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St. Patricks College Maynooth

Das St. Patrick´s College in Maynooth County Kildare. Hier studierten Kevin Hegarty und John O’Donohue bis 1981 zusammen

 

 

Father Kevin Hegarty ist katholischer Priester in Kilmore Erris im County Mayo. Der kritische Geistliche und Publizist schreibt eine regelmäßige Kolumne in den Mayo News. Er studierte mit seinem Freund John O’Donohue am Priesterseminar in Maynooth. In diesem Beitrag, der auch in den Mayo News erschien, erinnert sich Kevin Hegarty an den allzu früh verstorbenen katholischen Freigeist John O’Donohue. 

 

Kevin Hegarty

Der Autor: Father Kevin Hegarty

Es war ein Abend im späten Mai 1981.  Die Ordinationsklasse in Maynooth versammelte sich zum letzten Mal im Gemeinschaftsraum der Abschluss-Studenten. Es war ein nostalgisches Beisammensein, angeheizt durch ein wenig Wein. Wir waren seit einigen Jahren zusammen gewesen und standen nun davor, unsere eigenen Wege zu gehen.

Wir fragten uns, was die Zukunft bringen würde. Auf welchen niedrigen Sprossen der klerikalen Leiter würden wir bald stehen? Es herrschte Aufregung über die kommenden Jahre und Beklemmung darüber, das Vertraute zu verlassen. Schließlich herrschte eine peinliche Stille. Wie könnten wir dieses letzte Treffen zu einem angemessenen Ende bringen?

Einer aus unserer Gruppe, Paddy Murray aus dem Hügelland von County Down, war mit einem skurrilen Sinn für Humor gesegnet, den er nutzte, um unangenehme Momente aufzulockern. “Ich frage mich”, mischte er sich ein, “wer von uns als erster sterben wird?”

 


Teil 6 der Irlandnews Serie über John O’Donohue


 

John O'Donohue

John O’Donohue (© Hessischer Rundfunk – www.hr.de)

 

Die Versammlung brach in Gelächter aus. Hätten wir jedoch Wetten auf diese makabre Frage abgeschlossen, hätten die wenigsten auf John O’Donohue gesetzt.  Groß, stark und lebendig, war er eine Lebenskraft, die jeden Raum, den er betrat, erhellte. Ich denke, er war der begabteste Maynooth-Student seiner Generation.

Das Leben und der Tod liefern Geschichten über das Unerwartete. So kam es, dass John als erster von uns ging. An einem düsteren frühen Januarmorgen im Jahr 2008 wurde er in der Erde des Burren, die ihn so üppig genährt hatte, zur Ruhe gelegt. Er war während eines Urlaubs in Frankreich plötzlich gestorben. Er war 52 Jahre alt.

Zu diesem Zeitpunkt war John längst der klammen Umarmung des Klerikalismus entkommen und hatte sich einen internationalen Ruf als Philosoph, Dichter und öffentlicher Redner erworben. In einer Reihe von Büchern von “Anam Cara” bis “Benedictus” hatte er versucht, eine neue Sprache religiöser Erfahrung zu prägen, die mit den Impulsen der modernen Welt in Einklang steht.

Ein Großteil des katholischen religiösen Schrifttums war abgestanden, taub gegenüber der zeitgenössischen Erfahrung und gestützt durch lange päpstliche Zitate. Fromme Klischees verkleideten sich als Einsichten. Johns Bücher brachen in diese müde religiöse Verlagswelt ein wie eine Reihe von Osterglocken in eine Landschaft am Ende des Winters. Sie sind eine Verschmelzung seiner Erkundungen in Philosophie, Theologie, Literatur, Musik und Kunst.

Ihnen liegt das keltische Bewusstsein vom Wunder Gottes in der Natur und der menschlichen Erfahrung zugrunde. Aufgewachsen im Burren, am Rande des Atlantiks, kam er schon früh mit der keltischen Welt in Berührung. Vom Moment seiner Geburt an waren seine Augen gesalbt von der Schönheit, die er überall um sich herum sah. In der exquisiten Fauna und Flora seiner Heimatlandschaft erkannte er das Flüstern der Göttlichkeit. Seine Bücher, die Retreats und die Vorträge in der ganzen englischsprachigen Welt gaben Menschen aller Glaubensrichtungen und selbst Atheisten Hoffnung und Inspiration.

John und ich waren während unserer Jahre in Maynooth befreundet. Er fand schnell seinen natürlichen Lebensraum an der Universität und studierte Philosophie und Englisch. Obwohl er sich der Wissenschaft verpflichtet fühlte, lebte er nicht in einem Elfenbeinturm. Er tauchte oft in unserer Alltagswelt auf, sein lautes Lachen hallte durch die Flure des Colleges.

 

John O'Donohue

John O’Donohue war ein wortgewaltiger Erzähler (© Hessischer Rundfunk – www.hr.de)

 

Sein üblicher Ausdruck der Anerkennung, “Great stuff” [in Deutsch etwa: “Super Sache”],  wurde gleichermaßen auf eine philosophische Idee, ein Gedicht, ein Musikstück, ein Gemälde und ein gutes Pint angewendet. Er hatte einen formidablen Ruf als Debattierer in Irisch und in Englisch. Schon damals hatte er eine besondere Sensibilität für diejenigen, die in ihrem Leben von Ängsten heimgesucht wurden.

Er hatte auch die Freiheit, über sich selbst zu lachen. Eine meiner bleibenden Erinnerungen an Maynooth ist die, dass John, der bereits dem strengen Charme der deutschen Philosophen verfallen war, im College-Liederwettbewerb mit Begeisterung “Blanket on the Ground” schmetterte.

 

Als würde Lionel Messi nur für die dritte Mannschaft auflaufen

Im Sport stieß dieser Renaissance-Geist jedoch an die Grenzen seines Genies. Er spielte mit Begeisterung in der groben “Bullen-Liga” mit, der wahrscheinlich niedrigsten Form des Footballs auf dem Planeten, wo er den Ball mit unterhaltsamer Ungenauigkeit passte.

Zur Zeit seiner Priesterweihe war John aus Maynooth herausgewachsen und bereit für seine nächste akademische Herausforderung. Er wich dem Charme Roms aus, wo die Verlockung des klerikalen Aufstiegs oft der Friedhof der intellektuellen Integrität ist. Stattdessen erprobte er sich in der strengen Atmosphäre der Universität Tübingen in Deutschland, wo er einen Doktortitel in Philosophie über Hegel mit summa cum laude erlangte.

 

John O'Donohue

John in seiner Heimat an der irischen Westküste (© Hessischer Rundfunk – www.hr.de)

 

John kehrte aus Deutschland zurück und wurde in seiner Diözese zwiespältig empfangen. Während des Pontifikats von Johannes Paul II. war die katholische Kirche ein Kühlhaus für kreative Denker. In Galway fand er bald ein Publikum für seine spirituellen Erkundungen, aber die Diözesanbehörde waren nicht bereit, ihn in seinem Dienst zu unterstützen.

Sie versuchten, ihn in eine vielbeschäftigte Kuratie zu berufen, wo er wenig Zeit für außerplanmäßige Aktivitäten haben würde. Sie hatten wohl gehofft, dass seine schöpferische Phantasie unter dem Eigengewicht der sorgfältigen klerikalen Konversation im Pfarrhaus erschlaffen würde.

Es war, als ob der FC Barcelona Lional Messi darauf beschränken würde,  nur für die dritte Mannschaft aufzulaufen.

John war immer furchtlos. Er ging deshalb seinen eigenen Weg, arbeitete selbstständig und machte die Welt zu seiner Gemeinde.

 


 

Die Irlandnews-Serie

John O’Donohue im Jahr 1999. Foto: dtv; privat

John O’Donohue (1956 – 2008), wuchs auf einer Farm in einem Kalksteintal im Burren, County Clare, auf. Als ältester von vier Geschwistern wurde er Priester, später Schriftsteller, Philosoph und Dichter, Umweltaktivist, Lebenslehrer, Redner, Mystiker und Humanist. Mit Anam Cara, Die vier Elemente (erschienen und erhältlich in deutscher Sprache bei dtv), Eternal Echoes und Divine Beauty schrieb er Welt-Bestseller. Er  liebte die menschliche Existenz in all ihren Facetten. Sein großes Thema war, das Leben in ganzer Fülle ohne Angst zu leben. Als maximale Verfehlung des Menschseins galt ihm das ungelebte Leben. In Büchern und Vorträgen ermutigte John dazu, mutig das Leben zu leben, das man sich wünscht und das man lieben würde. Es sei wichtig, seine Träume nicht nur zu träumen sondern auch zu verwirklichen und so seine Bestimmung zu finden – frei von Angst und aus vollem Herzen.

O’Donohue war ein freier Geist, der keltische und christliche Spiritualität, die Mystik Eckharts und die Philosophie Hegels zusammen dachte. Er sah uns Lebende an der Küste des großen Meeres des Unsichtbaren wandeln, die Vorstellungskraft schuf ihm die Brücken aus der sichtbaren in die unsichtbare Welt. Er verstand das tiefe Verlangen der Menschen nach Zugehörigkeit in einer zunehmend sinnentleerten materiellen Welt und war überzeugt, dass der Mensch die Angst vor dem Tod überwinden kann – weil er ein Fortschritt sei, und nicht ein Ende. Auf seinem Grabstein steht: „Their lives have changed not ended.“

Ich denke oft an diesen Menschen, der mich viel gelehrt hat über das Leben, die Seele, die keltische Spiritualität, die Natur. Ich habe ihn nie kennen gelernt, ich las seine Bücher. Wie oft hörte ich seine Worte über die beseelte Landschaft, wenn ich durch das Moor ging, fühlte seine Weisheit, wenn ich durch die Berge zog, verstand seine tiefe Einheit mit der Natur, wenn ich am Meer stand und nach Westen schaute. Am 1. Januar 2021 wäre John O’Donohue 65 Jahre alt geworden. Wäre er nicht vor 13 Jahren völlig überraschend gestorben. Ich hätte ihn gerne gekannt. Im November 2018 habe ich mich auf Spurensuche begeben. Sie begann durch einen Zufall am Grab von John O’Donohue in Fanore im County Clare. Im Jahr 2021 berichte ich hier auf Irlandnews über Ergebnisse dieser Spurensuche.

 



 

Anmerkungen und Foto-Credits

  • Ein Dank an Father Kevin Hegarty für die Genehmigung, diesen Beitrag auf Irlandnews zu veröffentlichen.
  • St. Patricks College Maynooth, seen from St Joseph’s Square: Finaghy at English Wikipedia
  • Schwarz-Weiß-Porträt John O’Donohue: dtv.
  • Die drei Aufnahmen von John O’Donohue stammen aus dem Dokumentarfilm des Hessischen Rundfunks Irlands einsamer Westen – Eine Reise durch Connemara mit dem Priester und Poeten John O’Donohue aus dem Jahr 1997. Der knapp einstündige Film von Meinhard Schmidt-Degenhard ist ein einzigartiges Dokument. Es stellt John O’Donohue in seiner Heimat Clare und seiner Wahlheimat Connemara vor. O’Donohue spricht über sein Schreiben, sein Fühlen und Denken sowie sein Verhältnis zur Kirche in bestem Deutsch, kurz bevor er berühmt wird. Meinhard Schmidt-Degenhard sprach mit John O’Donohue nach der Entfremdung von der Katholischen Kirche und wenige Monate vor Erscheinen seines Bestsellers Anam Cara. Ein Dank an den Hessischen Rundfunk (hr) für die Screenshots aus dem Film. (© Hessischer Rundfunk – www.hr.de )
  • Foto Kevin Hegarty: The Mayo News

 

Fortsetzung folgt

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