Wie hoch steht der Frühling? Das Grün Irlands wandert in diesen Wochen aus den Tälern und Ebenen langsam bergwärts. Die Bauern können beim Anblick der Berge das genaue Datum nennen – die Datumsgrenze liegt immer dort, wo das von unten andrängende frische Grün in das Braun des vergangenen Jahres changiert. Bis in den Juni hinein kann es dauern, bis die Farben des Sommers auch auf den Bergspitzen angekommen sind.

Irland ist  berühmt für sein Grün und die vielen Schattierungen dieser Farbe. Vor zwei Jahren machte ich mir einmal Gedanken über die 40 Shades of Green, die berühmten 40 Schattierungen des irischen Grüne – und das kam dabei heraus:

Kalifornien anfang der 60-er Jahre. Der noch immer junge Country- und Folk-Sänger John R. Cash probiert musikalisch Vieles. Zwei Jahre, bevor Johnny den “Ring of Fire” schreibt, singt John R. spanisch, deutsch, drückt seine Verbundenheit mit Irland in mehreren Liedern aus. Die bekannteste Irland-Ode des späteren “Man in Black” sollte “Forty Shades of Green” werden – und der Song-Titel machte Karriere als “ur-irischer” Begriff. Seidem sagt man, vermeintlich im Stile der alten Iren, die “Emerald Isle” habe “Forty Shades of Green”, 40 Schattierungen der Farbe Grün.

Während die irischen Tourismusvermarkter Johnny Cash in alle Ewigkeit dankbar sein dürfen, fragen sich Generationen von Irlandurlaubern, ob das wirklich stimmt mit den 40 verschiedenen Grüns und wer sie eigentlich jemals gezählt hat. Ganz nüchtern betrachtet versammeln sich in Irland alle Grüns der Welt. Die Farbe Grün mischt sich aus den Farben Blau und Gelb – und dies in prinzipiell unendlich vielen Abstufungen. Der Mensch kann bis zu 20.000 Farbabstufungen unterscheiden. Der Schluss liegt also nahe, dass die Beschränkung auf nur 40 Grüns der literarischen Freiheit des Songpoeten Cash entsprang und es sich um eine glatte Untertreibung handelt.

Johnny Cash starb im September 2003 in Nashville. Er hat die schlimmsten Exzesse des irischen Wirtschafts-, Bau- und Konsum-Wahns nicht mehr erlebt. Ansonsten hätte er seinen berühmten Song in “Forty Shades of Greed” umgeschrieben.  Grün, die Farbe der katholischen Kirche wie die des Islam, der Unerfahrenheit und der Passivität, der Erholung und der irischen Nationalisten, ist auch die Farbe des Neides. Den Neid widerum, hässlicher Bruder der Gier, kennt man in seiner irischen Ausprägung “Neid und Missgunst” als Begrudgery. Begrudgery galt lange als die Irische Krankheit. Man spricht davon, dass jemand “grün vor Neid” ist, benutzt dafür aber den Begriff “envy”: Green with envy.

 

Green with envy, green as ivy. Grün wie Efeu. Kehren wir zur beruhigenden Wirkung eines Spazierganges im schier unendlichen Kosmos des irischen Natur-Grüns zurück. Die Tage werden länger und wärmer. Ziehen wir mit dem Grün in die Berge. Die Wandersaison beginnt.

 

Das Foto ( © Markus Bäuchle ) entstand am Wochenende am Three Castle Head im Südwesten Irlands.