Zeitreise auf eine kleine irische Gezeiten-Insel im Atlantik vor Connemara. Gabriele Gérard nahm vor einigen Jahren an einem traditionellen irischen Beerdigungs-Ritual auf Omey Island teil. Das waren ihre Eindrücke.
Bei kühlem, stürmischem Wetter machen wir uns auf den Weg zur Insel Omey. Zweimal am Tag gibt das Meer den Weg frei, dann kann man zu Fuß über den 600 Meter langen Sandpfad hinüber gehen. Bei Flut wird sie vom Land getrennt, und wer nicht rechtzeitig zurückkehrt, muss sich die Zeit auf dem winzigen Eiland vertreiben oder versuchen, ein Boot zu ergattern, das ihn zurück an Land bringt. Einst lebten 400 Menschen auf der Gezeiteninsel bei Clifden im Westen von Connemara.
Nur der alte Friedhof ist von der einstigen Siedlung geblieben, alles sonst ist abgetragen von Wellen und Winterstürmen oder unter Sand begraben, wie die Ruinen der mittelalterlichen Kirche von Teampaill Féichin, die erst Anfang der 1980er-Jahre wieder freigelegt wurde
Bei grau verhangenem Himmel setzen wir den Fuß auf den Strand, der noch vor kurzem überspült war und auf dem das sich zurückziehende Wasser seine Schätze hinterlassen hat: Tang, kleine Muscheln in allen Formen und Farben, bizarre Muster der spaghettiförmigen Häufchen der Wattwürmer. Wir überspringen die Rinnsale, in denen Wasser zurückfließt.
Das Tor des alten Friedhofs ist leicht zu öffnen und wir gehen durch die über den Hügel verstreuten Grabstätten. Schmucklos sind die Gräber hier, meist nur mit Kieselsteinen oder einer Grasdecke bedeckt. Es sieht so aus, als habe man die, die hier liegen, längst vergessen. Dutzende von verwitterten, windschiefen Steinen, deren Inschriften nicht mehr lesbar sind, ragen aus der Wiese – auch sie einmal Grabsteine. Graue High Crosses ragen in den Himmel, in ihrem Stein wachsen gelbe und grüne Moose.
Auf einem neuen Grab prangt aus grell rosa Plastikblumen ein Schriftzug: MARIE. Ein junges Mädchen liegt hier begraben. Den Grabhügel bedeckt ein Fischernetz, das die Plastikblumensträuße und Gebinde festhält und gegen Wind und Sturm verteidigt.
Wir sammeln ein, was der Wind über den Ort verteilt hat
Wir sammeln ein, was der Wind über den Ort verteilt hat. Ich erinnere, was meine Freundin Kerstin aus Belfast einmal sagte, als wir am Grab meines Sohnes Florian in Berlin saßen und über irische Friedhöfe sprachen: „I don’t want to be buried on a dump“ (Ich möchte nicht auf einer Müllhalde begraben sein). Sie meinte damit, dass es wundervoll sei, in Irland zu leben, dass sie aber in Deutschland ihre letzte Ruhestätte haben möchte, wenn es soweit ist.
Wir entdecken ein neu ausgehobenes Grab und später erzählt uns Mary im B&B, dass heute auf Omey ein Begräbnis statt finden wird. Er war Nachbar und sie in der Nacht zuvor im Wake House und habe sich verabschiedet.
Sie erklärt uns, dass der Wake ein in Irland noch heute übliches Ritual ist. Das Dorf findet sich im Haus des Verstorbenen ein und nimmt am offenen Sarg Abschied. Man stößt auf sie oder ihn an, und bei Sandwichs, Kuchen und Tee schwelgt man noch einmal in Erinnerungen an Ereignisse, die das eine Leben mit dem der Toten verwoben haben; man erzählt sich Geschichten und Anekdoten und weint und lacht und betet. Einige Tage kann der Verstorbene so aufgebahrt bleiben und ausreichend Zeit zum Abschied geben. Nachts übernimmt die Familie die Totenwache. Da Mary selbst nicht zur Beerdigung gehen kann, beschließen wir, sie zu vertreten.
Wir nähern uns Omey Island jetzt aus einer anderen Richtung, so dass wir einen weiten Blick über die Bucht und den Strand haben und dort aus der Ferne sehen wird bereits den Leichenwagen und hinter ihm – wie auf einer bunten Kette aufgereiht – eine nicht ende Schlange von Autos, die ersten bereits auf dem bereits trockenen Teil des Strandes, darauf wartend, dass sich das Meer gänzlich zurückziehen und den Weg freigeben wolle. Wir warten einige Zeit, bis sich die schier unendliche Menge an Fahrzeugen langsam in Bewegung setzt und als der Sarg des Verstorbenen bereits von Trägern auf den Friedhof getragen wird, setzen die letzten Trauergäste auf dem Strand zum Parken an.
Wir halten gebührenden Abstand und nun bietet sich uns ein Bild, das sich – bis auf eine kleine durch schwarze Kleidung erkennbare Gruppe von trauernden Angehörigen – nicht wesentlich von dem der nebenan am Strand auf ein Pferderennen Wartenden unterscheidet. Kleine Gruppen von Männern, plaudernd und gestikulierend, Mütter mit Kindern auf dem Arm und an der Hand, damit beschäftigt, sie von den Grabstätten fernzuhalten, ein Schwätzchen mit der Nachbarin, die in grellrotem Mantel erschienen ist und ein Pfarrer, der in der zweiten Reihe stehend, stereotyp Sätze zu wiederholen scheint, deren Inhalt wir nicht verstehen können.
Bis auf die direkt am Grab Versammelten scheinen die Trauergäste nicht besonders bewegt und engagiert zu sein, was am vorausgegangenen Wake liegen mag. Die Beerdigung ist wohl noch ein abschließendes Ritual, das nicht mehr von zentraler Bedeutung ist.
Nachdem der Sarg in die Erde gelassen wurde, beginnen junge kräftige Männer damit, Erde in die Gruft zu schaufeln, auch sie in Straßenkleidung. Diese geschäftige Arbeit nimmt der Zeremonie die letzte Feierlichkeit und erst nachdem der Grabhügel geschaufelt ist und die Schaufeln zur Seite gestellt sind, erklingt eine wunderschöne Melodie – auf einem Akkordeon gespielt – und für einen Moment scheinen sich alle Umherstehenden des Anlasses zu besinnen, der sie hier zusammengeführt hat.
Ein alter vor uns stehender Mann mit Tweedmütze verabschiedet sich von seinem Nachbarn mit den Worten „I am the next“ und macht sich auf den Nachhauseweg.
Kaum jemand geht noch einmal zum Gab, man strömt so auseinander, wie man zusammenkam. Die Motoren werden angelassen. Das Gesprächsthema ist nun das Pferderennen nebenan am Strand, dessen Beginn sich durch die nur langsam zurückziehende Flut noch zu verzögert.
Die Kette der bunten Fahrzeuge bahnt sich den Weg über den Strand zurück zum Festland, und nach gut 200 Metern sucht man vor dem nächsten Pub erneut einen Parkplatz, um auf den Verstorbenen zu trinken.
Unser Blick richtet sich zurück auf Omey Island: Der Friedhof nun menschenleer, quirliges Treiben beim beginnenden Pferderennen. Kleine Wettbüros, im Pop-Up- Verfahren aufgestellt, haben regen Zulauf. Das Leben geht weiter.
Ich halte eine gelbe Nelke in der Hand, die aus einem Blumenstrauß gefallen sein muss und stelle sie an Florians Foto, das im B&B am Fenster steht.
Buchempfehlung: Island Funeral. Der Dubliner Dokumentar-Fotograf Bill Doyle hat im Jahr 2000 ein ergreifendes Foto-Buch über das traditionelle Beerdigungs-Ritual auf den Aran-Inseln vorgelegt. Die Fotos stammen vom Besuch Doyles auf der Aran-Insel Inis Oírr (Inisheer) im späten Juni 1965. (Veritas Publishing, 60 Seiten. Das Buch ist vergriffen und gebraucht mit etwas Glück noch erhältlich.)
Ergänzend und weiterführend ein Artikel aus der Irish Times vom 08.02.2017: Omey Island’s last resident crosses strand at low tide one final time
Alle Fotos: Gabriele Gérard
Eine Beerdigung in der Form habe ich bisher noch nicht miterlebt. Es ist sehr interessant, sich mit den Bestattungsritualen verschiedener Kulturen zu befassen. Ich selbst habe inzwischen sehr konkrete Wünsche für meine eigene Bestattung eines Tages und hoffe sehr, dass diese mir erfüllt werden.
Die Schönheit wie die Hässlichkeit liegen im Auge des Betrachters. Schön, dass wir mit verschiedenen Augen wahrnehmen und uns darüber austauschen können. Einerseits.
Anderseits ließen die vergangenen zwei Jahrzehnte irischer Realität, in denen sich die Frömmigkeit allmählich ausschlich und viele Menschen vom Glauben an die katholische Kirche abfielen, viele unterschiedliche Beobachtungen und Erfahrungen zu. Auch bei Beerdigungen.
Traditionell heißt nicht automatisch gut, tief und spirituell, sondern der lange praktizierten formalen dreiteiligen Struktur folgend. Ich habe hier Beerdigungen erlebt, die man nicht anders denn als große Besäufnisse bezeichnen musste, ich habe sehr würdigende und ergreifende Trauerfeiern erlebt und ich war an Bestattungen, aus denen der pflichtschuldige Pfarrer ein lästiges Ritual machte, gemäß der alten Priesterunterhaltung: „Bruder, was machst Du heute?“ „Na was schon: Leib essen, Blut trinken, Deckel drauf.“
Im übrigen stimme ich Gabis Beobachtung zu: Bei der Beerdigung selber ist nach anstrengender Wake und dem Abschieds-Gottesdienst die Trauer-Energie der Hinterbliebenen oft auf ein Minimum gesunken. Man möchte, dass das Ende ein Ende hat.
Lieber Markus,
auch Dir Dank, der Du weisst, wie sehr das Thema „Trauer“ mein Leben bestimmt!
Gerne würde hier auch über meine teilweise überwältigenden Erlebnisse zum Thema „Empathie“ in Irland schreiben. Aber ‚Trauer‘ ist nicht so der „Renner“ … Ich denke drüber nach..
Liebe Grüße
Gabi
So unterschiedlich wie das Leben sind auch Tod und Abschied
Liebe Heike, liebe Birgit, ich danke Euch für Eure Kommentare, die ich gerne als Ergänzung zu meinem Erlebten ansehen möchte.
Was ich geschildert habe, ist Erlebtes, in einem Tagebuch festgehalten. Ich habe tatsächlich nicht den Anspruch – und somit ist der Titel irritierend – eine „traditionelle Beisetzung“ zu beschreiben. Wir sind einfach in diese Situation gelangt, und ich habe in Bild und Wort festgehalten, was wir sahen. Hier stießen Tod und Leben in einer solchen Unmittelbarkeit aufeinander, wie wir sie sonst niemals erleben: Sowohl eine Beisetzung als auch ein Pferderennen – in unmittelbarer Nähe.
Es war deutlich, dass neben dem erkennbar engen Kreis Trauernder, ein Teil der Menschen, die an der Beisetzung teilnahmen, im Anschluss zum Pferderennen gehen würden, dem hier eine sehr große Bedeutung beigemessen wird, da man leidenschaftlich gerne wettet.
So hatte diese Beerdigung für uns bei allem Ernst und der Trauer auch etwas Skuriles, wie die Bemerkung des Mannes, der sich verabschiedetet mit „I am the next“. Und das ist für uns IRLAND!
Ich mache zunehmend die Erfahrung, dass, schildere ich etwas, das nicht in das Bild anderer passt, auf Distanz gegangen oder – wie hier – mir Überheblichkeit vorgeworfen wird. Das erinnert mich gerade an die „political correctness“ hier zu Hause. Nein, Irland ist meilenweit fern von Perfektion und correctness und dieses Erleben war eine Perle mehr auf der Schnur unserer besonderen Erlebnisse für die ich auch weiterhin offen bleiben möchte!
Gabriele
Liebe Gabriele,
schön, wie du hier erläuterst.
Die Beiträge auf Irlandnews sind eigentlich immer Beobachtungen, Statements und Kommentare von sehr realen, sehr unterschiedlichen Menschen. Keine glatte journalistische Herangehensweise. Genau das verbindet unsere kleine Community.
Dass jemand Tod, Trauer und Abschied auch ganz anders erlebt und empfunden hat(te), ist ganz natürlich. Du siehst ja ja deshalb die 2 Kommentare auch als Ergänzung – sehr richtig..
Deine kleine „Erweiterung“ der Sicht auf bundesdeutsche Entwicklungen in der Kommunikation hier, hat für mich auch seine Berechtigung. Aber du weist ja – berechtigt – darauf hin, dass wir hier auf Irlandjournal viel offener sind/sein sollten.
Herzliche Grüße
Werner
Danke, lieber Werner!
Vielen Dank, das war ein sehr interessanter Bericht
Danke, liebe Manuela!
Gruß Gabriele
Auch ich habe die Beerdigung meiner irischen Freundin anders erlebt.
Die Familie, Nachbarn und Freunde konnten im Haus von ihr Abschied nehmen, ich war einge Zeit mit ihr alleine in dem Raum in dem sie aufgebahrt war. Ich empfand alle Menschen in dem Haus sehr betroffen und traurig.
Am nächsten Tag war sie dann in der Kirche im Sarg und der Gottesdienst dauerte mehrere Stunden und endlos verabschiedeten sich Menschen aus der Umgebung an ihrem Sarg. Der Gottesdienst war sehr friedlich, es wurde gesungen und der Pfarrer hats viele Anekdoten erzählt von ihr. Zur Beerdigung am Friedhof fuhren viele Autos und auch dort unter den Gästen Betroffenheit, Trauer und Stille…ich sah niemanden in bunter Kleidung oder in irgendeiner Form nicht „dabei sozusagen“
Am Friedhofstor standen dann zwei aus der Familie und jeder von den Trauergästen hat einen kleinen Whiskey, wenn er /sie wollte zum Abschied bekommen…
Danach gab es dann für Freunde, Familie und Nachbarn ein Wiedersehen im Hotel mit Essen und Trinken.
Ich ärgere mich ein bischen über die Beschreibung in dem Text: Die Beerdigung ist wohl noch ein abschließendes Ritual, das nicht mehr von zentraler Bedeutung ist. ….von niemanden, die auf Beerdigungen in Irland waren, habe ich so etwas gehört und ich habe so etwas auch nicht erlebt. Ich empfinde den obigen Text etwas herablassend…schade!. Aber natürlich empfindet jeder anders, eben wie immer im Leben!
Tja, ich hab es anders erlebt vor einigen Jahren.
In Kilcar, Donegal, war die Mutter eines Bekannten gestorben. Wir gingen zur Kirche (nicht zur Wake, so gut kannten wir sie nicht) und erlebten einen mich sehr berührenden Gottesdienst in Irish. Der Sarg wurde von ihren Söhnen sowohl hereingetragen als auch wieder hinaus hinterher bis zum Grab. Der Chor sang, auch in Irish.. Die vielen Menschen waren still in der Kirche. Wir beobachteten die Beerdigung aus einiger Entfernung von einem Hügel
aus Es war sehr würdevoll und berührend.
Kurze Zeit vorher war ich bei einer Beerdigung hier in Deutschland, der Gottesdienst vorher wurde in aller Hast in der Kapelle abgehalten , da die nächste Beerdigung schon wartete…Zeit zum Abschiednehmen gab es nicht…Erst nach der Beerdigung konnte man nochmal zum Grab gehen, dass allerdings auch schon zugeschaufelt wurde…