Sinéad O’Connor ist tot. Die Musikerin aus Dublin starb im Alter von 56 Jahren. Sinéad kämpfte ihr Leben lang für ein anderes Irland – oft auf verlorenem Posten und doch als eine provokativ treibende Kraft des gesellschaftlichen Wandels. Wir veröffentlichen heute noch einmal die Rezension ihres Buches Erinnerungen aus dem Jahr 2021 von Ellen Dunne.
»Ich erinnere mich nur an das, was ich meinem Verleger gegeben habe. Abgesehen von dem, was privat bleiben soll und dem, was ich vergessen will. Die Gesamtheit dessen, woran ich mich nicht erinnere, würde indes zehntausend Büchereien füllen, daher ist es vielleicht ganz gut, dass vieles in Vergessenheit geraten ist.« (S. 10)
Evolution einer irischen Revoluzzerin
Erinnerungen von Sinéad O’Connor,
übersetzt von Peter Peschke.
Rezensiert von Ellen Dunne
Sinéad O’Connor mag von vielen in Irland und international als bedauernswertes, ehemaliges One-Hit-Wonder abgetan werden, eine impulsive Exzentrikerin mit seelischen Problemen. Und ja – die irische Musikerin und „gefallener Star“ ist unberechenbar. Das sagt sie selbst von sich, und das kann ich bestätigen. Denn eigentlich wollte ich heute ein ganz anderes Buch vorstellen. Bis ich über die Feiertage Sinéad O’Connors Autobiografie, gelesen von ihr selbst, zugehört habe. Ausgerechnet an dem Tag, an dem ich das Hörbuch beendet habe, wurde der tragische Tod einer ihrer drei Söhne bekannt. Meine Entscheidung, diese Autobiografie hier zu empfehlen, hat das aber allenfalls nur bestärkt. Denn Erinnerungen ist mehr als eine Aneinanderreihung einer schlimmen Kindheit mit Einsprengseln von (teils verstörenden) Anekdoten über die Musikszene. Es ist der Versuch einer Frau, die Herrschaft über ihr Leben, und damit auch ihre Vergangenheit zurückzugewinnen. Dabei schont Sinéad O’Connor niemanden. Schon gar nicht sich selbst …
Tragik, Humor – und schonungslose Offenheit
Schon zu Beginn entschuldigt sich Sinéad O’Connor bei ihrer Familie. Erzählt dann mit fast schmerzhafter Offenheit von einer Kindheit, geprägt von der bitteren Scheidung ihrer Eltern und den seelischen und auch körperlichen Grausamkeiten ihrer früh verstorbenen Mutter, der sie und ihre drei Geschwister (unter ihnen der Schriftsteller Joseph O’Connor) ausgesetzt waren. Schon früh sucht die rebellische Sinéad Trost, zunächst in der im damaligen Irland allgegenwärtigen Religion. Dann in der Musik.
»An der Wand steht ein altes Klavier. Die Tasten sind gelb, so wie die Zähne meines Großvaters. In den Tönen liegt ein Echo, ein seltsamer Klang, wie die Geisterglocken eines versunkenen Schiffes. Ich schleiche mich hier oft allein rein, weil das Klavier nach mir ruft. Es bringt die Luft um sich herum in breiten Wellen zum Vibrieren, mit einem nur vagen Anklang von Farben, gerade genug, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Es klingt so betrübt, wenn ich die Töne spiele. Das Ding ist traurig. Einmal, als der Abend dämmerte, habe ich es nach dem Grund gefragt. Weil es in mir spukt, sagte es, und es forderte mich auf, mein Ohr auf seinen Bauch zu legen – jene flache Holzplatte, die sich vor den Schienbeinen befindet, wenn man das Klavier spielt. Ich drückte meine rechte Wange auf das Holz und das Klavier sagte: Jetzt spiele ein paar Töne.« (S. 16)
Wie so viele ihrer Landsleute beherrscht Sinéad O’Connor die Kunst, Trauriges so originell und mit Selbstironie zu erzählen. Ich musste mehr als einmal laut schmunzeln, trotz all der Tragik. Gerade im von der Autorin selbst eingelesenen englischen Hörbuch ist diese Fähigkeit zum Humor angesichts der Zumutungen des Lebens absolut hörbar – man wähnt sich auf einer Seite mit Sinéad O’Connor. Auch, als sie schließlich unversehens zum Weltruhm katapultiert wird.
Sinéad O’Connor, die widerspenstige Ikone der Generation MTV
Nothing Compares 2 U. Einer von vielen guten Songs, die Prince geschrieben hat. Unvergesslich wurde er aber erst durch Sinéad O’Connors Coverversion 1990. Eine junge Mutter Anfang 20, mit kahlgeschorenem Kopf und großen Emotionen, die während der Aufnahme des minimalistischen Videos übernehmen. Sie selbst war damals davon überzeugt: Ihre Tränen haben das Video ruiniert. Stattdessen schießt Nothing Compares 2 U auf Platz 1 in Europa, USA und Australien, hält sich dort Woche um Woche. MTV, der Trendmacher der damaligen Zeit, und die ganze Szene jubeln – ein neuer Popstar aus dem Bilderbuch. Rehaugen, ein makelloses Gesicht und eine Stimme, die mühelos zwischen Zorn, Trauer und Engelschor changiert. Aber Sinéad O’Connor ist kein Engel. Sie ist ein Punk. Eine zornige Protestsängerin mit Botschaft, die sich nicht verbiegen lassen will. Das zeigt sich in vielen oft amüsanten und gossip-artigen Anekdoten. Und das wird ihr schon bald zum Verhängnis.
Einmal Popstar und zurück: Mit Zorn und Rückgrat in den Karriereknick
„Fight the real enemy!“ – „Bekämpft den wahren Feind!“ Dieser Satz, und das anschließende Zerreißen eines Fotos vom damaligen Papstes Johannes Paul II vor laufender Kamera hat Sinéad O’Connor wohl ebenso berühmt gemacht wie zuvor ihr Welthit. Sie brachte damit ihre Wut über den damals schon bekannten Missbrauch von Kindern in der Katholischen Kirche zum Ausdruck. Noch lange, bevor der irische Staat sich endlich dazu aufraffte, diesen Skandal anzuerkennen und noch länger, bevor er international Schlagzeilen machte.
Und so wurde Sinéad O’Connor als zornige Botschafterin einer unangenehmen Wahrheit über Nacht aus der Popwelt exkommuniziert und vom Liebkind zur Aussätzigen, ihre Karriere kehrt langsam wieder unter die allgemeine Wahrnehmungsgrenze zurück. Als jemand, der damals ebenfalls (zu wenig) über die Hintergründe dieses Skandals wusste, fand ich diese Passagen über die zunehmende Isolation der Künstlern sehr berührend. Dass Sinéad O’Connor hinter ihrer damaligen Aktion steht und sich als Popstar nie wohlgefühlt hat, nimmt man ihr ab. Aber der Preis für ihr Rückgrat war ihre öffentliche Hinrichtung, und bis heute scheint man darüber lieber den Mantel des Schweigens zu breiten, so wie über das geschehene Unrecht.
Die Liebe zur Musik als Kompass durch viele Tiefen
Der dritte Teil von Sinéad O’Connors Geschichte vertieft noch einmal den Eindruck einer Frau, deren Biografie von ausgeprägten Depressionen und Schicksalsschlägen geprägt war (und leider noch ist). Einige Jahre scheinen überhaupt vergessen (bzw. verdrängt) worden zu sein, und jene Zeiten, die nicht ausgespart werden, geben eine Ahnung davon, wie volatil und zerbrechlich ein Leben sein kann. O‘Connors Spiritualität ist inzwischen vom Christentum zum Islam weitergewandert, ihre Kommentare dazu sind durchaus interessant. Wichtigster Trost und Kompass bleiben ihre Kinder und – wenig überraschend – ihre Musik. So wie die Beziehung zu ihren Kindern und deren Vätern kommentiert sie auch zahlreiche Lieder einzeln, und mit viel spürbarer Liebe. Ein Eindruck vom Menschen Sinéad O’Connor in all ihrer Fragilität, Verletzlichkeit und Stärke. Und eine Offenheit, vor der ich den höchsten Respekt habe.
„Wenn ich als Künstlerin mir etwas erhoffe, dann dass ich gewisse Leute dazu inspiriere, zu sein, wer sie wirklich sind. Mein Publikum scheint sich aus Leuten zusammenzusetzen, denen man das Leben schwer gemacht hat, weil sie »sie selbst« waren. »Es ist nicht einfach, grün zu sein«, würde Kermit sagen – vielleicht wissen sie gar nicht, dass ich dank ihrer sein kann, wer ich wirklich bin. Auf der Bühne kann ich immer die sein, die ich wirklich bin. Jenseits der Bühne eher weniger. Niemand hat mich je verstanden, nicht einmal ich selbst, wenn ich nicht gesungen habe. Aber ich hoffe, dass dieses Buch Sinn ergibt. Wenn nicht, dann versuchen Sie doch mal, es sich vorzusingen. Vielleicht hilft das ja.“ (S. 12)
Meine Meinung
Erinnerungen von Sinéad O’Connor ist die Lebensgeschichte einer außergewöhnlichen und streitbaren Frau sowie talentierten Künstlerin, die immer wieder Opfer ihrer Umwelt und nicht zuletzt ihrer Selbst wird. Erzählt mit einer schonungslosen Offenheit, die vielen anderen glattpolierten Autobiografien fehlt, aber gleichzeitig so viel Witz und Wärme versprüht, man glaubt Sinéad O’Connor tatsächlich zu kennen. Und wünscht ihr von Herzen bessere Zeiten.
Erinnerungen
Sinéad O’Connor, übersetzt von Peter Peschke
Erschienen im Riva Verlag, 256 Seiten
Erhältlich im lokalen Buchhandel oder beim fairen
Online-Buchhändler Buch7 für 20 €
Irlandnews-Buchtipps: Alle Buch-Rezensionen von Ellen Dunne gibt es hier.
Fotos: Titelfoto von Bryan Ledgard über Wikimedia, Produktfoto MVG Verlag, Foto Ellen Dunne (© Orla Connolly)
Die Docu „Nothing Campares“ über Ihr Leben wurde soeben veröffentlicht, z.B. auf Sky Documentaries heute abend um 9 (in Irland).
Wie klingt Liebeskummer? Wie Sinéad O’Connor. Ich war sechzehn Jahre alt, als ich zum ersten Mal ihre aufwühlend schöne Stimme hörte, die mich aus dem Kinderzimmer in einer tristen deutschen Kleinstadt in ein musikalisches Universum voller emotionaler Kämpfe katapultierte. Gegen all den chartkompatiblen, auf Effekt getrimmten und mit bedeutungstriefendem Vibrato vorgetragenen Seelenkleister stand Sinéads grabtiefe Traurigkeit. Seitdem weiß ich, wie Herzschmerz und Wahrhaftigkeit klingen müssen.
Ob “Nothing compares 2 U”, „Mandinka“, “Thank you for hearing me” oder ihre Interpretation von “Lord Franklin”, die eine der schönsten Versionen dieses Klassikers ist, man muss nur die Augen schließen, zuhören und mit Sicherheit spüren, dass Sinéad für immer bei einem bleiben wird.
John Creedon hat seine Radioshow auf RTÉ 1 am 26. Juli vollständig und einen Tag später zu großen Teilen Sinéad gewidmet. Beide Sendungen lassen sich online nachhören.
Der britische Sänger Morrissey (Moz, The Smiths) schreibt auf seiner Website unter der Headline “You know I couldn´t last” diese Bemerkungen zum Tod von Sinéad O’Connor:
““She had only so much ‘self’ to give. She was dropped by her label after selling 7 million albums for them. She became crazed, yes, but uninteresting, never. She had done nothing wrong. She had proud vulnerability … and there is a certain music industry hatred for singers who don’t ‘fit in’ (this I know only too well), and they are never praised until death – when, finally, they can’t answer back. The cruel playpen of fame gushes with praise for Sinead today … with the usual moronic labels of “icon” and “legend”. You praise her now ONLY because it is too late. You hadn’t the guts to support her when she was alive and she was looking for you.The press will label artists as pests because of what they withhold … and they would call Sinead sad, fat, shocking, insane … oh but not today! Music CEOs who had put on their most charming smile as they refused her for their roster are queuing-up to call her a “feminist icon”, and 15 minute celebrities and goblins from hell and record labels of artificially aroused diversity are squeezing onto Twitter to twitter their jibber-jabber … when it was YOU who talked Sinead into giving up … because she refused to be labelled, and she was degraded, as those few who move the world are always degraded. Why is ANYBODY surprised that Sinead O’Connor is dead? Who cared enough to save Judy Garland, Whitney Houston, Amy Winehouse, Marilyn Monroe, Billie Holiday? Where do you go when death can be the best outcome? Was this music madness worth Sinead’s life? No, it wasn’t. She was a challenge, and she couldn’t be boxed-up, and she had the courage to speak when everyone else stayed safely silent. She was harassed simply for being herself. Her eyes finally closed in search of a soul she could call her own. As always, the lamestreamers miss the ringing point, and with locked jaws they return to the insultingly stupid “icon” and “legend” when last week words far more cruel and dismissive would have done. Tomorrow the fawning fops flip back to their online shitposts and their cosy Cancer Culture and their moral superiority and their obituaries of parroted vomit … all of which will catch you lying on days like today … when Sinead doesn’t need your sterile slop.”
MORRISSEY
26 July, 2023.”
Quelle: Morrissey Online
Well said. Bei Falco war es damals genauso. Aber bei female artists ist es einfach nochmal grausamer es ist leider so.
Eine großartige Stimme ist für immer verstummt…wird aber immer zu hören sein.
hoffentlich hat sie jetzt ihren Frieden gefunden .
Martina
Sie ist viel zu früh von uns gegangen! Eine Frau, eine Musikerin vor der ich immer Hochachtung hatte! Ich bedaure ihren Tod sehr!
R.I.P.
Joachim Bach