Sollten wir alle unser Leben ändern – und können wir das auch? In dieser Woche habe ich einen Email-Brief an alle ehemaligen Gäste von Wanderlust geschrieben. Ich habe darin erklärt, warum wir unseren Wander- und Naturreise-Veranstalter aufgeben.

Die Vielzahl und der Inhalt der Antworten haben mich völlig überrascht. Deshalb die Entscheidung, den Text hier öffentlich zu machen und zur Diskussion zu stellen.

Es ist ganz offensichtlich: Wir bewegen uns inmitten großer Veränderungen. Sie beginnen in uns, in unserem Denken und Fühlen, sie werden sichtbar in unseren Werten und Haltungen. Hier der Text.

 

Wanderlust ist nun Geschichte. Wir haben beschlossen, unseren Wander- und Naturreise-Veranstalter im Südwesten Irlands aufzulösen.

Die Pandemie, für deren verlässliche Bewertung wir zeitlichen Abstand benötigen, war der Anlass. Unser geplantes Abschlussjahr 2020 konnte aufgrund der Reisebeschränkungen genauso wenig statt finden wie die danach geplante Ausweich-Abschluss-Saison 2021. Ein Comeback im Jahr 2022 wird es nun nicht geben. Die Gründe für das Ende von Wanderlust sind freilich andere. Ich möchte sie erläutern.

1. In der jüngeren Vergangenheit habe ich Jahr um Jahr ein bisschen mehr daran gezweifelt, dass wir noch das Richtige tun. Jahr um Jahr gefiel es mir weniger, Teil des überbordenden globalen Reisezirkus zu sein. Wanderlust war zwar ein kleiner und ökologisch verantwortlicher Teil, aber am Ende doch auch nur ein Unternehmen, das Menschen dazu ermuntert, ihren Wohn-, Arbeits- und Lebensort mit dem Flugzeug zu verlassen, um „Ferien zu machen“.

Reisen ist der Fetisch unserer hedonistischen Zeit. Wir haben in der Pandemie gesehen, welche Anstrengungen Menschen unternehmen, nur um wieder reisen zu können. Kann es sein, dass drei, vier, fünf Mal pro Jahr den Alltag zu verlassen für viele Zeitgenossen das wichtigste Ziel geworden ist, auf das sie Jahr um Jahr konsequent hin arbeiten? Ich war bisweilen erschrocken, dass die kleinen Fluchten geradezu ein Lebensmodell wurden: Wer es sich leisten kann, entflieht regelmäßig dem Alltag, nicht zuletzt, um ihn auszuhalten.

Gerne wird gesagt, dass Reisen bildet und dass es ein menschliches Ur-Bedürfnis ist, unterwegs zu sein. Wie immer geht es wohl um das rechte Maß – und um die ehrliche Unterscheidung zwischen Bedürfnis und Ablenkung, zwischen Erfahrung und Konsum.

Viele Menschen sind heute mit ihren Lebensverhältnissen unzufrieden, sie haben aber, so scheint es, nicht die Zeit, die Energie, die Einsicht oder den Mut, das zu ändern.

Ich habe geträumt: Was wäre, wenn alle Menschen einmal zuhause blieben, um sich liebevoll um ihren eigenen Ort zu kümmern, ihn zu pflegen und vor Verwahrlosung und Niedergang zu schützen. Was wäre, wenn alle Menschen ihr Leben an ihrem eigenen Ort so ändern, dass sie gerne dort leben und arbeiten – und dass sie an ihm nichts vermissen. Es kann der Heimatort sein oder der Ort der gewählten Heimat: Unsere Zukunft entsteht lokal und regional.

 

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2. Der gewaltige ökologische Fußabdruck des Reisens ist heute allgemein bekannt. Wir wissen darum, tun es trotzdem und machen damit alle symbolischen Alltagshandlungen wie Recyceln, Auf-Strohhalme-und-Plastiktüten-Verzichten oder Fahrradfahren-zur-Arbeit mit einem einzigen Flug zunichte. Unsere Hypermobilität zerstört das Klima, sie belastet die bereisten Regionen und die populären Ziele längst über ihre Belastungs-Grenzen hinaus.

Dies ist keine moralische Argumentation, und ich kann meinen eigenen ökologischen Fußabdruck auf dieser Erde aufgrund einer langen Reise-Historie weder gesund rechnen noch schön reden. Auch können wir mit unserem individuellen Handeln nicht eine verantwortungsvolle Politik ersetzen, die global Zukunft sichernde Rahmenbedingungen setzen würde. Im Sinne der eigenen Kongruenz und Glaubwürdigkeit können wir im eigenen Leben aber das umsetzen, was wir schließlich als richtig erkannt haben – und beispielsweise nun auf ein Drittel, die Hälfte oder 80 Prozent unserer bisherigen Reise-Tätigkeit verzichten. Diesem Ziel verpflichte ich mich.

Mit jeder Wandergruppe haben schließlich auch wir, trotz aller Vor- und Umsicht, zusätzliche Spuren in der Natur hinterlassen und Ressourcen vor Ort verbraucht. Wir haben zahlreiche Menschen zum Fliegen motiviert. Unsere Versuche, das umweltverträglichere Reisen auf dem Landweg zu fördern, scheiterten kläglich – auch am Unwillen, zwei, drei zusätzlicheTage für die Anreise „zu opfern“. Sie hätten für die schon fest geplante nächste Urlaubsreise gefehlt. So stieg die Zahl der Gäste, die uns mit Zug, Bus und Fähre erreichten, von zwei auf fünf im Jahr.

 

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3. Das Grundanliegen meiner Arbeit war neben dem Broterwerb, unsere Gäste beim Wandern und auf Retreats der Natur näher zu bringen. Diese Begegnung sollte möglichst nah, tief und intensiv gelingen. Ich hoffte dabei helfen zu können, das schwer gestörte Verhältnis von uns Menschen und der Natur zu verbessern oder sogar ein Stück weit zu heilen.

Wenn wir uns wieder intensiv als Teil der natürlichen Welt erfahren können, würden wir uns künftig mehr für deren Erhalt und weniger für deren fortschreitende Zerstörung einsetzen, sei es beim eigenen Bauprojekt, bei der Berufswahl, beim Nicht-länger-Wegschauen oder im persönlichen Freizeitverhalten? Bei allen positiven Erfahrungen und Hoffnung machenden Einheitserlebnissen in Irlands Natur setzte sich mit der Zeit in mir die Erkenntnis durch, dass ein einwöchiges Ferien-Format angesichts der riesigen Herausforderung nur allzu wenig leisten kann.

 

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Und schließlich 4. Wir sind älter und vom Gruppen-Wandern ein wenig müde geworden. Es hat mir über 15 Jahre lang großen Spaß gemacht, mit Menschen an der Küste und in den Bergen Irlands unterwegs zu sein und mein Wissen über Land und Leute, Natur und Kultur dieser faszinierenden grünen Insel zu teilen. Doch irgendwann begann das Gefühl der Endlosschleife und der Wunsch wurde mächtiger, wieder wie früher alleine unterwegs zu sein. Es wurde also Zeit, sich Neuem zuzuwenden.

 

So ist nun Schluss mit Wanderlust. Wir danken allen Gästen, die mit uns all die Jahre unterwegs waren und die unsere Liebe für dieses Land und dessen Landschaften am Atlantik geteilt haben, die uns mit ihren eigenen Geschichten bereichert und die mit uns kostbare Zeit abseits der Pflichten geteilt haben.

 

Was bringt unsere Zukunft? Ganz sicher werde ich meinem Lebensthema treu bleiben (siehe 3). West Cork bleibt unsere gewählte Heimat, und ich werde auch künftig mit Gleichgesinnten regelmäßig aus Irland berichten.

Ich lade Dich gerne dazu ein, unser Webmagazin Irlandnews (www.irlandnews.com) regelmäßig zu lesen, das wir seit dem Jahr 2008 herausgeben. Natur, Kultur, neuer Lebensstil: Wir schreiben über Irland in allen Facetten; wir stemmen uns weiterhin gegen den Trend der „Facebookisierung“ von Internet und Kommunikation, gegen die Verflachung und gegen die Radikalisierung des Gesprächs. Auf Irlandnews wird respektvoll diskutiert, werden Erfahrungen und Standpunkte ausgetauscht.

Bei uns wird es neben Spaß und Kurzweil auch künftig lange, tiefgründige und kritische Lesestücke und sorgfältig ausgewählte Fotos zum Betrachten geben, ganz ohne „Like“ und „Lach“.

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So, das wars für heute. Nun geht es auf zu neuen Ufern . . .

In diesem Sinne wünschen wir Euch alles Gute
und grüßen vom wilden Atlantik

Markus Bäuchle
Das-war-Wanderlust
Irlandnews.com