Ich habe mir eine Auszeit vom Corona-Virus genommen. Ich denke einfach nicht mehr darüber nach. Seit Tagen schon. Das ist seelisch gesund. Spike-Kugel und Spritzen sind aus meinen Träumen verschwunden. Er ist auch weg: der ungehörte Besserwisser. Ein Pseudo-Experte mit profundem Halbwissen weniger. Das ist wirklich gesund, auch für die Ohren der Anderen. Es entlastet mich und meine Umwelt. Von der Umwelt, der sozialen, ist allerdings gerade nicht viel übrig. So profitiere ich von der Denk-Verweigerung am meisten.
Den Kollateralschäden der Virenbekämpfung kann auch ich nicht ausweichen. Kommt es tatsächlich zu einem dieser raren Gespräche von Facetime zu Facetime oder von Maske zu Maske , dann fallen jetzt auffallend oft Worte mit Zett. Die Menschen am anderen Ende der Leitung oder des Tisches sind alle irgendwas von zerfasert, zermürbt, völlig zerstreut oder gar zerstört.
Wir Privilegierten, die wir nicht mit drei schulpflichtigen Kindern in einer engen Wohnung dem täglichen Wahnsinn ausgeliefert sind, wir haben nun monatelang erlebt, wie man anhaltend reizarm lebt. Wie schön das Leben jenseits der permanenten Überforderung doch wäre, würde sich nur unsere Wahrnehmungs-Geschwindigkeit an den dramatischen Input-Schwund anpassen. Tut sie aber nicht. Reizentzug ist wie Rauchen aufhören – er tut weh. In der Kluft zwischen Sollen und Wollen regiert der Schmerz. Wohl deshalb publizieren die Medien längst wieder bräsige Altherrenstories vom lustigen Überkonsum unserer westlichen Nebeldroge Äthanol. (37 Prozent sagen, sie trinken lustvoll mehr im Lockdown . . . ).
Denken ist eine Art Perpetuum Mobile. Man schafft sich die Reize, die von außen ausbleiben, einfach selber. Da auch ich unter Reizarmut leide, hier im ewigen irischen Lockdown, von dem wir nicht wissen, in welchem Jahr er zu Ende gehen soll, kann ich vom Denken einfach nicht lassen.
(Zwischenbemerkung: Hat jemand erkannt, wie meine Sätze im Lauf der Monate immer länger wurden, immer gedehnter? Ich habe jetzt viel Zeit, lange Sätze zu schreiben. Muss ich vielleicht doch einmal ungesehen aus unserem ewig gleichen 5-Kilometer-Freigehege ausbrechen, in das uns die Regierung nun schon wieder seit Wochen und mindestens bis zum 5. März eingesperrt hat, und mir da draußen ein paar animierende Reize einfangen?)
Jetzt denke ich halt doch noch über den Brexit nach
Weil ich über Corona nicht mehr nachdenke, habe ich mich spät doch noch auf das Thema Brexit geworfen. Dem dritten großen irischen Stoff, dem jahrzehntelangen Missbrauch von Frauen und Kindern in den Heimen der unbarmherzigen Schwestern, gehe ich zur Rettung meiner Stimmung, so gut es geht, aus dem Weg – auch wenn das unerträgliche, Entschuldigung genannte Beschwichtigungs-Geschwalle der Regierenden („Die Gesellschaft ist schuld“) meine Wutdrüsen reizt. Die jahrelange Brexit-Debatte jedenfalls hatte ich mit einer gewissen spielerischen Leichtigkeit begleitet. Beim Verfolgen des endlosen Brexit-Schauspiels konnte man in den vergangenen fünf Jahren mindestens halb so viel Zeit vergeuden wie mit dem Nachrichten-Abo von den täglichen Eskapaden des orange-gesichtigen Irren im Weißen Haus.
Irgendwann habe ich den Gang des Brexit nur noch aus den Augenwinkeln verfolgt. Sollten sich die geschichtsvergessenen Nachbarn auf der britischen Insel doch einfach endlich selber so klein machen, wie sie schon lange waren. Vom Empire nach Little Britain, Weltreiche kommen und gehen. Die Briten würden irgendwann aus ihrem post-imperialen Rausch aufwachen und schmerzhaft verstehen, dass sie ihr Land nicht einfach ins Südchinesische Meer umziehen können. Vielleicht würden sie auch merken, dass sie von einer Bande von notorischen Lügenbolden, angeführt von einem blondierten Flegel mit Wischmopp-Frisur, ganz schön an der Nase herum geführt worden sind.
Die Fotos
Zum Nicht-Nachdenken über Corona gehört, die Bilder im Kopf und hier auf Irlandnews zu vermeiden. Deshalb gibt es gerade keine spike-bewehrten bunten Viren-Kugeln, keine nackten Oberarme, keine spitznadeligen Einmal-Spritzen und keine Menschen mit langen Wattestäbchen in der Nase, die die Schädedecke von innen massieren. Die Fotos zeigen, was ich sehe, wenn ich am Schreibtisch sitze und nicht über Corona nach-denke. Weil der Schreibtisch am Fenster steht, heißt die Bild-Serie „Am Fenster“.
Als einem Anhänger von Postwachstums-Ideen war mir der wachstumsbegrenzende Begleiteffekt des Brexit ohnedies schon immer sympathisch – und auch für unsere Wahlheimat Irland entdeckte ich auf lange Sicht keine allzu großen Schwierigkeiten, allenfalls die Chance zu größerer Unabhängigkeit vom ewigen Freund-Feind jenseits der irischen See. Diese Denke hat mir allerdings Ärger eingebracht von ordnungs-fixierten Polit-Rechthabern, die uns hier in Irland schon am Rande eines neuen Bürgerkriegs wähnten (Die Grenze!!!).
Das Schlimmste, was der Brexit bislang angerichtet hat, spielt sich zweifelsohne im Land der Brexiteers selber ab: Die Häfen an der Westküste von England und Wales veröden, die Wirtschaft weint, das Logistik-Business macht sich rar oder einen weiten Bogen um die große britische Insel. Nord-Irland gehen manche Waren aus. Der Region Kent in Englands Südosten, dort wo die Wohlhabenden leben, haben in langen LKW-Staus festsitzende Brummifahrer mit körperlichen Bedürfnissen einen neuen Namen spendiert: Britains Shithole.
Ja, wir leiden hier an Irlands Atlantik auch ein wenig unter dem Brexit, dies aber auf hohem Niveau. Die Lieferliste unseres Bionahrungs-Großlieferanten hat eine neue Lieblingszahl: die Null. Gerade heute morgen wieder wurden uns zahlreiche Lebensmittel in der Menge null geliefert. Die gute Seite: Der Preis war auch null. Was haben wir wieder gespart. Der Trend zur zwangsweisen Sparsamkeit stabilisiert sich: Zahlreiche Online-Händler, Lieferanten und Speditionen auf dem Kontinent strichen mit Großbritannien gleich auch noch Irland aus ihrem Geschäftbereich. So werden die vielen Vögel in unserer Arche wohl bald auf die leckeren Mehlwürmer verzichten müssen, ich auf den ein oder anderen veganen Leckerbissen und . . . egal. Wir werden in Würde überleben – und ohne Amazon. Die liefern mit ihrer geballten Marktmacht fast immer aus. Bei uns aber nicht. Bald feiern wir dreijähriges Amazon-freies Kaufen, Konsumieren und jetzt auch Verzichten. Ob Jeff Bezos sich schon Sorgen macht?
Gestern habe ich überlegt, ob ich mein unter-reiztes Dasein leicht revitalisieren und einen Teil meiner brach liegenden Denk-Kapazitäten dem freien Markt zur Verfügung stellen sollte. Beispielsweise der irischen Regierung, wo es möglicherweise einen Mangel an Denk-Kapazitäten gibt. Dann aber müsste ich wohl wieder, und noch viel mehr, über das böse Virus nachdenken. Also: Weiter so. Ich melde mich demnächst wieder mit kürzeren Sätzen. Nur hier. Auf Irlandnews. Und hoffentlich nicht zu Corona . . .
Fotos: Markus Bäuchle
Ich gebe zu ich bin neidisch !!!!!!!!! Erstens über den traumhaften Fensterblick !!!! (die Sehnsucht nach Irland wird zusehen größer )und zweitens die Möglichkeit zu Haben nicht über Corona nachzudenken…. ich kann es nicht , bin ich doch gefangen im „Systemrelevanten “ ( welch blödes Wort !! ) Beruf der Pflege….
Ich hoffe nur das es sich bald mal zum Besseren wendet… :
ich kann wieder mal nach Irland und der Virus verschwindet aus dem Kopf…
Solange tröste ich mit wunderbaren und unterhaltsamen Beiträgen von hier !! Danke dafür
Halte durch, liebe Martina.
Wunderbar geschrieben.
Wenn ich Ihre „Am Fenster“-Bilder sehe, packt mich allerschlimmstes Fernweh nach Irland. 😔
Lieber Markus,
Vielen Dank für diese Zeilen, die neben den Kreuzworträtseln der abonnierten Tageszeitung mein Highlight des Tages darstellen.
Der Blick aus dem Fenster ist momentan ein weißer (Schnee liegt schon seit drei Tagen, was für unsere Region ungewöhnlich aber sehr schön für die Seele ist).
Herzliche Grüße aus Brandenburg. Bleibt gesund!
Hallo ihr lieben dort drüben; Markus: deine herzerfrischenden Blogs ( wenn auch seltener geworden und mit endlosen😉 Sätzen) lenken uns doch immer wieder von unseren eigenen Luxus- Problemen ab. Da wir auch am Rande der Zivilisation wohnen ist auch unser Blick ungetrübt auf trübe Wiesen und Felder gelenkt. Das Wetter hier wird einfach nicht besser und die Stimmung auch nicht. Trotzdem tut es uns sehr leid wie ihr in eurem “ Dauer- Retreat“ eingepfercht seid. Kopf hoch! Es wird besser(irgendwann)!!! Du weisst ja, ich ( SIBYLLE) bin eine Frau der Tat: wenn ihr also Meisrnknödel braucht schicke ich sie euch einfach per Post- lass es mich bei Bedarf wissen! Mehlwürmer pack ich auch noch drauf!😄 bleibt gesund, Dirk und Sibylle
So sweet, liebe Sibylle. Danke. Wir machen einen neuen Handelsweg auf! Hoffe, es geht Euch gut.
Blondierter Flegel mit Wischmopp-Friseur hat mir besonders gut gefallen. :-) Machen Sie weiter so und genießen Sie den Fensterblick. Der ist um einiges mehr wert als die Gedanken an Brexit & Co.! :-) BLEIBEN SIE GESUND!
Es lohnt sich neben dem Blick aus dem Fenster auch immer wieder ein Blick auf Irlandnews. In der Neuen Osnabrücker Zeitung las ich gerade von der neu aufkeimenden Landflucht in Deutschland. Da bin ich froh, gar nicht erst in die Stadt geflüchtet zu sein. So genieße ich den Blick aus dem Fenster (zurzeit so gut wie schneefrei, leicht diesig, Sicht ca. 2000 m, 3 Grad). Viele Grüße Richtung Bantry Bay!
Hallo Uli, lange nichts gehört. Freut mich sehr, von Dir zu lesen. Viele Grüße von Landei zu Landei und von Fenster zu Fenster!
Ich lese so gerne Ihre News, egal wie lange die Sätze werden. Ja und Ihr Blick aus dem Fenster ist himmlisch.
Bleiben Sie gesund!
Was für ein wunderbarer Fensterblick 💚💚💚
Hallo Markus, mit Genuss lese ich die Beiträge auf Irlandnews. Jedesmal zaubert es ein Schmunzeln aufs Gesicht und zustimmendes Nicken, und erst die mega schönen Fotos! Die lassen das Heimweh nach Irland nicht gerade weniger werden. Tausend Dank dafür! Wie gerne wären wir letztes Jahr nach Irland gekommen, für dieses Jahr sieht es auch nicht gut aus…….so hoffen wir dann auf nächstes Jahr. Egal ob die Sätze lang oder kurz sind, es trifft immer den Punkt. Das finde ich genial. Bleibt alle gesund! Freue mich auf weitere Beiträge. Herzliche Grüße und alles Gute von Heike
Ich kann nur sagen, super 👍, zum Inhalt, zu den langen Sätzen, zum Umgang mit….und zum Umgang mit dem Brexit.