Bäume Irlands

Weißdorn im Bergnebel

 

Der Weißdorn. In den letzten Wochen blüht in Irland der Weißdorn (Crataegus, Hawthorn). Er zählt zu den heiligsten Bäumen der Kelten und verzaubert die Menschen mit seiner Blütenpracht in der Zeit, die ihm im Keltischen Baumkreis zugeordnet wurde: vom 13. Mai bis 9. Juni. Der Weißdorn verkörpert im Ogham Alphabet das H, sein keltischer Name ist UATH.

Nüchtern betrachtet qualifizierte sich dieses eher strauch- als baumartig wachsende Gehölz zunächst als natürlicher Zaun für kleine Siedlungen und einzelne Gehöfte. Zusammen mit anderen dornigen Pflanzen bildet der Weißdorn dichte Abgrenzungen am Rande der Weiden. Vor dem Einzug modernerer Einrichtungen wie dem Stacheldraht und der Alarmanlage bot er Schutz für Menschen und Nutztiere vor wilden Tieren und plündernden Vaganten.

Weißdorn in Irland

Weißdorn wächst langsam und kann bis zu 600 Jahre alt werden.

Auch heute ist der Weißdorn ein wichtiger Bestandteil der Hecken in Irland. Zur Blütezeit im Mai verwandelt sich dieser je nach Unterart mitunter sparrig wachsende Strauch, der zur Familie der Rosengewächse gehört, in eine Art Brautstrauß der Natur, an dem man sich kaum satt sehen kann.

Das Holz konnte aufgrund seiner Härte sehr gut für Alltags-Gegenstände, wie Spindeln, Dreschflegel, Holznägel oder Wanderstöcke verwendet werden. Die Früchte, kleine rote, mehlige Beeren, wurden roh gegessen und zu Mus verkocht oder in Brot eingebacken.
Durch viele Jahrhunderte war der Weißdorn der weißen Göttin geweiht, später wurde er als Wohnstatt der Feen angesehen und sogar noch bis herauf in unsere Zeit mit Distanz und Ehrfurcht vereehrt. Wo er wuchs, gab es Pforten zur Anderswelt. In seinem Umkreis erschloss sich dem Kundigen die Möglichkeit Rat und Hilfe zu bekommen. Nach der Zeit der Druiden versuchten die Menschen die Feen mit auf Zweige gebundenen Stofffetzen sanft zu stimmen. Solche über und über behängten Büsche gibt es immer noch an manchen heiligen Plätzen in Irland und der Glaube, dass das Fällen eines solchen heiligen Baumes tödliches Unheil nach sich ziehen würde, hält sich in der Bevölkerung hartnäckig.

Blätter, Blüten und Früchte des Weißdorns enthalten Stoffe, die eine stärkende Wirkung auf das Herz haben, dabei aber sanft und nachhaltig wirken. Sie verbessern die Durchblutung des Herzmuskels und können auch über längere Zeit eingenommen werden. Gerade in unserer Zeit kommt dieser Heilpflanze besondere Bedeutung zu, Erkrankungen des Herzens gelten in der westliche Welt als häufigste Todesursache. Unsere von der Natur in weiten Teilen abgekoppelte und hektische Lebensweise belastet das Herz ganz allgemein.

 

Bäume Irlands

Die Blüte des Weißdorns

 

Die Bereitschaft, dem Stärkeren Recht zu geben, den eigenen Vorteil als Richtschnur zu nehmen und Mitgefühl als entbehrlichen Luxus zu betrachten, lässt uns in einer herz-losen Gesellschaft zurück, die auf Geld und Macht und den Erhalt davon setzt. Vielleicht sollten wir uns auf die wunderbar unterstützenden Eigenschaften dieser alten Heilpflanze besinnen und uns öfter unter ihren Schutz begeben.

Andererseits besteht im Volksglauben nach wie vor eine ambivalente Haltung diesem Baum gegenüber. Er soll auch Menschen und Tieren Unheil gebracht haben, wofür allerdings die Ursachen stets in einem Fehlverhalten der Betroffenen zu suchen gewesen sein sollen.

Ich muss zugeben, dass ich beim Weißdorn eine geheimnisvolle Aura stärker als bei anderen heiligen Bäumen empfinde. Wie eine Art Tor in andere Welten zieht es mich in seine Nähe. Nach einer Weile eingestimmt, begegne ich mir in einem unbekannten Teil meines Selbst, ein kleiner Zipfel lüftet Farben, die bekannt und doch fremd erscheinen. Eine Ahnung von den Tiefen der Seele tut sich auf.

Die roten Beeren des Weißdorns

Würde der Weißdorn mich vor bedrohlichen Abgründen schützen, wie früher die Schafe vor den Wölfen? Würde er mir ein risiko- und schmerzloses Leben versprechen? Wohl kaum, so ist das Leben nicht. Aber wie in einem bedrohlichen Traum, in dem man sich seinen Ängsten stellt, dem Angreifer ins Gesicht sieht und über sich hinauswächst, verspricht ein mutiges Einlassen auf die Herausforderungen des Lebens einen großen Gewinn. Innere Stärke, Klarheit und Herzensbildung wären ein schönes Ziel. Immer wieder durch diese Pforte von der Oberfläche in tiefere Schichten des Seins zu treten, könnte uns helfen, mehr und mehr mit unseren inneren Ressourcen in Verbindung zu kommen.

 

Fotos: Elisabeth Firsching (2), Markus Bäuchle (2)