskette erstanden. Doch die Ästhetik der Damenabteilung wirkt sich mal wieder eher positiv auf den Spartrieb aus; nach dem etwas verschämten Umdrehen und Foto-Klick-Machen verlässt sie den Konsumtempel lieber. Und wundert sich, dass keine andere Frau irgendwie in Aufregung oder zumindest Verwunderung verfällt. Andererseits: Warum eigentlich so penibel sein, warum muss alles so aufgeräumt sein, so durchgestylt, so germanisch-perfekt?

Es ist nicht das erste Mal dass kontinentaleuropäisches Ästhetikempfinden und irische Lässigkeit auf diese Weise zusammen kommen. Kein Ire dreht sich um, wenn Bauer Paddy mit lehmverschmierten Gummistiefeln zum Gottesdienst erscheint, keine Irin rümpft die Nase, wenn Nachbarin Mary ihr Kind im verbeulten SchlafTrainingsanzug von der Schule abholt. Versabbelte Krawatten regen hier niemanden auf, ungeschminkte Gesichter sowieso nicht. Mindestens ein Riss in der Zimmerwand gehört irgendwie zu jedem Haus dazu, genauso die drucklos tröpfelnde Dusche, die flackende Glühbirne, der quietschende Fußboden. Kreischende Farbzusammenstellungen an Hausfassaden, riesige Blumenmuster an Gardinen oder Bettwäsche, Plastikblumen an Fenstern und auf Restaurant-Tischen sind oft so skuril, dass sie schon wieder etwas Künstlerisch-Originelles an sich haben. Wildwuchs an und vor Haustüren werden genauso wenig wie unsortierte Wäscheberge in Wohnzimmer-Ecken als “eyesore” (Augenschmerz) empfunden. Weder Frittengeruch an der Kleidung noch ein gewisser Muff-Mief  in Gebäuden (bei oft 80% Luftfeuchtigkeit völlig normal) fällt irgendwie unangenehm auf.

Farblich, gestalterisch und auch menschlich gibt es auf der Grünen Insel also viel Toleranz und damit auch viel Freiheit. Beides wirkt ungemein befreiend auf die Seele. Es muss nicht alles perfekt sein, auch krumm gebaute Wände schützen vor Regen, auch eine schrecklich geblümte Jacke hält warm. So what!