Die skandalösen Mädchen vom Land

 

Die Country Girls-Trilogie
von Edna O’Brien

übersetzt von Stefanie Jacobs und Margaret Carroux

 

Eine Rezension von Ellen Dunne

»Ich schreckte aus dem Schlaf hoch und setzte mich auf. Ich wache normalerweise nicht so leicht auf, nur wenn ich mir Sorgen mache, und für einen Moment wusste ich nicht, warum mein Herz schneller klopfte als sonst. Dann fiel es mir wieder ein. Der alte Grund. Er war nicht nach Hause gekommen.« (Die Fünfzehnjährigen, S. 19)

 

Edna O’Brien wird als die bedeutendste Schriftstellerin Irlands gefeiert.  Trotzdem war sie bisher ein blinder Fleck auf meiner literarischen Landkarte, muss ich zu meiner Schande gestehen. Das wollte ich nun im Rahmen meiner literarischen Kostproben für die Irland  News ändern. Auf dem Menü: The Country Girls (dt. Die Fünfzehnjährigen), Edna O’Briens erster Roman, erschienen 1960. Doch kaum war ich damit durch, hatte ich so viel Appetit auf Mehr, ich habe mir über den wirklich hervorragenden irischen Bücherei-Service auch noch die beiden Nachfolgeromane The Lonely Girl (dt. Das Mädchen mit den grünen Augen) aus dem Jahr 1962 sowie das noch einmal zwei Jahre jüngere Girls in Their Married Bliss (dt. Die Glückseligen) besorgt – und sofort genossen. Deshalb ist dieser Artikel weniger Rezension als eine unbedingte Leseempfehlung. Denn für auch 60 Jahre später noch überraschend frische, berührende und relevante feministische Literatur ist es nie zu spät.

 

Ellen Dunne, Foto ©Orla Connolly

Die Vorkosterin: Ellen Dunne stellt auf Irlandnews lesenswerte Bücher aus und über Irland vor. Im Salzburger Land geboren und aufgewachsen, weckten zunächst die Berichte über den Nordirland-Konflikt in den 90ern ihr Interesse an der Insel. Seit 2004 lebt sie in und um Dublin, wo sie zunächst mehrere Jahre im Google Europa-Hauptquartier arbeitete. Inzwischen ist sie freie Texterin und Autorin. Ihre bisherigen Romane und Kurzgeschichten werden bei Haymon, Suhrkamp/Insel und Eire verlegt. Auf IrlandNews schreibt sie über Literatur aus und über Irland. Mehr über Ellen gibt es unter www.ellen-dunne.com Foto: ©Orla Connolly

Die Fünfzehnjährigen: Große Dramen, große Erwartungen

Die Freundinnen Kate und Baba wachsen in der tiefsten irischen Provinz auf. Überall die erstickenden Strukturen von Katholizismus und Patriarchat. Die verträumte, belesene Kate kämpft zusätzlich mit einem dem Alkoholismus verfallenen Vater und dem Trauma des frühen Todes ihrer Mutter. Gemeinsam mit der spitzzüngigen und selbstbewussten Baba verfolgt sie nur ein Ziel: raus aus dem Muff des katholischen Internats und rein nach Dublin, das Leben kennenlernen – und die Männer.

»Die besten Männer gibt es in Büchern – merkwürdige, komplizierte, romantische Männer, Männer, die ich hemmungslos bewunderte. Ich kannte keinen solchen Mann, außer Mr. Gentleman, und ihn hatte ich seit zwei Jahren nicht gesehen. Er war jetzt nur noch ein Schatten für mich, und ich dachte an ihn, wie man an ein hübsches Kleid denkt, aus dem man längst herausgewachsen ist.« (Das Mädchen mit den Grünen Augen, S. 5)

Auch, wenn sich das aus heutiger Sicht vielleicht nicht sonderlich feministisch anhört – 1960 sorgten die skandalösen Mädchen vom Lande, die sich einließen auf die älteren verheirateten Männer, die ihnen unverhohlen nachstellten, für gehörigen Aufruhr im erzkatholischen Irland. Verbannung und sogar Verbrennung von Büchern inklusive. Die Country Girls wurden trotzdem zum internationalen Erfolg. Nicht nur durch die furchtlose Darstellung von weiblichem Begehren, sondern auch wegen der klaren, einfühlsamen Sprache, die einen sofort hinein transportiert in die irische Landschaft und das Dublin der 1960er.

Das Mädchen mit den grünen Augen: Zwischen allen Männern

Die ersten beiden Bücher widmen sich vor allem der stets tragischen Figur der Kate und werden auch aus ihrer Sicht erzählt. In „Das Mädchen mit den grünen Augen“ verliebt sie sich in den verschrobenen Dokumentarfilmer Eugene Gaillard, der – getrennt von seiner amerikanischen Frau – seinem ihm vorenthaltenen Kind hinterhertrauert. Zum Entsetzen ihres noch immer von Trunksucht und Selbstmitleid besessenen Vaters zieht die unerfahrene Kate zu ihrem Liebhaber. Und lernt bald die Bigotterie und Rachsucht der „Lieben daheim“ kennen. Ihr Vater und eine handvoll seiner Kumpane aus dem Heimatdorf holen sie mehr oder weniger gewaltsam zurück in ihr Heimatdorf, wo Kate trotzdem ihre endgültige Flucht aus ihrer Unterdrückung und von der Insel plant. Gemeinsam mit Baba geht sie nach London. Doch tun sich auch hier zwischen Traum und Wirklichkeit schockierende Gräben auf …

Die Glückseligen: Eine sarkastisch-tragische Abrechnung

»Es ist noch nicht lange her, da tranken Kate Brady und ich in London ein paar trübselige Gin-Fizz und klagten darüber, dass sich wohl nichts mehr ändern würde, dass wir so sterben würden, wie wir jetzt lebten – ausreichend ernährt, verheiratet, unbefriedigt.« (Die Glückseligen, S. 5)

Der dritte und letzte Teil der Country Girls-Trilogie ändert den Erzählton radikal. Der Großteil der Ereignisse wird nicht mehr von der zunächst naiven, später jugendlich hoffnungsvollen Kate, sondern aus Sicht der stets unerbittlich direkten, sarkastischen Baba erzählt. Während Kate nach einer kurzen, emotionalen Affäre an der scheinheiligen Unerbittlichkeit ihres Ehemannes Eugene langsam zugrunde geht, kämpft Baba mit ihrer pragmatischen Ehe mit dem gut situierten aber ungebildeten und auch sexuell ahnungslosen Bauunternehmer Frank:

Edna O'Brien

Edna O’Brien

„Er begann, tiefer zu forschen, zuerst sehr gierig, und dann döste er ein. Das ging so eine Weile – erst fummeln, dann dösen -, bis er schließlich sagte: Wie machen wir’s?“, und da wusste ich, warum er mir nicht schon früher an die Wäsche gegangen war. Ein Ire: tapfer in Schlachten, bei Belagerungen und Massakern. Untauglich im Bett.“ (Die Glückseligen, S. 11)

Harte Worte, weiches Herz

Da ist es fast konsequent, dass Babas ungewollte Schwangerschaft aus einer Affäre entspringt. Frank nimmt das Kind als sein eigenes an, doch nichts rettet Baba vor ihrem eigenen Zynismus. Ihre boshaft witzigen Beobachtungen der eigenen Umwelt machen vor Niemandem halt, schon gar nicht vor ihrer besten Freundin Kate:

„Wir sind schon immer Freundinnen gewesen – als Kinder in Irland schliefen wir sogar zusammen. Oft schubste ich sie absichtlich aus dem Bett und hoffte, sie würde sich den Schädel oder sonst was aufschlagen. Ich hatte sie gern, wirklich – natürlich war ich wahnsinnig eifersüchtig auf sie – aber sie war zu brav und zu gut. Sie wissen schon, sie hatte diese unnütze Art, gut zu sein, fragte die Leute wie es ihnen geht und wie es ihren Eltern geht.“ (Die Glückseligen, S. 5)

Trotz ihrer oft harten Worte ist Baba immer wieder die einzige, die Kate in ihrer Abwärtsspirale von Leben beisteht. Ihrer spitzen Zunge ist es auch zu verdanken, dass Die Glückseligen trotz der vielen tragischen Ereignisse nicht zu deprimierend gerät und sogar öfter zum Lachen bringt. Denn der selbstgerechte Eugene schreckt nach der Trennung von Kate nicht vor dem Äußersten zurück, entzieht ihr den gemeinsamen Sohn und überlässt sie ihrem Schicksal von Armut und Verzweiflung. Schließlich kehrt sie freiwillig zurück in den irischen Westen, den Ort ihrer Kindheit. Am Ende schließt Kates Geschichte einen tragischen Kreis, und wieder ist es ihre älteste Freundin Baba, die da ist. Verbittert, desillusioniert, aber bis zum Schluss loyal.

“… denn es gibt Fragen in dieser Welt, die man nicht stellen kann, und ach, Agnus Dei, es gibt Fragen in dieser Welt, die man nicht beantworten kann.” (S. 252)

Meine Meinung

Die Country Girl-Trilogie ist ein Muss der feministischen, gesellschaftskritischen Literatur. Nicht nur der irischen, sondern der internationalen. Was mit unschuldigen Träumen und großen Plänen beginnt, endet in der repressiven Realität von Frauenleben, wie sie noch bis vor allzu kurzem gang und gäbe waren. Es ist Edna O’Briens Schreibkunst und unsentimentalem Blick geschuldet, dass die Geschichte um Kate und Baba berührt und unterhält, ohne zu deprimieren. Wer die Neapel-Saga von Elena Ferrante mochte, wird sicher auch an dieser Trilogie Freude haben. Und hoffentlich – so wie ich – gleich losziehen, um noch mehr von Edna O’Brien zu lesen.

Die Country Girls-Trilogie
Edna O’Brien, übersetzt von Stefanie Jacobs und Margaret Carroux
Erschienen im Atlantik Verlag. Erhältlich im lokalen Buchhandel
oder beim fairen Online-Buchhändler Buch7:

Die Fünfzehnjährigen, 288 Seiten, 10 €
Das Mädchen mit den grünen Augen, 320 Seiten, 10 €
Die Glückseligen, 256 Seiten, 10 €

 


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Fotos:  Titelfoto Ellen Dunne, Foto Edna O’Brien von Wikimedia, Foto Ellen Dunne (© Orla Connolly)