Sally Rooney

»Eine Frau saß in einer Hotelbar und behielt die Tür im Auge.
Ihre Erscheinung war ordentlich und gepflegt: weiße Bluse,
das blonde Haar hinter die Ohren gestrichen. Sie warf einen Blick
auf ihr Telefon, das einen Chatverlauf anzeigte, und sah dann wieder zur Tür.« (S. 7)

 

Generation Angst

 

Ellen Dunne über Sally Rooneys Roman Schöne Welt, wo bist du, der von Zoë Beck ins Deutsche übersetzt wurde.

 

Man möchte ja nicht in Sally Rooneys Haut stecken. Wurde man einmal vom Guardian, der New York Times und natürlich erst recht von der Irish Times als „literarisches Phänomen des Jahrzehnts“ oder die „Stimme einer Generation“ ausgerufen, kann man eigentlich nur noch verlieren. Wiederholt man die Erfolgsformel, folgt unweigerlich der Vorwurf, sich auf alten Ideen auszuruhen – wird Unerwartetes serviert, ist der Shitstorm enttäuschter Fans bereits vorprogrammiert. Dann kommt noch hinzu, dass ein (empfundener) übermäßiger Erfolg der irischen Mentalität schnell sauer aufstößt und die berüchtigten “Begrudgers” (Missgünstlinge) aus den eigenen Reihen auf den Plan treten. Dass sich Sally Rooney angesichts dieser Gemengelage auch nur irgendeinen weiteren Satz aus dem Hirn wringen konnte, geschweige denn einen ganzen Roman, dafür zolle ich der Autorin schon einmal vorab größten Respekt. Aber Moment: Sie fragen sich gerade, wer in aller Welt diese Sally Rooney eigentlich ist? Hier eine kurze Zusammenfassung, was bisher geschah. Ansonsten gerne weiter zum Absatz darunter.

Ellen Dunne, Foto ©Orla Connolly

Die Vorkosterin: Ellen Dunne stellt auf Irlandnews lesenswerte Bücher aus und über Irland vor. Im Salzburger Land geboren und aufgewachsen, weckten zunächst die Berichte über den Nordirland-Konflikt in den 90ern ihr Interesse an der Insel. Seit 2004 lebt sie in und um Dublin, wo sie zunächst mehrere Jahre im Google Europa-Hauptquartier arbeitete. Inzwischen ist sie freie Texterin und Autorin. Ihre bisherigen Romane und Kurzgeschichten werden bei Haymon, Suhrkamp/Insel und Eire verlegt. Auf IrlandNews schreibt sie über Literatur aus und über Irland. Mehr über Ellen gibt es unter www.ellen-dunne.com Foto: ©Orla Connolly

Sally Rooney: Literarischer Superstar aus Castlebar, County Mayo
Schon das 2017 erschienene Roman-Debüt „Gespräche mit Freunden“ von Sally Rooney wurde viel beachtet. 2018 – die ehemalige Studentin am ehrwürdigen Dubliner Trinity College war gerade 27 Jahre alt – folgte der Zweitling „Normale Menschen“ über die Liebesgeschichte der sozial ungleichen Teenager Marianne und Connell. Es folgten: ein Hype quer durch alle buchaffinen sozialen Medien, Bestsellerlisten in den USA, UK und Irland, die Übersetzung in 25 Sprachen sowie eine wirklich gut gemachte TV-Adaption.

Deren Erfolg – nicht zuletzt dank der liebenswerten Schauspiel-Newcomer Daisy Edgar-Jones (UK) und Paul Mescal (IRL) sowie die durch den Lockdown ans Haus gefesselten Millennials/GenZ-Leser:innen – katapultierte Sally Rooney unversehens hinauf in den Olymp der literarischen Superstars. Jetzt also der (vor allem vom angelsächsischen Buchhandel) heiß erwartete dritte Roman. Nachdem sich die ersten beiden Werke ausschließlich mit dem unentschlossenen Liebesleben und den Befindlichkeiten der Generation der Millennials beschäftigte, stellte sich natürlich die Frage – worum geht es in Schöne Welt, wo bist du?

 

Normale Menschen und ihre Probleme
Alice, eine jung zu literarischen Ehren gekommene Schriftstellerin, trifft in einem Ort an der irischen Westküste den perspektivenlosen Lagerarbeiter Felix und lädt ihn trotz eines missglückten Dates ein, mit ihr auf eine Lesereise nach Rom zu kommen. Währenddessen beginnt in Dublin ihre beste Freundin Eileen nach einer Trennung wieder mit ihrem adretten Kindheitsfreund Simon zu schlafen … So weit, so bekannt. Außer, dass die Protagonistinnen und Protagonisten nun gemeinsam mit der Autorin älter geworden sind, hat sich kaum etwas am Themenfokus Liebe oder vielleicht doch nicht Liebe geändert. Obwohl alle Figuren um die Dreißig sind, hatte ich immer wieder das Gefühl, hier über emotional noch ziemlich unreife Teenager zu lesen. In einem ihrer ausschweifenden E-Mails an Alice verzweifelt auch Eileen an dieser permanenten Unentschlossenheit:

»Früher haben Menschen in unserem Alter geheiratet, Kinder bekommen und Liebesbeziehungen geführt. Jetzt sind alle mit dreißig immer noch Single und leben mit Mitbewohnern zusammen, die sie nie sehen. Die traditionelle Ehe war offensichtlich nicht zweckmäßig und endete fast unweigerlich auf die eine oder andere Weise mit dem Scheitern, aber zumindest war es ein Versuch, etwas zu erreichen, und nicht nur eine traurige, sterile Abschottung von den Möglichkeiten des Lebens.« (S. 186)*

 

Die lähmende Wirkung der Angst
Dieser philosophische Austausch per E-Mail zwischen den jungen Frauen ist aus meiner Sicht zwar etwas unrealistisch, wenn man die übliche Mediennutzung heutzutage bedenkt, war aber gleichzeitig der für mich interessantere Teil des Romans. Denn im Gegensatz zum distanziert banalen Berichten der Interaktion zwischen den vier Hauptcharakteren gibt es hier Einsichten in die Gedankenwelten zumindest der weiblichen Protagonistinnen. Und die sind über weite Strecken hinweg kein schöner Anblick. Diese Generation, für die Sally Rooney angeblich spricht, scheint zerfressen von Angst. Vor dem sozialen Abstieg. Vor der Klimakatastrophe. Vor der Liebe. Vor dem Erfolg. Vor dem Misserfolg. Und nicht zuletzt vor sich selbst und der eigenen Angst, die sie lähmt:

„Was, wenn ich diejenige bin, die es nicht zulassen kann, glücklich zu sein? Weil ich Angst habe oder lieber in Selbstmitleid versinke, oder weil ich glaube, dass ich gute Dinge nicht verdiene, oder aus einem anderen Grund. Wenn etwas Gutes passiert, denke ich immer: Ich frage mich, wie lange es noch dauern wird, bis es ins Schlechte kippt. Und ich möchte fast, dass das Schlimmste früher, lieber früher als später und möglichst sofort passiert, damit ich zumindest keine Angst mehr davor habe.“ (S. 212)*

 

Aber nicht nur die prekär lebende Eileen ist deprimiert von ihrer Einsamkeit und Unfähigkeit, in irgendeinem Bereich ihres Lebens eine Entscheidung zu treffen. Auch Alice ist trotz aller Privilegien und finanzieller Absicherung seelisch überfordert von ihrem Erfolg, der rascher schal wird als man „Bestsellerliste“ sagen kann. Kurz: In diesen jungen Köpfen herrscht die Endzeitstimmung des Lockdowns (in dem, vermute ich, das Buch geschrieben wurde). Und die Wehmut über den verlorenen Glauben:

„Ich kann nicht glauben, dass der Unterschied zwischen richtig und falsch einfach eine Frage des Geschmacks oder der Vorliebe ist; aber ich kann mich auch nicht dazu durchringen, an eine absolute Moral, das heißt an Gott, zu glauben. Damit befinde ich mich in einem philosophischen Nirgendwo, dem auf beiden Seiten der Mut einer Überzeugung fehlt. Ich kann nicht die Befriedigung empfinden, Gott zu dienen, indem ich das Richtige tue, und dennoch ekelt es mich vor der Vorstellung, etwas Falsches zu tun.“ (S. 233)*

So weit, so zerrissen. Halbwegs angekommen scheint in diesem Leben nur der Mittdreißiger Simon, der als einziger der Charaktere nicht ausschließlich um sich selbst zu kreisen scheint – ob es an seinen sonntäglichen Kirchgängen liegt?

Ein Leben in post-ironischen Zeiten
Jetzt aber im Ernst. Der allumfassende Weltschmerz in Schöne Welt, wo bist du erinnerte mich immer wieder an meine eigene Grunge-Jugend in den 90ern. Laut Wikipedia charakterisierte Douglas Coupland im namensgebenden Roman die Generation X dadurch, dass ihr prophezeit wurde, dass sie sich erstmals mit weniger Wohlstand und ökonomischer Sicherheit begnügen müsse als die Elterngenerationen, aber andererseits für deren ökonomische und ökologische Sünden büße. Für die Millennials ist dieses Szenario nun weit konkreter, greifbarer, realer. Und noch schlimmer: Auch der GenX-typische Schutzschild aus Ironie ist brüchig geworden.

Dementsprechend ernst nehmen Sally Rooneys Charaktere sich selbst und ihre (zum Teil) First World Problems. Umso überraschender, als Alice und Eileen am Ende trotz all ihrer philosophischen Ausführungen Trost und – man muss annehmen, vorübergehendes – Heil in den Männern suchen. Ein erstaunlich konservatives Ende, das mich aber mit dem tröstlichen Eindruck zurücklässt, dass sich manche Dinge in jeder Generation wiederholen…

Meine Meinung
Humor? Leichtigkeit? Selbstironie? Alles Fehlanzeige. Schöne Welt, wo bist du verhandelt mit großem Ernst viel Banales, aber auch große Themen wie die Angst vor dem Leben, vor der Zukunft, und wie man doch noch Freude finden könnte in einer desintegrierenden Welt. Für mich in jedem Fall lesenswert – trotz fallweisen Augenrollens über die emotionale Unreife der Charaktere, die – da bin ich Optimistin – wohl kaum für eine ganze Generation sprechen.

Schöne Welt, wo bist du
von Sally Rooney, übersetzt von Zoë Beck
Erschienen bei Claassen (Ullstein Verlag), 352 Seiten.
Erhältlich im lokalen Buchhandel oder beim fairen
Online-Buchhändler Buch7 für 20 €

 

* Alle mit dem Stern versehenen übersetzten Textpassagen wurden von mir selbst übersetzt, da mir nur die englische Originalversion des Buches zur Verfügung stand. Die geschätzte Zoë Beck möge mir das bitte nachsehen.

 


Irlandnews-Buchtipps: Alle Buch-Rezensionen von Ellen Dunne gibt es hier.


 

Fotos:  Titel- und Produktfoto Ellen Dunne, Foto Ellen Dunne (© Orla Connolly)