:: Ich wurde heute am Telefon gefragt, ob ich keine Angst hätte, dass uns das Haus irgendwann angezündet würde. Die Frage kam von einer Deutschen, die seit Jahrzehnten in Irland lebt. Sie zielte auf die Kritik an Irland und einzelnen Iren ab, die auf diesem Blog hin und wieder geäußert wird, vielleicht auch auf die aktuelle Irland-Negativ-Top-Ten. Zudem stellte die gute Frau die Frage in den Raum, ob wir Deutschen als “Gäste” in Irland überhaupt das Recht hätten, das Land und die Leute hier zu kritisieren. Es sei vielleicht besser, sich nicht einzumischen, gab sie zu bedenken.

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:: Seit jeher haben mich Landsleute eines bestimmten Schlages aufgeregt, die Irland und “die Iren” im Pub genauso laut und großspurig wie besserwisserisch abwatschen. Es gibt den markanten Satz aus dem deutschen Kaiserreich: “Am deutschen Wesen soll die Welt genesen”. An diesen fühle ich mich erinnert, wenn ich mich leise für Landsleute schäme, die den Einheimischen (“Eingeborenen”) im Gefühl vermeintlicher Überlegenheit mal richtig “die Meinung geigen” und ihnen “zeigen, wo es lang geht”, wie man es richtig macht.
Anfang dieses Jahres schämte ich mich erstmals fremd für einen virtuell präsenten Stänkerer. Ein deutscher – im Prinzip patenter und kluger – Irland-Blogger aus dem irischen Norden gefiel sich zu jener Zeit als oberster Irlandkritiker und imponierte seiner teutonischen Blog-Entourage mit fast täglichem Iren-Bashing. Ich fühlte mich ob der Lautstärke, die das Internet dieser Stimme verlieh, herausgefordert und versuchte deutlich zu machen, dass es auch vollommen andere Meinungen und Haltungen im irisch-deutschen Spannungsfeld gibt.
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:: Im Lauf der Diskussionen der vergangenen Monate – geführt auch im Irland-Forum und im Pub – habe ich meine Haltung zum Thema Deutsche, Iren und Deutsche in Irland überdacht, erweitert, teilweise modifiziert. Ich möchte sie hier ansatzweise offenlegen. Vielleicht sind meine Grundannahmen auch interessant für Leser dieses Blogs, zumal sie sich (als zumeist Deutsche mit Irland-Affinität) auch in diesem Spannungsfeld bewegen.


Drei Vorbemerkungen
1. Wir bewegen uns in einem diskursiven Raum, der frei ist von Patriotismus, Nationalismus und Chauvinismus. Weder bin ich stolz auf meine Herkunft, noch zeuge ich irischem Patriotismus Respekt. Dennoch schätze ich die jeweils eigenartige kulturelle Identität beider Länder, die unterscheidbaren Eigenheiten ihrer Bevölkerung.
2. Erst gesellschaftlich-kulturelle Eigenheit macht es interessant, den eigenen Kontext zu verlassen und sich einem anderen auszusetzen. Ich reise nicht von Frankfurt nach Paris, um dort die Fressgass und den Römer zu suchen und zu vermissen. Diese Eigenheit ermöglicht zugleich den Vergleich: Was ist anders, wie ist es anders, warum ist es anders, als das, was ich kenne, als das, woher ich komme. Aus dieser Unterscheidbarkeit ziehen das Reisen in ein anderes Land und das Schreiben über das andere Land ihren Erlebniswert und ihren Inhalt, ihre Qualität und ihren Reiz.
3. Sind die Unterschiede erkannt, analysiert und formuliert, dann lässt sich auf einer subjektiven Ebene auch werten: Was gefällt mir besser, was liegt mir mehr, was schmeckt mir besser, was tut mir gut und was nicht? Wer solche Geschmacks-Urteile fällt, muss sich im klaren sein, dass Vorlieben keine Überlegenheit konstruieren. (Es gibt daneben natürlich auch objektive Kategorieren für ein Benchmarking, wie Pro-Kopf-Verschuldung, Preis-Index, Lebenserwartung, ökologischer Fußabdruck…)
Einige Grundsätze
1. Wir leben in Irland, wir bezahlen unsere gesamten Steuern und Abgaben in Irland. Wir tragen mit unseren (bescheidenen) Ausgaben dazu bei, dass der Staat, die Medien, die örtlichen Geschäfte, die Schulen existieren können. Wir sind genauso Opfer der angekündigten Freak-Steuern zur Rettung des quasi bankrotten irischen Staates wie alle Einheimischen. Wir genießen keinen Gast-Status, wir haben genau dieselben Pflichten wie alle irischen Inselbürger. Also haben wir auch dieselben Rechte. Wir können uns einmischen, wir dürfen uns einmischen, wir müssen uns einmischen. Wir alle sind Gäste auf dieser Erde mit beschränkter Aufenthaltsdauer – Iren, wie Deutsche, wie Deutsche in Irland. Doch wir sind keine Gäste in diesem Land. Wir sind seine Bürger.
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2. Wenn “wir Deutschen” uns in Irland einmischen, dann schreibt uns niemand vor, dass wir unser Deutschsein wie eine Monstranz vor uns hertragen. In Widerspruch zum Stereotyp vom pünktlichen, zuverlässigen, pedantischen und besserwisserischen Deutschen lebt es sich sehr gut. Wir müssen und wollen nicht verleugnen, wo wir herkommen und was uns geprägt hat. Wir wollen es auch nicht überbetonen. Wir müssen uns weder ducken (assimilieren) noch aufblasen. Wir mischen uns freundlich und verbindlich ein – vielleicht auch hartnäckig.
Wir sind – und das ist das einigende Band – alle Europäer. Wir genießen innerhalb Europas Niederlassungsfreiheit, Wohnrecht, Arbeitsrecht, Aufenthaltsrecht und eingeschränktes Wahlrecht. Wir sind dort zuhause, wo wir uns wohl fühlen. Unzeitgemäß und unangemessen bleibt allein die Einschränkung des Wahlrechts: Das Recht an den nationalen Wahlen Irlands teilzunehmen wird uns vorenthalten. Noch.
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3. Wenn wir uns in Irland einmischen, wenn wir über Irland schreiben, wenn wir vergleichen, bewerten und über dieses und jenes lästern, dann gilt immer:
:: Was wir über einen Iren sagen, würden wir immer auch über einen Deutschen, Polen, Afghanen (Israeli?) sagen, wenn es zutrifft. Es hat nichts mit seiner Nationalität zu tun.
:: < /b>Wir sind aus freien Stücken hierher gezogen und wir sind aus freien Stücken seit zehn Jahren hier geblieben. Weil uns das Land und die Menschen gefallen, zusagen, sympathisch sind. Weil wir uns wohl fühlen. Kritik und Missfallen im Einzelnen relativiert sich am positiven Großen und Ganzen.
:: Das Paradies gibt es nur in der Bibel und in der religiösen Vorstellungswelt. Irland mag von manchen als paradiesähnlicher Fluchtpunkt vergöttert werden. Der Alltag ist hier genauso Alltag wie in Castrop-Rauxel oder in Starnberg. Er ist nicht perfekt. Unmutsäußerungen über den irischen Alltag sind nicht mit Unmutsäußerungen über Irland zu verwechseln.
:: Wir schreiben nicht nur über Iren. Wir reden tagtäglich – mit unseren Nachbarn, unseren Bekannten, mit Gleichgesinnten, auch mit unseren Gegnern. Wir beteiligen uns am Gemeindeleben, wir setzen uns da und dort ein, damit sich die Verhältnisse, die wir kritisieren, verbessern.
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Dass diese Position auf Widerspruch aus verschiedenen Ecken stößt, ist vollkommen klar. Wer kann und will es schon allen recht machen. Um auf die Eingangsfrage zurück zu kommen: Ich habe keine Angst, dass unser Haus angezündet wird.