The Quiet Girl

Dem irischen Regisseur Colm Bairéad ist mit der Geschichte der neunjährigen Cáit ein einfühlsames Meisterwerk über die Liebe und die Brüchigkeit des Glücks im Irland der frühen 80er Jahre gelungen. Gabriele Gérard hat “Das stille Mädchen” auf der 72. Berlinale gesehen und stellt uns den Film vor.

Der irische und irischsprachige Film An Cailín Ciúin (The Quiet Girl; Das stille Mädchen) von Colm Bairéad erhielt auf den ersten Filmfestivals dieses Jahres in Berlin und Dublin viel Aufmerksamkeit. Auf der Berlinale wurde er mit dem Großen Preis der Internationalen Jury der Generation Kplus ausgezeichnet. Von der Kinderjury im Wettbewerb Generation Kplus (Filme für Kinder und Jugendliche) erhielt er eine lobende Erwähnung. Zusätzlich erhielt er eine Nominierung für den GWFF Preis als bester Erstlingsfilm.

Regisseur Colm Bairéad sagt zu seinem Film: „Es ist eine Geschichte über die Liebe. Es geht um die Beziehungen in der frühen Kindheit, die uns formen, schmieden und stützen. Das Thema Nahrung ist sehr wichtig. Es geht um emotionales und körperliches Wachstum. In diesem Zusammenhang wollte ich das Essen hervorheben, so dass es zu einer Metapher für Wachstum wird. Als sie in der Pflegefamilie ankommt, hat sie plötzlich reichlich Essen, anders als zuvor. Darüber hinaus bedeutet “Foster” in Irisch “Essen, Ernährung”. Und da ist die traurige Wahrheit, dass es nicht immer die biologische Familie ist, in der man Glück findet.“

Irland im Jahr 1981. Die malerische Weite der irischen Landschaft liefert einen befreienden Kontrast zu der erstickenden Enge der düsteren, dreckigen Hütte, in der Cáit mit einem halben Dutzend Geschwistern haust. Die Mutter spricht irisch, der Vater englisch. Sie zerrissen zwischen Fürsorge und Hilflosigkeit, er fluchend und jeden Morgen eine nasse Matratze in Cáits Bett. Vorwürfe, Demütigung, Abwesenheit von Liebe.

„Schweigen und Stille prägen Colm Bairéads lyrisches Spielfilmdebüt mehr als die irische Sprache, die zu selten auf der internationalen Leinwand zu hören ist, und entfalten sich in den lyrischen Bildern in all ihrer emotionalen und allegorischen Vielfalt. Sprachlosigkeit scheint in der berückenden Adaption von Claire Keegans Kurzgeschichte „Foster“ oftmals weniger trotzige Verweigerung oder überhaupt bewusste Entscheidung als Ausdruck von Resignation und Hilflosigkeit gegenüber einem unzugänglichen Umfeld.“
Lida Bach in Moviebreak

Das neunjährige Mädchen reagiert mit stillem Rückzug in ihre eigene Welt: Sie wird feinsinnige Beobachterin der Schönheit der kleinen Dinge um sie herum. Und wenn sie es nicht mehr aushält, läuft sie weg. Der Vater nennt sie eine Streunerin. Als sich die Geburt eines weiteren Kindes nähert, halten es die Eltern für das Beste, wenn Cáit den Sommer auf der Farm einer Cousine der Mutter verbringt. Cáit kennt die Menschen dort nicht.

Das Haus ist hell und sauber; zum Anwesen führt eine Allee mit üppig-grünen Bäumen. Hier herrscht eine respektvolle Stille. Liebevoll umsorgt von Eibhlín fühlt sich Cáit geborgen. Nach anfänglicher Zurückhaltung vertieft sich auch die Beziehung zu Seán, der sie mit auf die Farm nimmt, mit ihr spricht, ihr Dinge erklärt. Diesem kinderlosen Paar gegenüber öffnet sich das verstörte Mädchen zaghaft. Die Matratze bleibt trocken. „Es gibt keine Geheimnisse in diesem Haus. Hörst du? … Wenn ein Haus Geheimnisse birgt, birgt es auch Scham.

Colm Bairéad

 

Auch diese häusliche Harmonie ist so fragil wie Cáits Befreiung aus ihrem inneren Exil. Die stumme Trauer ihrer Pflegeeltern Eibhlín und Seán über ihren verstorbenen Sohn spiegelt Cáits Trauer um das Kind, das sie daheim nicht sein kann. Wir wissen, dass dieser Sommer enden und Cáit zurück ins Elternhaus gebracht werden wird. Noch schmerzlicher ist es nun, die Rückkehr in diese Kälte und Sprachloskeit, wo ihre Rückkehr von niemandem registriert zu werden scheint, mitzuerleben und Cáit dort zurücklassen zu müssen.

Als sich das Auto von Eibhlín und Seán entfernt, lässt Cáit den kleinen Koffer fallen, rennt dem Wagen hinterher und als Seán am Tor anhält, wirft sie sich weinend in seine Arme. Aller Schmerz der Drei bricht sich in diesem Abschied Bahn.

“In unserer Vergangenheit haben wir uns manchmal nicht so um die Kinder unseres Landes gekümmert, wie wir es vielleicht hätten tun sollen. Ich war daran interessiert, ein Porträt eines Kindes zu erstellen und es in den Mittelpunkt der Geschichte zu stellen, um den vielen Kindern in Irland, die nicht das hatten, was sie brauchten, eine Stimme zu geben.”
Colm Bairéad

Ich sah diesen Film zwei Mal in einer Woche. Im Publikum viele Kinder und Jugendliche, beim ersten Mal eine Schulklasse. Wie schweigsam und konzentriert sie waren, hat mich gerührt. Der Film lief in einer von ihnen noch nie gehörten Sprache – gälisch – und die deutsche Übersetzung wurde eingesprochen. Auch das ein Novum für uns alle.

Der aufbrausende und nicht enden wollende Beifall in einem Kino in Berllin bezeugte, dass diese jungen Menschen die Botschaft des Films verstanden haben und sich mit diesem brüchigen Glück identifizieren können – vielleicht auch gerade in dieser für uns alle sehr schwierigen Zeit.

 

„An Cailín Ciúin“ wurde Ende Februar 2022 als Eröffnungsfilm des Dublin International Film Festival gezeigt und wird im Lauf des Jahres in die irischen Kinos kommen. Wir werden in unseren wöchentlichen Irland TV- und Film-Tipps darüber informieren, wenn The Quiet Girl in deutsche Kinos kommt oder online zu sehen sein wird.

Fotos: Produktionsfirma Inscéal. Der Film wurde von Screen Ireland, TG4 und der BAI im Rahmen des Cine4-Programms finanziert.