Das Leben am Rande Europas im entlegenen Südwesten Irlands hat einige Schattenseiten und viele Vorzüge. Reden wir von den Vorteilen: Egal, in welche Richtung wir fahren: Der nächste Shop ist knapp fünf Kilometer entfernt und in beiden Fällen eine Tankstelle mit kleinem Supermarkt und bescheidenem Basisangebot. Ähnlich attraktiv das Warenagebot im nächsten Dorf, in der nächsten Stadt. Die Gelegenheit zu Spontankäufen, zu Frust- und Belohnungs-Shopping hält sich deshalb in engen Grenzen. Die nächste Großstadt, die kauffreudige Westeuropäer unter echten Konsumdruck setzen würde, hält einen Sicherheitsabstand von 80 Minuten.

Bleibt das Internet, das alle Waren dieser Welt auf Knopfdruck bereit hält, solange die Kreditkarte mitspielt. Es mag eine Altersangelegenheit sein, doch die Distanz, die das Online-Medium zur sinnlich erfahrbaren Ware schafft – vergrößert noch durch hochgradig unzuverlässige Kurierdienste – erstickt die meisten Kauf-mich-Impulse im Keim (Ausnahme: Musik. Wir haben kräftig mitgeholfen, Apple iTunes groß zu machen).

Und dennoch: Ein unvoreingenommener distanzierter Blick in die Wohnung erschreckt: Mit wie vielen materiellen Dingen umgeben wir uns, verstellen wir uns den Blick, nehmen wir uns Raum? Wie viele persönliche Habseligkeiten besitzen wir jeweils, wie viele besitzen wir gemeinschaftlich als Familie? Viele. Zu viele. Viel zu viele. Wie viele davon benutzen wir, wie viele benötigen wir? Vielleicht sollten wir uns tatsächlich wieder einmal einem Selbstversuch unterziehen und unsere Bestände durchforsten, um in einem zweiten Schritt Ballast abzuwerfen.

Was dem Wanderer schon lange durch den Kopf geht und was er alle paar Jahre immer mal wieder eher locker betrieben hat, das ging nun ein 37-jähriger Kalifornier ganz systematisch an: Der Computerarbeiter Dave Bruno, der sich seit ein paar Jahren der Konsumkritik verschrieben hat, startete im vergangenen November die “100 Things Challenge”. Er nahm sich vor, ein Jahr lang mit weniger als 100 persönlichen Gegenständen auszukommen und fing an, seinen Bestand von über 400 Habseligkeiten auszusortieren und zu verschenken oder zu verkaufen. Mittlerweile besitzt Dave bereits deutlich unter 100 Dinge – wobei das Gemeinschaftseigentum der Familie und seine Leidenschaft “Bücher” ausgenommen sind. Socken und Unterhosen zählen jeweils nur einmal, als Sammelkategorie.
Dave Bruno will mit seiner Aktion ein Zeichen setzen gegen Konsumismus und Konsumterror – und dies könnte ihm über den eigenen Tellerrand hinaus gelingen. Über das materielle Abspeck-Projekt und seinen Blog berichten mittlerweile zahlreiche Medien, was Dave Bruno nun einen Buchvertrag eingebracht hat. Das Projekt soll 2010 in Papierform herauskommen, damit andere es kaufen (!) können. Die Idee ist natürlich keineswegs neu. Die Simplicity-Bewegung in Nordamerika hat zahlreiche Sympathisanten, der Engländer Tom Hodgkinson schrieb schon vor Jahren in “How to be Idle” und “How to be Free” vergnügt über den Konsumverzicht in Zeiten des Konsumwahns, und auch die Küstenmachers haben mit “Simplify your Life” diese Welle erfolgreich geritten . Eigentlich fing das Gier-und-Haben-Wollen-Problem schon bei Adam und Eva an – und frühe christliche Denker wie Thomas von Aquin haben bereits Lösungen angeboten.
In einer Welt, wo Konsumieren oberste Bürgerpflicht ist, wo die Politik nicht in der Lage ist, Alternativen zum wachstumsorientierten Wirtschaften aufzuspüren, wo andererseits die Resourcen ausgehen und auf Kosten unserer Kinder überbeansprucht werden – in dieser Welt kann sich jeder/jede Einzelne einmal in der eigenen Wohnung umschauen und anfangen die Gegenstände zu zählen. Ist man/frau erst einmal in der Übung, werden deutlich weniger überflüssige Dinge angeschafft und Gebrauchsgegenstände mit eher guter, langlebiger Qualität (ChiNO) nachgekauft.
Übrigens: Ein buddhistischer Mönch muss mit acht Gegenständen auskommen: der Almosenschale, dem Rasiermesser, einer Nadel, einem Zahnholz, einem Sieb, einem Stock, einem Gürtel und drei Tüchern als Kleidung. Auf der anderen Seite gibt es Leute, die acht Autos besitzen, oder Sammler, die 1.000 Buddhas, 5.000 Igel oder 10.000 Musik-CDs ihr eigen nennen.
PS: Was ist mit Kunst, die sich allen Nützlichkeitserwägungen per se entzieht?