Irland in den Zeiten von Corona. Wir leben auf dem Land in Irlands äußerstem Südwesten, in einer Streusiedlung am westlichen Rand Europas, direkt am Atlantik. Auch in dieser einsamen, abgelegenen Gegend wird das Leben jetzt völlig vom neuartigen Coronavirus beherrscht. Aus gestern 70 wurden heute abend 90 bestätigte Covid-19-Fälle in der Republik Irland, in Nordirland ist die Zahl auf  29 gestiegen. Macht zusammen 119.

Das Wachstum der bekannten Fallzahlen nimmt nun rapide Fahrt auf.  Aus den Erfahrungen in China und in Italien wissen wir: Es gibt jetzt deutlich mehr Fälle als diese Zahlen ausdrücken. Kindergärten, Schulen und Universitäten, Museen und Sehenswürdigkeiten sind ab sofort geschlossen. Aus Verantwortung für uns und unsere Mitmenschen leben wir derzeit noch zurückgezogener als in normalen Zeiten und versuchen, die Lage im Land und was auf uns alle jetzt zukommt, genau zu verstehen.

Wir, Eliane [e] und Markus [m], haben beschlossen, ein gemeinsames öffentliches Tagebuch zu schreiben über unser Leben in Irland in Zeiten von Corona. Eliane beginnt mit ihren Eindrücken und Erlebnissen der letzten Wochen: Was bisher geschah . . .   

Irland Corona

27. Januar 2020, Montag
Seit Tagen lese ich Nachrichten von dieser neuartigen Erkrankung in China. Noch ist es nicht lange her, dass ich 83 Tage in Zügen und Bussen kreuz und quer auf dem Kontinent unterwegs war. Wie fast immer mit meinem selbst gemachten Hygienespray im Gepäck. Ich erinnerte mich an diverse Reisen unter dem Schrecken der Vogel -oder Schweinegrippe. So erfreute ich mich, dass nicht wieder eine Schildkröten-, Flamingo- oder Zebragrippe ausgerufen worden war.

Nun sind wir möglicherweise wieder genau dort angekommen.
Als alte und erfahrene Aromatherapeutin krame ich meine antiviralen Rezepturen von damals raus und veröffentliche einen Blog-Post mit Tipps für eine starkes Immunsystem sowie zwei aktualisierte Rezepturen und beispielshaften wissenschaftlichen Arbeiten zu ätherischen Ölen und Viren.

7. Februar 2020, Freitag
Ich muss wegen einer Kleinigkeit zur Ärztin. Ich bewege mich sehr bewusst, versuche möglichst nichts anzufassen, versprühe mein Hygienespray, als der Warteraum nach langem Warten endlich leer ist. Denn diese Praxis ist durchaus abenteuerlich. Der olle Keller meiner Eltern war gemütlicher und hygienischer eingerichtet.

Als ich die Praxis nach über einer Stunde verlasse, habe ich das dringende Bedürfnis, nicht nur meine Hände, sondern mich komplett mit besonders viel meines Hygienesprays einzunebeln, ich inhaliere es zudem.

15. Februar 2020, Samstag
Sturm Dennis und der seltsamste “Schnupfen”, den ich je hatte, gehen mir auf die Nerven. Ich habe mir also etwas in dieser Arztpraxis eingefangen. Ich bin doch sonst nicht so empfindlich! Vor allem: Es begann mit den eigenartigsten Halsschmerzen. Eigentlich waren es noch nicht mal Schmerzen, vielmehr war mein Hals elendig trocken, das Schlucken war irgendwie schwierig und fast beunruhigend, eine nie da gewesene raue Wundheit im Rachen hatte sich für zwei Tage breit gemacht.

Das Schnüpfchen, das dann folgte, erforderte noch nicht mal nachts ein befreiendes Nasenspray, das ist eher ungewöhnlich für mich. Dafür waren die Gliederschmerzen und das Krankheitsgefühl einfach nur lästig. Doch nun ist es auch schon fast wieder vorbei.

25. Februar 2020, Fastnachtsdienstag
Hier auf der Grünen Insel gibt es keine Fastnachtsfeiern. Dafür wird es am 17. März, am Nationalfeiertag, wie immer richtig rund gehen. Nicht nur auf der Insel, sondern weltweit.

Inzwischen bekomme ich Anfragen zu den Rezepturen meiner Hygienesprays. Ich erweitere und aktualisiere heute meinen Blog-Artikel über Studien zur antiviralen Wirkung einiger ätherischer Öle, die Uni Heidelberg war diesbezüglich bereits vor über 20 Jahren aktiv, einen der seinerzeit führenden Professoren traf ich mehrmal persönlich. Plötzlich habe ich unglaublich viele Zugriffe, der Artikel wird im Fratzenbuch oft geteilt – ganz im Gegensatz zum Virentext vom 27. Januar. Es wird auch über die nötigen Prozente von Ethanol/Alkohol gestritten, damit dieser auch ohne ätherische Öle eine ausreichend desinfizierende Wirkung hat. Ich lese über Sorgen und Ängste bei meinen vielen AbonnentInnen.

29. Februar 2020, Samstag
Da haben wir den Salat, es war nicht anders zu erwarten: Der erste (bekannte) Fall eines mit dem neuen Virus infizierten Menschen ist auf der Insel angekommen. Doch wir können aufatmen, es handelt sich um einen Studenten, der aus Italien kommend nur kurz in Dublin war und dann nach Belfast weiter reiste. Die Hauptstadt und erst recht Nordirland liegen so weit weg, genauer gesagt diametral entgegengesetzt zu unserer kleinen Idylle im Südwesten.

Können wir wirklich aufatmen? Was sich während der Fasnacht in Nordrhein-Westfalen und im Raum Basel ereignete, lässt erschauern. Ich mag gar nicht an meine bald bevorstehende Seminare-Reise nach Süd-Deutschland und die Schweiz denken.

3. März 2020, Dienstag
Einer unserer Söhne lässt sich nicht von seiner lange geplanten Geburtstagsreise in die USA abbringen. Ich schnüre ihm ein Päckchen mit diversen antiviral wirksamen ätherischen Ölen, Kapseln mit natürlichem Vitamin C, Selen-Tabletten und Echinacea Spray. Es müsste morgen in Cork sein und somit noch den Weg in sein Gepäck finden. Holy cow, so ein Mini-Päckli kostet inzwischen 9 Euro Porto!

5. März 2020, Donnerstag
“Das Vieh” ist in unserer Kreisstadt Cork angekommen, dort wo unsere Söhne wohnen. Zumindest ist es nun offiziell dort angekommen. Denn es ist nicht nachzuvollziehen, wie es zur Infektion des betreffenden Patienten, der nun im CUH (Universitätsklinikum Cork) isoliert wurde, gekommen ist. Er war zuvor nicht auf Reisen. Der Mann war bereits schon einige Tage zuvor interniert gewesen, dann wurde er wieder nach Hause entlassen.

Nun, viele Tage später, beim zweiten Anlauf hat dieser Patient endlich seinen Befund: Covid-19. Das sei ein Fall von “community transmission“, so verlautet die Erklärung. Diese bedeutet rein gar nichts, allenfalls einen Ausdruck von Hilflosigkeit, oder: Nix Ahnung wie und wo er sich das Virus eingefangen hat. Mindestens 60 Pflegende müssen in Quarantäne gehen.

6. März 2020, Freitag
Vormittags Termin beim Physiotherapeuten: Klar, dass wir kurz über das Virus fachsimpeln. Der erste Fall in unserer Kreisstadt – er wohnt relativ in der Nähe – beunruhigt viele Menschen, pendeln doch täglich massenhaft Menschen hin und her, denn dort gibt es Arbeit.

Mein “Physio” betont zum ersten Mal, dass seine Handtücher, die bislang zugegebenermaßen manchmal nicht so ganz klasse wirkten, immer zur Wäscherei gehen und dort regelrecht “ausgebrannt” werden (incinerated).

Auf dem Weg zur Apotheke wende ich mein Hygienespray sehr bewusst an. Nach der üblichen Warterei bis umständlich die Klaue der (deutschen) Ärztin entziffert war und alle Papiere samt meiner Adresse und der aufgeklebten Anleitung auf der Packung fertiggestellt waren, erst recht. Im Supermarkt halte ich Abstand, sprühe die Stange vom Einkaufskorb, meine Hände und das Lenkrad bewusst ein.

Erleichtert stelle ich die Normalität der vollen Regale fest. WC-Papier ist noch in Hülle und Fülle vorhanden, Mehl, Zucker, Pasta auch (Dosen-Ravioli habe ich in Irland noch nie gesichtet). Ganz anders als das was man so aus Deutschland liest. Nur das Fach mit den ‘baked beans’ ist etwas leerer als sonst. Doch solche winzigen Engpässe einzelner Produkte sind wir gewohnt. Kürzlich fehlten die gesalzenen Erdnüsse. Vermutlich nicht wegen des Virus.

Nach reiflicher Überlegung und vielen schlaflosen Nächten sage ich meine bevorstehende Seminare-Reise ins Allgäu und nach Bern ab. Mein jährlicher Frühlingsverdienst wird mir also fast komplett entfallen, die Airline wird mir wohl auch nicht meinen nicht angetretenen Flugpreis erstatten. Sei es drum, besser als irgendwo zwangsinterniert zu werden.

 

Traurige Minen: Die St. Patricks Day Paraden fallen aus

 

9. März 2020, Montag Nachmittag
Die großen St. Patrick’s Paraden in unserer Regionalstadt Cork und in Dublin wurden abgesagt. Jetzt wird’s ernst. Ein Sakrileg – und schier unvorstellbar – dieses hochheilige verlängerte Wochenende nicht wie den wildesten Karneval inmitten von tobenden und trinkenden Menschenmassen feiern zu dürfen.

Vielleicht besser so, denke ich mir, denn inzwischen ist bekannt, dass das Virus nicht nur die Lungen, sondern auch die Leber stark beschädigen kann. Und dass das “das Vieh” vorgeschädigte Lebern besonders gemütlich findet. Aber ob diese drei Tage ohne Ströme von Alkohol ablaufen könnten – das ist auf der Grünen Insel nicht vorstellbar. Vielleicht erfreuen sich die seit dem Rauchverbot dümpelnden Pubs an diesem Regierungsbeschluss.

10. März 2020, Dienstag
Die berühmte Ausstellung “Book of Kells” im Trinity College Dublin hat bis auf weiteres geschlossen. Ein beliebter Touristenmagnet erster Klasse geht mit großem Beispiel voran. Menschenmassen sollen vermieden werden, “social distance” ist jetzt angesagt. Überall Abstände, keine “hugs” und keine Küsschen mehr (was hier ohnehin nicht sehr verbreitet ist). Apple, Amazon, Microsoft und Google informierten, dass MitarbeiterInnen infiziert sind.

11. März 2020, Mittwoch
Meine Kollegin und Co-Autorin Sabrina Herber hat zwei kostenlose “Extra-Blatt” über antivirale Maßnahmen mit ätherischen Ölen ins Netz gestellt. In den ersten 14 Minuten verzeichnen wir (bei der Version für Kinder) 78 Downloads. Den Menschen drängt dieses bedrohliche Thema unter den Nägeln!

Die St Patrick’s Parade in New York ist nun auch abgesagt. Zum ersten Mal seit 258 Jahren.
Weniger schön finde ich die Nachricht, dass dieses penetrante Virus nach neueren Erkenntnissen durchaus 3 Tage auf Oberflächen aktiv bleiben kann. Was bedeutet diese Information für Kurierdienste, unsere Post und für alles was man eingekauft hat? Da bahnt sich ein Fass ohne Boden an. Denn “das Vieh” soll, entgegen früheren Meldungen, sich auch gut für einige Stunden in der Raumluft halten können.

12. März 2020, Donnerstag
Corona beschäftigt uns inzwischen fast rund um die Uhr – jetzt ist das Virus in unserem kleinen Städtchen Bantry angekommen (2722 Einwohner, Stand 2016).

Beim Austausch mit jedem Menschen, den ich in den letzten Tagen traf, war es das Haupt-Thema. Das derzeit verregnete Wetter zu diskutieren wird zur Nebensache. Inzwischen sind 70 infizierte Patienten auf der Grünen Insel bestätigt (43 in der Republik), und leider ist auch ein Mensch verstorben.

Nachmittags vernehmen wir, dass Schulen und Kindergärten ab sofort bis Ende des Monats geschlossen bleiben. Auch wenn ich mir die Freude der Kinder lebhaft vorstellen kann, denn noch nie hatte jemand sooo lange St. Patricks-Ferien, wird mir sofort klar: Die Lage spitzt sich zu, der Shutdown der Grünen Insel beginnt.

Wir beschließen als kleines Team einer Mini-Firma: Wir gehen in Selbst-Quarantäne. Unserer Putzhilfe wird wird abgesagt, die Speisekammer ist – wie ohnehin meistens – gut gefüllt. Die Hunde werden nach Aufbrauchen der tiefgekühlten Fleischstücke auf Dosen- und Trockenfutter umgestellt, sogar das Klopapier müsste eine gute Zeitlang reichen!

Ich stelle erste Überlegungen für einen Notfallplan an, falls es einen von uns erwischen sollte und setze eine “antibiotische” Tinktur aus ganz frischen Kapuzinerkresse-Blättern an. Mein Lager an hochprozentigem Trink-Alkohol (Ethanol) ist wie gewohnt auch gut gefüllt, denn diesen lagere ich seit vielen Jahren für die Herstellung meiner Raumsprays und Desinfektions-Maßnahmen (Vor- und Nachteile des sehr abgeschiedenen Landlebens). An antiviralen und die Atemwege pflegenden ätherischen Ölen habe ich ohnehin ausreichend Vorrat.

Topinambur

Topinambur

13. März 2020, Freitag der Dreizehnte!
Zwei weitere Personen beim Arbeitgeber unserer Söhne sind infiziert, es sind nun insgesamt drei “Fälle”, die erste Diagnose wurde vor drei Tagen, am 10. März bekannt gegeben. Einer unserer Söhne darf seit gestern ‘home office’ machen (der andere weilt noch in den USA). Somit grassiert “das Vieh” nun bei den beiden größten Arbeitgebern in Cork City.
Büchereien, Tourismus-Informationszentren und vieles mehr sind ab sofort geschlossen.

Erinnerungen an die ersten Wochen in Irland werden wach. Der Umzug nach Irland war verbunden mit meinem Wunsch nach einem autarkeren Lebensstil, als er uns damals im Jahr 1999 in Deutschland möglich gewesen wäre. Der eigene Tiefbrunnen mit hervorragendem Wasser, die eigene Klärgrube, eigenes Feuerholz, kochen mit Gasherd und vieles mehr bot sich uns vom Tag 1 an.

Immer wieder hatten wir Gespräche mit unserer Nachbarin, die ein deutsches Kriegs”kind” aus Düsseldorf war. Sie hortete allerlei Dinge, war teilweise Selbstversorgerin. Da wir vor der Jahrtausendwende standen, hortete sie umso beflissener.

Einer ihrer vielen Ratschläge für eventuelle Katastrophen lautete, ich solle Topinambur pflanzen, das sei ein tolles Essen für “schlechte Zeiten”. Worauf ich die blähungsfördernden Knollen (hier auch “fartichokes” statt Jerusalem artichokes genannt, “Pups-Schocken”) pflanzte. Wenn sie schon Bauchschmerzen machen, und nicht gerne gegessen werden – im Spätsommer blühen die schönen Mini-Sonnenblumen wunderschön.

Jeden Frühling schmunzeln mich meine sprießenden Topinamburknollen an… ob sie noch ein weiteres Jahr ohne “schlechte Zeiten” Hausrecht bei uns genießen dürfen, scheinen sie zu fragen. Hoffentlich müssen wir sie dieses Jahr nicht als Nahrungsquelle “schlachten”, denn die Zeiten sind alles andere als gut. Doch mit ausreichend Toilettenpapier im Lager werden wir diese Krise meistern ;-) .   [e]

Fotos: Tourism Ireland (oben); Wikipedia Commons by Paul Fenwick (Topinambur); Markus Bäuchle (oben); Vignette (oben): Eliane Zimmermann