Sonntagmorgen. Ein Mann stürzt beim Astsägen vom Baum, fällt zwei Meter abwärts auf die Schubkarre, bricht sich den großen Zeh. Er wird ins örtliche Krankenhaus gefahren, nimmt vorsichtshalber eine Packung Schmerztabletten mit. Hier sein Bericht:


“Komme gerade nach sechs Stunden Wartezeit vom Krankenhaus. Der einzige Arzt dort ist seit Samstagmorgen ohne Unterbrechung aktiv – und hat noch Dienst bis Montag früh. Er konnte kaum noch die Augen öffnen. Aber immerhin wurde mein Fuß durchleuchtet, zwei mal ist die Großzehe gebrochen, eventuell sogar drei mal. So bekam ich einen Termin in der 80 Kilometer entfernten Universitätsklinik, in zwölf Tagen, am Freitag, dem 1. Oktober, da hier keiner wußte, was zu tun sei.

Aber ich lernte immerhin interessante Leute im Krankenhaus-Warteraum kennen, etwa einen bekannten Kunstmaler und seine Frau. Ein Patient aus einer benachbarten Stadt saß auch in der Notaufnahme, weil deren Krankenhaus dort keinen Arzt mehr habe. Ansonsten hätte er eine Stunde nach Norden zum nächsten Krankenhaus fahren müssen, doch dort würde man dann nicht nur Stunden sondern Tage warten, um eine Erstuntersuchung zu bekommen.

Gut, dass ich die Schmerztabletten mitgenommen habe. Neben mir sitzen Menschen, die das stundenlange Warten aufgrund ihrer Schmerzen kaum ertragen können. Ich gebe eine Runde “Pain Killers” aus und ernte Dankbarkeit. Ein freundlicher Mann sagt mir anschließend, dass er ein Buch schreibt und endlich den passenden Anfang gefunden hat: Er wird beschreiben, wie er in die Notaufnahme musste und dort Schmerztabletten bekam – allerdings nicht vom Krankenhaus, sondern von einem Co-Patienten.”

Klartext: Unser Mann wartet sechs Stunden auf eine Röntgenaufnahme. Das Krankenhauspersonal sieht sich nicht in der Lage, den gebrochenen schief stehenden Zeh zu richten und vertröstet ihn mit einem Termin in zwölf Tagen in der Hauptstadt. In zehn Tagen, das wird dann sein, wenn der Zeh schief zusammengewachsen sein wird und erneut gebrochen werden muss, bevor man ihn richten kann. Nun unsere Preisfrage: Wo spielte sich diese Begebenheit am gestrigen Sonntag ab?


a) in Indien auf dem Land, 80 Kilometer östlich von Mumbay.

b) in der Mongolei, 80 Kilometer westlich von Ulan-Bator.

c) in einer Favela 80 Kilometer vom Zentrum von São Paulo, Brasilien.

Falsch, falsch, falsch. In Irland, dem einst wohlhabendsten Land Europas, 80 Kilometer westlich von Cork.

PS: Dies ist kein Einzelfall. Es ist eher der Normalfall. Und es gibt Schlimmeres als einen gebrochenen Zeh. Trotzdem: Kopf hoch, solange es geht.


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Sunday morning. A West Cork man fractures his big toe when working in the garden. He delivers himself to the Emergency Room at Bantry Hospital. He will wait for six hours to get an x-ray but no treatment. There is nobody who could help him. The doctor on duty has been working on his own since Saturday morning, He looks exhausted. Our man is told to consult the doctor at Cork Universitiy Hospital on October 1 – in twelve days time. Too late to treat the toe correctly. This happened yesterday – no, not in India, not in Mongolia and not in a Brazilian favela. It happened in Ireland, the once most wealthy country in Europe. And it happens here many times, every day.