Joe Biden in Irland

Seit drei Tagen blicke ich vom Schreibtisch auf ein waffenstrotzendes Metallmonster “im Vorgarten”. Am Eingang zum Glengarriff Harbour ankert ein NATO-Kriegsschiff der französischen Marine, die Aquitaine. Verbreitet wurde die Nachricht, das mit Cruise Missiles, Ship-to-Ship Raketen, Schnellfeuer-Geschützen und Torpedos bestückte Schlachtschiff habe Schutz vor einem schweren Sturm auf dem Atlantik gesucht. Der Sturm hat sich längst verzogen. Dafür flog US-Präsident Joe Biden zu einem viertägigen Staatsbesuch in Irland ein.

Joseph Robinette Biden jr. , der mächtige alte Mann, feiert in Irland seine Irishness. Neben einigen politischen Terminen widmet sich der Präsident ausgiebig seiner Herkunft, seinen Ahnen, den entfernten Verwandten und den Orten, die zwei seiner Vorväter im 19. Jahrhundert verließen, um das Glück in Amerika zu suchen: Ballina im westirischen County Mayo und Dundalk im County Louth.  Der Mann mit dem englisch-französischen Namen bekannte sich zeitlebens stolz zu seiner Herkunft aus der “irisch-katholischen Arbeiterklasse” und hält die Namen seiner irischen Ururgroßväter Blewitt und Finnegan in Erinnerung.

Irland bereitet dem US-Präsidenten einen begeisterten und aufmerksamkeits-starken Empfang. Biden ist erst der zweite irisch-katholische Präsident, der zum Staatsbesuch “nach Hause” kommt. Der erste vor 60 Jahren war John F. Kennedy. Viele Irinnen und Iren verbinden den Besuch von Joe Biden allerdings mit dem irritierenden Gefühl, in die eigene Vergangenheit zu blicken. Denn der Präsident feiert ein Selbstbild, von dem sich die Menschen in Irland in einem schmerzhaften Prozess im Lauf der letzten Jahrzehnte mühsam befreit haben.

Joe biden

US Präsident Joe Biden

Die meisten Iren begreifen sich nicht mehr als irisch-katholisch. Sie haben mit einer schweren Vergangenheit gebrochen, haben die Fesseln der einst übermächtigen, zu Gewalt und Missbrauch neigenden katholischen Kirche abgeworfen und sich einem modern wirkenden materialistischen Liberalismus verschrieben. Joe Biden hingegen wuchs in einer irischstämmigen Familie in der ländlichen amerikanischen Diaspora in Pennsylvania und Delaware auf, in der eine amerikanische Version irisch-katholischer Kultur und Wertvorstellungen idealisiert und konserviert wurde. Die tiefe emotionale Verbindung zu einer alten Heimat, die es so nicht mehr gibt, lässt Jahr für Jahr hunderttausende Amerikaner nach Irland reisen, wo sie sehnsüchtig nach Wurzeln, Verwandten und gerne auch nach Leprechauns suchen.

Der Kolumnist Fintan O’Toole nannte diese Beziehung irischstämmiger Amerikaner zum Irisch-Katholischen “eine unschuldige Freude”. Er schrieb in der Irish Times über den Biden-Besuch: “John F Kennedy verkörperte in all seinem unmöglichen Glamour eine Vorstellung von dem, was Irland damals sein wollte: modern, kultiviert und selbstbewusst. Biden verkörpert nun die Vorstellung von dem, was Irland einmal war – ein Ort, an dem “irisch” und “katholisch” eine himmlische Verbindung darstellten (und von der man sich nicht scheiden lassen konnte). Es sagt viel aus, dass ein US-Präsident den meisten Iren wie eine Art Rückschritt vorkommen kann. In Bidens Fall nicht unangenehm oder unwillkommen, aber doch eine Erinnerung daran, wie sich unsere eigenen Bezeichnungen für das, was wir sind, ändern mussten.”

Gestern abend traf sich der mächtige alte Mann nach einer Stippvisite in Belfast (zur Feier des 25. Jahrestags des nordirischen Karfreitags-Abkommens) zum Umtrunk mit Cousins fünften Grades im Windsor Pub in Dundalk, County Louth. Wenige Kilometer entfernt hatte Bidens Großvater Owen Finnegan inmitten der Großen Hungersnot im schwarzen Jahr 1849 seine Heimat auf der Cooley-Halbinsel in Richtung Amerika verlassen. 173 Jahre später sagte der 46. Präsident der Vereinigten Staaten, er verstehe, warum seine Vorfahren Irland damals verlassen haben. Heute wundere man sich jedoch, warum jemand von hier weggehen wolle: “Es ist gut, zurück zu sein”.


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Foto Joe Biden: Elvert Barnes, wikipedia
Fotos Aquitaine: Markus Bäuchle