Zum Jahresende einige Gedanken über das Reisen, über das Bleiben, über das Reisen und Verweilen in Irland. Wir von Irlandnews und Wanderlust wünschen Dir und Ihnen friedvolle Feiertage und traumreiche Raunächte. Nach einer Schreib-Pause melden wir uns anfang Januar zurück. Gute Reise durch die Festtage ins Jahr 2020!
I havn´t travelled my fields this year yet.
(Ich habe meine Felder in diesem Jahr noch nicht bereist.)
Hanna, Farmerin, Besitzerin einer kleinen Farm in West Cork, Irland.
Vor ein paar Tagen holte ich meinen Freund, den Schaffarmer Harvey*, zum jährlichen gemeinsamen Fährtchen ab. In diesem Jahr hatte er sich gewünscht, einmal Kilcrohane auf der Sheeps Head Peninsula zu besuchen. Harvey ist 66 Jahre alt und seit er denken kann, schaute er von seinem Elternhaus und später seinem eigenen Haus über das Wasser der Bantry Bay hinüber zur Nachbar-Halbinsel, den Sheeps Head. Immer und immer wieder in all den Jahren fragte er sich, wie es denn dort über dem Meer, hinter dem Bergrücken, nur 10 Kilometer Luftlinie von seiner Heimat, auf der Südseite des Sheeps Head aussehen mag.
Nun endlich sah der Mann, was sich ihm ein Leben lang 25 Kilometer westlich von seinem Einkaufsmittelpunkt, dem Städtchen Bantry, verborgen hielt: das Dorf Kilcrohane. Wir fuhren auf den südlichen Sheeps Head nach Kilcrohane zum Kaffeetrinken. Der Farmer ist in seinem Leben nicht viel herum gekommen. Er war nie im Ausland. Er war nie in der Hauptstadt Dublin. Er kam nur bis Cork City, dort, im nächsten qualifizierten Krankenhaus, musste er sich mehrfach operieren lassen. Er wäre gerne ohne die an den Nerven zehrenden Fahrten ins 100 Kilometer entfernte Cork ausgekommen.
Harvey staunte, war verzückt, freute sich, wie groß das Dörfchen Kilcrohane doch sei. Als wir später über die Berge auf die Nordseite des Sheeps Head fuhren, sah mein Freund erstmals seine eigene Heimat, seine Felder, seinen Berg, seine Bäume, sogar sein Haus, aus der Distanz, über dem Wasser auf der Nordseite der Bucht. Diese Reise, eine Premiere von 55 Kilometern pro Weg, hatte sich gelohnt. Dann aber war genug. Mehr wollte sein Erfahrungsspeicher an diesem Tag nicht fassen. Er wird wohl lange an diese Reise denken.
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Meine Wandersaison 2019 hatte an einem Sonntag Ende April begonnen. Gleich bei der ersten Tour im Naturschutzgebiet von Glengarriff, erzählte mir ein Gast, wie froh er sei, endlich hier zu sein. Er macht mit seiner Frau jedes Jahr fünf Reisen von mehreren Tagen bis zu einer Woche. Wir brauchen das, sagte der Mann – und ich fragte ihn, ob sein Alltag so schwer zu ertragen sei, dass er das braucht. Ich erinnerte mich an die Zeit, als ich es brauchte.
Am verlängerten Wochenende ein Kurz-Trip in die Karibik. Zwischendurch ein Städte-Trip nach London oder New York. Mal etwas länger an die Strände Brasiliens oder für eine Woche in das andere Europa, nach Norwegen. Dem Winter nach Patagonien entfliehen. Warum auch nicht! Warum?
Es war die Zeit, als mir der Alltag nicht gut gelingen wollte. Wenn die Arbeit zehrt und belastet, wenn der graue Alltag als ein sich ewig drehendes Hamsterrad erscheint, was bleibt uns dann? Strampeln wir bis zum Ende und genehmigen uns regelmäßig kleine Fluchten, die wir herbei sehnen und die wir uns erlauben, wenn wir sie erlaubt bekommen? (Urlaub kommt von Erlauben.) Oder verändern wir den Alltag Stück für Stück, damit uns irgendwann jeder einzelne Tag gefällt, damit wir in unserem Alltagsleben daheim sind und uns Tag für Tag wohl fühlen können?
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Der Natur-Philosoph C.G. Jung (1875 – 1961) war der Mitbegründer völlig neuer Reiseformen. Er begab sich auf abenteuerliche Nachtmeerfahrten, Entdeckungsreisen ins eigene Umbewusste. „Das einzig lebenswerte Abenteuer kann für den modernen Menschen nur noch innen zu finden sein“ schrieb Jung. André Heller machte später draus: „Die wahren Abenteuer sind im Kopf“.
Unsere Seele korrespondiert mit den Orten, an denen wir verweilen. Wir reisen näher zu uns, wenn wir stundenlang an einem Seeufer, oder an der felsigen Küste sitzen und auf das Wasser schauen. Auf einem Berg auf die Welt dort unten blicken. In einem Steinkreis in ferne Zeiten zurück reisen und uns mit früheren Generationen verbinden. Wenn wir mit allen unseren Sinnen im pflanzenreichen Mikrokosmos einer irischen Hecke versinken . . .
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Der Wild Atlantic Way, Irlands Marketing-Wunder entlang der Westküste, wurde im Jahr 2014 ausgerufen. In den ersten Monaten gefiel mir die Idee, ich erklärte deutschen Urlaubswilligen auf deutschen Messen als Botschafter für den Wild Atlantic Way, warum der das Nonplusultra des künftigen Irland-Tourismus werden würde. Ich sah, dass die genial einfache Botschaft einer 2500 Kilometer langen Küstenstraße am Atlantik sofort verstanden und gemocht wurde.
Irlands Tourismus-Verantwortliche feiern mittlerweile jedes Jahr über zehn Millionen Besucher aus dem Ausland. Die Zahl drückt den quantitativen Erfolg des professionalisierten Tourismus-Marketings aus. Der WAW trägt entscheidend zu diesem Höhenflug bei. Es ist eine typisch irische Success Story: Man nimmt, was ohnehin schon vorhanden ist, erfindet schöne Namen dafür, stellt für ein paar Millionen Euro an jeder Ecke Schilder und Wegweiser mit diesen schönen Namen auf und erzählt die Geschichten von Land und Leuten. Ansonsten muss man nicht viel tun.
Sehr schnell zeigte sich: Der Wild Atlantic Way verändert das Reisen in Irland radikal. Das Land wird nun völlig anders konsumiert als noch vor zehn Jahren. Im Normalfall mieten sich Irlandgäste einen Mietwagen oder poltern mit einem Wohnmobil über die strapazierten Asphaltpisten (manche auch mit dem Motorrad). Sie wollen möglichst viele der 189 Signature Points, der mit einem rostigen Eisengalgen kenntlich gemachten, ganz besonders einzigartigen Aussichtspunkte, ansteuern und sehen. Gerne kaufen sie sich auf einem Postamt für 10 Euro den Wild Atlantic Way Passport und sammeln entlang des Weges möglichst viele Stempel. Als beglaubigter Irland-Reisender hat man auf Facebook und Instagram immer etwas vorzuzeigen.
Ein Bekannter stoppte kürzlich am Galgen von Dooneen bei Allihies die Verweilzeit der Urlauber am Aussichtspunkt. Fürs Aussteigen, Fotoknipsen, eventuell ein Selfie dazu, dann Beinevertreten, und Einsteigen in den Mietwagen benötigten die Gäste an jenem Tag zwei bis maximal vier Minuten. Dann ging die Jagd weiter. Auf zum nächsten Rost-Galgen. Zum nächsten Foto. Zum nächsten Stempel.
Der Wild Atlantic Way ist die größte verhaltensprägende Verkehrslenkungs-Maßnahme in der Geschichte des Irland-Tourismus. Er steht nach sechs Jahren für Massen-Tourismus, Staus, punktuelle Überforderung der Infrastruktur. Wer davon wirklich profitiert? Das ist die Denksportaufgabe für die Zukunt. Die Menschen und Unternehmen, die nicht auf der Hauptroute des WAW liegen, sind es nicht. Die, die direkt am Wild Atlantic Way liegen, sind es – aus den entgegen gesetzten Gründen – vielleicht auch nicht.
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Sibylle Berg schreibt am Ende der Zeit, als das Reisen noch geholfen hat: „Dieses niedliche, immer zugige London mit freundlichen Einheimischen gibt es nicht mehr. Gut, da muss man ja nicht hingehen, dann geht man eben woanders hin. Italien ist immer noch reizend; wenn man die 40 Prozent jugendlicher Arbeitsloser wegdenkt, kann man noch ans Mittelmeer, Sie wissen schon. Die Boat-People. Es muss ja auch keiner mehr verreisen. Es gibt auf 3Sat und Arte täglich diese wunderschönen Sendungen, in der die Welt in Ordnung ist. Einfache, herzensgute Menschen machen Handwerk, sie sind gastfreundlich, und Attentate finden nicht statt. Entführungen gibt es nicht. Den Ekel vor dem weißen Touristen sehen wir kaum. Und wer nicht fernsehen will, kann Geschichten lesen, von früher. Als wir noch die Welt bereisten.“ (Wunderbare Jahre, 2016)
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Waterville liegt als einzige Gemeinde des Ring of Kerry direkt am Atlantik. Das Städtchen ist berühmt für seine Strandpromenade und für seinen berühmtesten Fan, Charlie Chaplin. Im Herbst traf ich Marnie*. Sie betreibt seit vielen Jahren ein bekanntes B&B in Waterville. Marnie sieht skeptisch in die touristische Zukunft. Das liegt weniger daran, dass die gefräßige Krake Airbnb alle Standards des Beherbergungsgewerbes ignoriert und schleift und zusammen mit den amerikanischen Buchungsplattformen gehörige Summen aus der Region und aus dem Land abzieht. Marnie sorgt sich wegen der Pläne, direkt auf der Promenade ein großes Tourismus-Zentrum zu bauen und den Parkplatz massiv zu vergrößern.
Schon heute, so sagt sie, kann man im Sommer in der Lunch-Zeit zwischen 12 und 15 Uhr wegen der parkenden Busse, Wohnmobile und Autos in Waterville das Meer nicht mehr sehen. Am Nachmittag kehrt dann Ruhe ein in der Stadt. Zu viel Ruhe. Die Restaurants und die Pubs klagen. Waterville ist zum Durchgangsort am Wild Atlantic Way geworden.
Die Urlauber konsumieren unsere Landschaft heute als eine Oberfläche, die sie wie das Internet zügig nach schnellen Eindrücken, Kicks und Highlights durchsuchen. Die Gäste „browsen“ flüchtig durch Orte und Landschaften. Die wenigsten lassen sich noch auf einen Ort und seine Bewohner ein, oder bleiben zur Entschleunigung einmal eine ganze oder sogar zwei Wochen an einem Ort.“ Kontakte, gute Gespräche, gar neue Freundschaften zwischen Gastgebern und Gästen sind eine Rarität geworden. Dies ist die Ära der Browser, sagt Marnie.
Der Wild Atlantic Way, so meint Marnie, bedient diese neue Reise-Mentalität perfekt, hat sie aber nicht geschaffen. Sie ist dem Konsum-Kapitalismus und dessen Beschleuniger, dem Internet geschuldet.
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Christian lebt auf 1010 Metern Höhe im Südschwarzwald. Im Foto oben ein von ihm präferiertes zeitloses Porträt unter einem Wasserfall ;-) Er ist in seinem Leben viel gereist und viel geblieben. Christian hat kein Auto. Er wandert zum Ziel. Oder er bleibt am Ort. Er hat sich vorgestellt, auf einer Insel im Schwarzwaldnebel über der 1000-Meter-Grenze zu leben. Er fertigte ein Modell der Schwarzwälder Insellandschaft über 1000 Höhenmeter an und überprüfte, wie weit er von seinem Haus wandern kann, ohne in das untertausendmetrige Nebelmeer zu fallen. Erstaunlich weit!
Vor einigen Jahren machte Christian ein Immobilitäts-Experiment. 15 Monate lang verließ er seinen Wohn- und Arbeitsort nicht (mit Ausnahme eines täglichen Spaziergangs auf den Hausberg Belchen). Jede Bewegung von A nach B beschäftigt uns in drei Phasen: Vorbereitung, Durchführung, Verarbeitung. Das Fehlen dieser Bewegung schafft jenseits der Unruhe neue Räume der Betrachtung, der Kreativität und der Erfahrung. Beim Bleiben und Verweilen offenbart sich im Lauf der Zeit eine tiefe Qualität der Wahrnehmung.
Christian ist in jüngeren Jahren viel gereist, pflegt Erinnerungen an zweite Heimaten auf Hawaii, in den USA, in den Schweizer Alpen. Das Wesen des Reisens ist für ihn, an anderen Orten anders zu sein, fremd zu sein. Um heute in die Fremde zu gelangen, müssen wir der globalen virtuellen Blase entkommen – jenseits von Booking.com, Google Maps, Airbnb, von Tripadvisor und Bucket Lists.
Der Erfahrungsraum der Fremde, das Fremde, kann auch im Kleinen liegen, im Mikrokosmos. Die Welt der Insekten in einem Garten ist mindestens so geheimnisvoll wie die Welt paarungsbereiter Kalifornier am Strand von Venice.
Christian verwirklicht heute im Stillen ein Konzept des Ortes: Er macht an (s)einem Ort das, was er für richtig erkannt hat. Und wer transportiert die Botschaft des Eremiten? Das Prinzip der morphischen Resonanz, vielleicht. Hoffentlich.
Hier ein bisschen Werbung für Christian und sein gemütliches vegetarisch-veganes Bio-Hotel in den Bergen, das er mit Eva betreibt. Im Haus Sonne am Belchen kann man Verweil-Ferien machen.
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So wie Heinrich Böll einst in Irland einen humanen Gegenentwurf zur deutschen Wirtschaftswunder-Gesellschaft sah, so habe ich das Reisen durch die phantastischen Naturlandschaften Irlands immer als ein Gegen-Konzept zum schnellen Reisekonsum begriffen.
Zur Erkundung meiner Wahlheimat wanderte ich viele Jahre lang. Um die kostbaren Erfahrungen meiner Wandertouren mit anderen Menschen zu teilen (und auch, um beruflich nicht mehr reisen zu müssen), gründete ich in den Naughties unseren kleinen Wanderreise-Veranstalter Wanderlust. Irland lässt sich am besten im Schritt-Tempo erkunden, mit allen Sinnen erfahren und erleben. Schritt für Schritt. Zu Fuß. In Harmonie und im Einklang mit den Elementen am Atlantik. Langsam gehen, ankommen, bei sich sein, eins sein in und mit der Natur.
Die Langsamkeit kann schon bei der Anreise beginnen. Mit dem Zug, der Fähre, dem Bus. So gehts.
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Klimakrise? Flugscham? Wir sollten uns mit dem Reisen in Flugzeugen beschränken und uns mäßigen?
Bis zum Jahr 2040, innerhalb der nächsten 20 Jahre, soll sich die Zahl der Fluggäste verdoppeln: Auf 53 Millionen Flüge und 9,4 Milliarden Passagiere im Jahr 2040. (Prognose des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt vom Dezember 2019).
Wie wollen Sie, wie möchtest Du in Zukunft reisen?
Antworten sind erwünscht. Einfach in die Kommentarspalte weiter unten schreiben. Gute Reise ins Jahr 2020!
Die Fotos (von oben):
- Faha West, Bantry Bay. Mein Lieblingsfoto 2019
- Hier lebt „Harvey“
- Erste Saison-Tour 2019: Am Barley Lake
- C.G. Jungs Refugium: Der Turm von Bollingen
- Jung am Ufer des Zürichsee (Foto: privat)
- Am Dooneen-Aussichtspunkt
- Google Suche: Top Ten Travel 2020
- Charlie Chaplin in Waterville, Selfie-Fans
- Christian Leppert im zeitlosen Porträt am Wasserfall (Foto: privat)
- Irland zu Fuß
- Konzept des Ortes
Alle Fotos, außer (5) und (9): Markus Bäuchle
* Name geändert.
Einige Gedanken zu, wie möchten wir in Zukunft reisen.
Ich bin in meiner Heimat, dem Südschwarzwald, dem Sein am nächsten…
Zum Waldgänger wurde ich in Irland, das meist baumlos ist…
Damals war ich ausgewandert und wollte dort im fernen Westen ein neues Leben beginnen. So mietete ich mir in kleines Häuschen, vor dem 60 Tannen standen ein. Im äußersten Südwesten Irlands, in Westcork
In Alleinlage, nahe dem berüchtigten Berg »Hungryhill«. Einst stand hier ein kleines Dorf. Doch die Bewohner waren bei der großen »fame« (Hungersnot) 1845 alle verhungert. Aber noch 4000 Jahre vorher war der Ort ein Ritual-Platz für mehrere Steinkreise.
Die Tannenbäume vor meinem Häuschen erinnerten mich an meine Heimat: den Schwarzwald.
Doch dahinter entfaltete sich eine kahle ausgeräumte und entbaumte Landschaft. In Irland konnte ein Eichhörnchen, so las ich in einem Buch, vor 200 Jahren vom Norden der Insel bis zum Süden, von einem Baum zum anderen hüpfen und brauchte keinen Boden zu berühren.
Die Engländer holten die großen Stämme für den Schiffsbau und die Iren verbrannten den Rest, das sogenannte Krüppelholz. Es wurden Schafe angesiedelt. Diese fressen seither gründlich jeden Baum ab. Nur an entlegenen Stellen, wie an steilen Felssimsen oder Felsklippen, also dorthin, wo keine Schafe kommen können, wachsen prächtige Bäume in exklusiver Alleinlage.
»So baumlos wie Portugal werden wir bald sein, sagt John Wyse, oder wie Helgoland mit seinem einen Strunk, wenn nichts getan wird, um das Land wieder aufzuforsten. Lärchen, Föhren, alle Bäume der Koniferen-Familie sind kurz vor dem aussterben. Ich habe da einen Bericht von Lord Castletown gelesen… Rettet sie, sagt der Bürger. Die Riesenesche von Galway und die Häuptlingsulme von Kildare mit ihrem Vierzig-Fuß-Stamm und einen ganzen Morgen Blattwerk. Rettet die Bäume Irlands um der künftigen Menschen Irlands willen auf den schönen Hügeln von Eire,- O.« James Joyce aus Ulysses
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Schluchtengänge
Durch einen gemauerten altertümlichen Tunnel, der wie ein Geburtskanal wirkt, weht mir ein frischer Wind entgegen und ich entschwinde dem Getriebe und dem Lärm des Tales. Der Wald nimmt mich auf mit seiner herrlichen Frische der Schlucht.
Vorbei an einem grösseren Wasserfall schlängelt sich das Bachtal durch eine hohe, langgezogene Schlucht, die mit ihrem Walddach wie eine grosse Kathedrale wirkt. Dieser Abschnitt erinnert mich an ein Tal in Wales/England, das nach dem berühmten Barden und Druiden »Taliesin« benannt ist.
Die Kelten kannten über hundert Wörter für Wasser. Die späteren Alemannen hängten dann noch einen »Bach« dran.
Das ganze Tal hat eine wunderschöne Ausstrahlung und schon bald sind die Gedanken sortiert und das »Hirnen« nimmt ein Ende, ich komme im Hier und Jetzt an.
Der Weg führt durch einen kleinen Waldpfad hinauf zu einem alten Walddorf.
Zwei stattliche Linden stehen oberhalb des Aufgangs zur Dorfkirche. Aber wenden wir uns wieder dem Jetzt zu. Ein weiter Blick wird hinter der Kirche frei und schweift hinüber zu den Bergen des Schweizer Jura. Eine ebene grasbedeckte Fläche liegt nun vor uns, bevor mich eine weitere wilde Schlucht, aufnimmt. Man kann direkt den Waldweg entlang gehen, doch beschließe ich, offroad durch den lichten Wald zu streifen, dort wo keine Mountainbiker mich von hinten erschrecken könnten.
Ein kühler Eichenhain nimmt mich auf. Federnder Waldboden, bemooste Felsensitze. Ein Habicht kreist über den Eichen, er ist hier der Herrscher und TAOmeister. Ein frischer Ostwind kitzelt sanft auf Haut. Die Kühle der Blätter der Bäume, sind sehr angenehm, während die Sonne gnadenlos auf die Erde runter brennt. Die Stille des Waldes lässt meine Gedanken anhalten, ich bin plötzlich unbemerkt ein Teil der Natur. Dann ein Kahlschlag zur Linken, erregt mein Interesse. Ich schaue über das verwüstete Gelände. Ein Reh steht regungslos, etwa fünf Meter entfernt und schaut mich an. Regungslos bleibe ich stehen und schaue hinauf zu dem scheuen Tier. Unsere Blicke begegnen sich. Es drückt Anmut und Liebe aus. Ich entrücke wieder ganz ins Hier und Jetzt. Was für ein Augenblick. Die Zeit bleibt stehen. Es erscheint mir wie eine Ewigkeit. Über fünf Minuten dauert diese kleine intensive Begegnung. Dann entschwindet das Reh mit leichten Sprüngen meinen Blicken. Tief berührt folge ich meinem unbekannten Weg.
Bald erreiche ich die eine weitere Schluchthalde. Große Felsen säumen den Abstieg. Unten fließt der Waldbach durch große Becken gemächlich dahin.
Herrliche Kühle, Bäume, Wasser, alles ist »in Fluss«. Natur pur! Dem Urlebenskern jetzt sehr nahe, verschmelze ich in tiefer Liebe mit dem Urgrund des Seins. Schattenspendendes Blätterdach. Felsen ruhen im sonnigen Sand, die an verschiedene Tierarten erinnern. Hier ist mein Wesen, meine Seele zu Hause. Entflohen, dem lauten Lärm und der sengenden Hitze des lärmenden Industrietales.