Overtourism. Barcelona, Venedig, Dubrovnik, Island, Palma de Mallorca – und jetzt auch Irland: Einheimische begehren gegen den überbordenden Massentourismus auf. In der Burren-Gemeinde Ballyvaughan im County Clare machten frustrierte Bürger anfang August ihrem Ärger über die Gästeflut Luft, die das Leben der Einheimischen nun vielerorts auch in Irland negativ beeinflusst. Wenn aus Besuchten Heimgesuchte werden, wenn sich die Einheimischen zuhause nicht mehr daheim fühlen, wenn zu viele Menschen, zu viel Verkehr, Unfälle, Lärm und Gestank den sommerlichen Alltag in einen andauernden Ausnahmezustand verwandeln, dann stehen die Tourismus-Entscheider in der Verantwortung: Overtourism, aus den Fugen geratener Massentourismus sorgt nun auch in den Hotspots der irischen Ferienlandschaften zu Konflikten zwischen Einheimischen und Besuchern.
In Ballyvaughan verlangten die aufgebrachten Menschen ihr Leben zurück, sie forderten Rücksicht, Beschränkungen und mehr Mitsprache im Tourismusgeschäft ein. Ihr Protest richtet sich vor allem gegen den überbordenden Tagestourismus der Buskolonnen aus Dublin. Dutzende Touristenbusse verstopfen tagtäglich auf gefährliche Weise die engen Straßen des Burren, verwandeln Hotspots wie Doolin, Kinvara, Liscannor oder Ballyvaughan in Rummelplätze. Die Tagestouristen geben vor Ort meist kaum Geld aus, sie bleiben nur für ein paar Foto-Shoots – und hinterlassen allenfalls ihren Müll. Die große Mehrheit der Besuchten profitiert wirtschaftlich in keiner Weise von den Touristenbussen aus Dublin, die wie Heuschreckenschwärme den landschaftlich faszinierenden Westen der Insel abgrasen.
Viele Einheimische fühlen sich paddywaggonned
Vor allem Irlands größter Busreiseveranstalter Paddywagon steht an der irischen Atlantikküste mittlerweile im Kreuzfeuer – und ein neuer Begriff macht die Runde: Viele Einheimische fühlen sich schlicht paddywagonned, überrollt von den grünen Bussen aus Dublin. Das 1998 gegründete Unternehmen feiert sich als „eine der beliebtesten irischen Marken“ und stellt sich prahlerisch auf eine Stufe mit Kerrygold, Guinness und U2. Die heimgesuchten Irinnen und Iren denken beim Anblick der grünen Busse eher an Bierkater, hohes Cholesterin und Ohrwürmer.
Der Übertourismus an Irlands Atlantik von West Cork bis Connemara hat seine Ursachen nicht nur in den grünen Bussen aus Dublin. Billigflüge, die Airbnb-Pandemie und die Macht der sozialen Medien haben in den vergangenen Jahren manche beschauliche Orte in wild besuchte touristische Hotspots verwandelt. Die Zahl der Wohnmobile auf Irlands Straßen hat dramatisch zugenommen – der explosive Campervan-Boom sorgt mittlerweile für zahlreiche Streitigkeiten zwischen Besuchern und Besuchten – und die Menschen in den Städtchen und Dörfern, die von Kreuzfahrtschiffen angefahren werden, leiden unter den gewaltigen Menschenmengen, die sich wie aus dem Nichts spukartig durch die Straßen wälzen, nur um zwei, drei Stunden später wieder abzuziehen. Ein typischer Kreuzfahrten-Tsunami befördert auf einen Schlag ein- bis zweitausend Menschen an Land.
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Irland ist ein Tourismusland. Der Tourismus zählt zu den wichtigsten Wirtschaftsfaktoren im Land. Es gibt kaum Menschen auf der Insel, die gegen den Tourismus und gegen Besucher sind – die Sorge und der Zorn richten sich gegen die Auswüchse einer Tourismus-Strategie, die fast blind auf hohe Gästezahlen setzt, die Qualität ausblendet, die nicht berücksichtigt, dass die Zahl der Menschen, die vom Tourismus profitieren, angesichts von Konzentrationsprozessen beständig abnimmt. Die mittelständische Struktur der irischen Tourismuslandschaft existiert nur noch in den Träumen von gestern. Die B&Bs sterben, die Hotels werden von mächtigen, finanzkräftigen Investoren aufgekauft, einige Big Player dominieren den Ausflugstourismus.
Wirkungsstarke Marketingkonzepte wie der Wild Atlantic Way entwickeln ihre eigene zerstörerische Kraft: Sie ermuntern die mit Mietwagen oder im Wohnmobil reisenden Besucher, die Küste auf einer standardisierten Route von Nord nach Süd oder umgekehrt atemlos abzufahren und nirgendwo länger zu bleiben. Ein gesunder Tourismus aber lebt von Gästen, die länger an einem Ort übernachten, die dort bleiben, diesen erkunden, die lokale Angebote wahrnehmen und sich auf die Einheimischen einlassen.
Es gibt auch Lichtblicke: Immerhin wurden in diesem Jahr erstmals vielerorts die lokalen Busverbindungen massiv ausgebaut. Im westlichen West Cork, in unserer Region um Bantry und Glengarriff, gibt es seit Ende Juni in beide Richtungen 14 statt bisher vier tägliche Verbindungen. So fährt nun jede Stunde ein Bus. Der Sheeps Head, die Beara Peninsula bis zur Spitze am Dursey Sound, Skibbereen im Süden und Kenmare oder Killarney über den Bergen in Kerry sind nun mehrmals täglich zuverlässig zu erreichen. Dies schafft für Gäste auch ohne Auto ganz neue Möglichkeiten, die gesamte Region von einem Standort aus zu erkunden und viel Schönes zu erleben, ohne 500 Kilometer und mehr – von unsichtbarer Hand geführt – entlang rostiger Aussichts-Galgen abfahren zu müssen.
Interessante Quelle: Claire Byrne berichtete kürzlich auf RTE Radio 1 ausführlich über die Gemeindeversammlung in Ballyvaughan und thematisierte den Übertourismus in Irland in einer zweiten Sendung. Hier die Links:
Claire Byrne über Obertourismus im Burren
Claire Byrne über Overtourismus in Irland
Foto: Paddywagons in Doolin, Co. Clare; © Markus Bäuchle
Hallo,
Meine Schwester hat mir vor einigen Tagen den Artikel geschickt und ich kann die geschilderten Zustände nur bestätgien – Ich habe meine Schwester erst vor kurzem aufgrund des Unfalltods meines Schwagers (verursacht durch einen Falschfahrer auf der Küstenstraße…) besucht und selbst im November erlebte ich den Straßenverkehr in dieser ländlichen Gegend als ziemlich erschreckend…deutlich mehr als noch vor wenigen Jahren und die Fahrweise nicht an die örtlichtlichen Gegebenheiten angepasst. Ich hoffe sehr, dass die Verkehrspolitik sich mehr dafür engagiert, die Tourismusentwicklung in den nächsten Monaten/Jahren in eine bessere Richtung zu lenken…
mit freundlichen Grüßen
Ute Himmelsbach
Saarbrücken
mein Schwager Jerry wurde am Donnerstag, den 27. Juli, gegen 10:30 Uhr auf der N67 in North Clare getötet. Ein französischer Tourist, der auf der falschen Straßenseite fuhr, rammte ihn. Er war sofort tot und er war der vierte Mensch, der in den letzten Jahren an dieser Stelle auf der N 67 kurz vor dem Dorf Ballyvaughan einen schweren, bzw. tödlichen Unfall, hatte.
Bei unseren Besuchen in Irland fielen uns immer auf, dass auf allen Straßen eine viel zu hohe Geschwindigkeit zugelassen ist. Für Touristen ist es schon schwierig auf der linken Seite zu fahren. Hinweisschilder gibt es nicht. Die Straßen, vor allen die Küstenstraßen, sind viel zu eng und für den heutigen Verkehr nicht ausgelegt. Eine Begegnung mit einem Bus, einem Wohnmobil oder einem Gespann, erfordert hohe Konzentration und langsames Fahren. Entspanntes Wandern oder Fahrradfahren sind aus unserer Sicht nicht möglich.
Weder in Irland noch in Deutschland wird auf diese Gefahren hingewiesen. Dies und die Verkehrsleitung in Irland muss sich unbedingt ändern. Und auch die Flut von Touristen sollte in diesem wunderschönen Gebiet nicht mehr zugelassen werden.
Die Straßen von Co. Clare kenne ich wie meine Westentasche. Und es ist eine gruselige Vorstellung: Dieser Verkehr auf den engen Straßen. Dort zu fahren, habe ich immer gemocht, würde es aber als Besucher nicht mehr mögen in diesen Zeiten. Traurig zu lesen, was aus Irland und auch speziell Kerry und Clare geworden ist, seit es das Marketing des WWW gibt.
Danke für die klaren Worte.
Auch wir hardern mit diesen Entwicklungen.
Kreuzfahrtschiffe legen in Killybegs an und werden zu den kleinsten Sehenswürdigkeiten gekarrt.
Sliabh Liag freut sich bestimmt nicht.
Lokale Anbieter werden oft einfach überrannt.
Ganz ehrlich…noch nie habe ich darüber nachgedacht nicht nach Irland zu reisen. Nun ist es aber soweit.
Die hier erwähnte Freiheitsberaubung (im anderen Artikel) auf den engen Strassen kommt noch hinzu.
Letztes Jahr fuhr in drei Monaten genau ein Wohnmobil rückwärts um einen Ausweichplatz zu nutzen. Wir planen unsere Urlaube inzwischen so um der unerträglichen Hauptreisezeit zu entfliehen.
Irland- sehen wir uns 2024?