Irland Sonntag

 

29. März 2020, Sonntag.
5. Fastensonntag, Judica.

 

Irland Corona

Irland in den Zeiten von Corona. Wir leben auf dem Land in Irlands äußerstem Südwesten, in einer Streusiedlung am westlichen Rand Europas, direkt am Atlantik. Auch in dieser einsamen, abgelegenen Gegend wird das Leben jetzt völlig vom neuartigen Coronavirus beherrscht. Wir, Eliane [e] und Markus [m], schreiben ein gemeinsames öffentliches Tagebuch über unser Leben in Irland in Zeiten von Corona. Heute schreibt Markus . . .

Sehnsucht nach Pause. Die leicht gekräuselte Oberfläche des Meeres leuchtet dunkelblau. Ruhe. Weite. Das Meer ist immer hier. Ich schaue hinaus auf den Atlantik und gleichzeitig in mich hinein. Ich suche die innere Pause-Taste. Begnadet scheinen jene Mitmenschen, die einfach ignorieren, was um sie herum geschieht („Ich schaue und lese seit Jahren keine Nachrichten mehr“).

Was ist unter dem Eindruck der Corona-Krise schon alles gesagt worden. Fast alles von allen. Es muss daran liegen, dass der Fußball Pause macht (und die Pilates-Stunde ausfällt). So sind wir jetzt kein Volk von Bundestrainern mehr. Statt dessen jede/r ein Epidemiologe-Virologe-Krisenmdediziner.

Eigentlich schade, dass Heilpraktiker O. oder Laien-Virologe F. keine eigenen Auftritte in der Bundespressekonferenz bekommen. Sie wissen alles so schön besser. Dies ist auch die Zeit der Besserwisser – ein jeder nach eigenem Gusto, auf dem eigenen Sender. Wissen war Macht, nicht Wissen macht auch nichts. Und dazu Empörung. EMPÖRUNG (!) über alles und jedes und auch das Gegenteil. Die Zukunft, sie wird so sein oder so, und so, nein so. Alle wissen Bescheid, doch wer kennt die Wahrheit? Sehnsucht nach Pause.

 

***

 

Die Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren. Was stimmt, was ist wahr? Welches Gefühl bestimmt mich? Darf ich angesichts des Leids in Italien, in New York, in Madrid, ja, in London und im Elsaß fröhlich oder gar glücklich sein?

„Diesen Schock von der Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren erleben wir heute. Alles ist gleichzeitig sichtbar, rivalisiert auf ein und demselben Kommunikationskanal. Die seriöse Information in Form der täglichen Drosten-Dosis. Die irrwitzige Verschwörungstheorie. Die bemühte Positivmeldung. Die Horrorgeschichte von den reichen Russen, die ihren Landsleuten prophylaktisch und ohne Not die Beatmungsgeräte wegkaufen. Bilder ignoranter Sorglosigkeit von einer Corona-Party mit herumalbernden Schülern. Die Drohkurve der aktuellen Infektionsraten. Der 1000. Infizierte hier, der erste Todesfall dort . . .

Alles könnte jetzt passieren, so scheint es . . . Wessen Geschichte zählt, welche wird bleiben? . . . Es ist die allgegenwärtige Sichtbarkeit solcher Unterschiede und die Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren, die jede vorschnelle Bilanz der aktuellen Krise als Wunschdenken entlarvt . . .“

Kluge Sätze des Tübinger Medien-Wissenschaftlers Bernhard Pörksen, die ich nicht neu erfinden muss.

***

Realitäts-Schock. Die große Illusion jedenfalls hat ein Ende. Die Vorstellung, dass immer alles gut ist, dass sich nichts ändert, dass wir in einer immer noch wohlhabenderen Wohlstandswelt aufwachsen, reifen, altern. Dass Zufall, Unberechenbarkeit und Schicksal endgültig abgeschafft sind. Alles fließt. Nichts bleibt, wie es war. Die alten Weisheitsfloskeln bekommen mit einem Schlag wieder Bedeutung außerhalb von Wohlfühlseminaren. Nur die Ungeweissheit ist gewiss, einzige Konstante die Veränderung. Die schönen Kalendersprüche wirken plötzlich wie schlimme Drohungen.

Ich muss daheim bleiben. Ich darf nicht ins Konzert. Meine Pläne sind durchkkreuzt. Meine Existenz steht auf dem Spiel. Mein Arbeitsplatz. Mein Wohlstand ist bedroht: Es gibt viel Leid in dieser Welt, die Existenz unter künstlicher Beatmung muss schrecklich sein. Daneben massives und lautes Massen-Jammern auf höchstem Niveau. Die große Illusions-Blase ist geplatzt. Wir stehen unter Realitäts-Schock. Das ist plötzlich Leben live – ohne Ablenkung und doppelten Boden. Das Ende der Simulation.

Corona könnte am Ende eine kleine Übung für den großen Ernstfall werden? Die menschengemachte Naturzerstörung ist die wirklich große Herausforderung für die Menscheit. Diese fundamental andere Realität schleicht sich auf leisen Sohlen an, wir nehmen sie deshalb noch nicht wirklich ernst: Erderhitzung, weltweite Brände, die Zerstörung der Böden, die Verschmutzung der Luft und des Wassers, der Einbruch der Nahrungsmittel-Sicherheit, neue viren-verursachte Pandemien, in die Menschen-Welt gebracht durch Massentierhaltung und industrielle Fleischproduktion. Die Welle rollt, die Flut steigt. Aber nun erst Corona.

Vielleicht können wir in diesem Moment von Corona lernen, der Illusion der vermeintlichen Sicherheit wachsam wie lange nicht zu misstrauen, um zu überleben – und Lebenslügen wie „das grüne Wachstum“ endlich erkennen und als solche benennen?

.

***

 

Chief White Eagle: Was hat er uns heute zu sagen?

Die Geister der weisen Häuptlinge. Erinnern Sie sich an die Rede des Häuptlings Seattle? “Wir sind ein Teil der Erde.” An Sätze wie: „Was immer den Tieren geschieht, geschieht bald auch den Menschen. Alle Dinge sind miteinander verbunden. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne der Erde.“

Oder an die vermeintliche Weissagung der Cree: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“

Diese Texte waren vor vier Jahrzehnten populär. Sie prägten die Umweltbewegung und verfehlten ihre Wirkung auf das Denken und Fühlen breiter Kreise nicht. Dabei spielte keine Rolle, dass sie gefälscht, gefärbt, verzerrt oder modifiziert waren.

Seit einigen Tagen nun geistert die Botschaft einer großen roten Seele durch die unsozialen Medien. Hopi-Chief White Eagle, ehemals Turtle Island (Nordamerika), meldet sich aus dem Jenseits zu Wort. Er schickt uns gechannelte Weisheiten zur Corona-Krise. Wer immer nun diesen Text in die Welt gesetzt hat – er wird unter anderem von anarchistischen Kreisen verbreitet – er ist bedenkenswert; und er gibt Antwort auf meine Frage: Darf ich in diesen schwierigen Zeiten fröhlich oder gar glücklich sein? Der weise Häuptling “spricht”:

„Fühle Dich nicht schuldig, in dieser schwierigen Zeit glücklich zu sein. Es hilft überhaupt nicht, wenn Du traurig und ohne Energie bist. Es hilft, wenn jetzt gute Dinge aus dem Universum kommen. Widerstehen wir durch Freude.“

(Der Text ist am Ende dieses Beitrags angefügt).

***

 

Die Tages-Statistik? Wo bleiben die News aus Irland an diesem Sonntag?

Ich mache ein wenig Pause. Lasse die Worte des Weißen Adlers auf mich wirken. Widerlege keine Verschwörungstheorien und nehme die aktuelle Corona-Statistiken einfach nicht zur Kenntnis. Es ist der siebte Tag. Die gekräuselte Oberfläche des Atlantiks leuchtet jetzt türkisblau. Ruhe. Weite. Das Meer ist immer hier.

 

***

PS: Die „Message from White Eagle“, Hopi Indian, March 16th 2020:

“This moment humanity is going through can be seen as a portal and as a hole.

The decision to fall into the hole or go through the portal is up to you. If they repent of the problem and consume the news 24 hours a day, with little energy, nervous all the time, with pessimism, they will fall into the hole. But if you take this opportunity to look at yourself, rethink life and death, take care of yourself and others, you will cross the portal.

Take care of your home, take care of your body. Connect with the middle body of your spiritual house, all this is synonymous, that is to say the same.

When you are taking care of one, you are taking care of everything else. Do not lose the spiritual dimension of this crisis, have the aspect of the eagle, which from above, sees the whole, sees more widely.

There is a social demand in this crisis, but there is also a spiritual demand. The two go hand in hand. Without the social dimension, we fall into fanaticism. But without the spiritual dimension, we fall into pessimism and lack of meaning.

You were prepared to go through this crisis. Take your toolbox and use all the tools at your disposal.

Learn about resistance with indigenous and African peoples: we have always been and continue to be exterminated. But we still haven’t stopped singing, dancing, lighting a fire and having fun. Don’t feel guilty about being happy during this difficult time.

You don’t help at all by being sad and without energy. It helps if good things emanate from the Universe now. It is through joy that one resists. Also, when the storm passes, you will be very important in the reconstruction of this new world.

You need to be well and strong. And, for that, there is no other way than to maintain a beautiful, happy and bright vibration. This has nothing to do with alienation.

This is a resistance strategy. In shamanism, there is a rite of passage called the quest for vision. You spend a few days alone in the forest, without water, without food, without protection. When you go through this portal, you get a new vision of the world, because you have faced your fears, your difficulties…

This is what is asked of you: Allow yourself to use this time to carry out your vision quest rituals. What world do you want to build for yourself? For now, this is what you can do: serenity in the storm. Calm down, pray every day. Establish a routine for meeting the sacred every day.

Good things emanate, what you emanate now is the most important thing. And sing, dance, resist through art, joy, faith and love.

Resist.“

 

Übersetzung ins Deutsche? Copy Text und Paste in www.deepl.com . Gibt in der Regel gute Ergebnisse.

 

Fotos: Markus Bäuchle; Vignette: Eliane Zimmermann