Shot Head

Am Shot Head: Die Idylle dürfte bald zerstört sein

 

Die Zeit und die Energien reichen nicht immer, um hier auf Irlandnews alles zu berichten, was interessant, wichtig oder einfach nur witzig wäre. Warum? Weil Irlandnews ein unbezahltes Hobby ist. Ich nutze diese ruhigen Sommer-Monate, um Versäumtes nachzuholen. Hier nun die zweiten drei der zuletzt verpassten Geschichten – mit der Bitte um Nachsicht und um Verzeihung bei den Wartenden.

 

Salmon Farm

Für die Ausbeutung durch einen multinationalen Konzern freigegeben: Die Bantry Bay

Eine Mega-Lachsfarm darf die Bantry Bay zerstören

Zehn Jahre Widerstand. Jetzt ist die Genehmigung da. Die Entscheidung der Genehmigungsbehörde fiel Ende Juni: Die Mega-Lachsfarm in der Bantry Bay im Südwesten Irlands, darf trotz massiven Widerstands von Bürgern und Umweltverbänden gebaut werden. Bereits im Oktober will der irische Arm des weltweit größten Zuchtlachs-Produzenten Mowi (ehemals Marine Harvest) den Betrieb einer Mega-Lachsfarm mit 18 riesigen Käfigen am Shot Head bei Adrigole aufnehmen. Die Lizenz erlaubt dem multinationalen Fischzucht-Konzern, der bereits zwei kleinere Lachsfarmen in der Bucht aufgekauft hat und betreibt, am Shot Head im Zwei-Jahres-Zeitraum jeweils 2,8 Millionen Kilogram Lachs zu “ernten”, also zu töten und auf den Markt zu bringen. Das sind jeweils etwa eine halbe Million Tiere.

Während zahlreiche Länder weltweit längst ihren zerstörten Buchten und Gewässern nachtrauern und die Lachszucht einschränken oder wie gerade Argentinien ganz verbieten, betätigt sich die irische Regierung mal wieder als ökologischer Geisterfahrer. Sie genehmigt einen schmutzigen Deal, von dem die Menschen im eigenen Land – abgesehen von lächerlichen acht neuen Arbeitsplätzen – nichts haben werden, außer dem Dreck und der Zerstörung, die die Riesen-Lachsfarm anrichten wird.  Der in der Bantry Bay gemästete Lachs soll überwiegend nach China geliefert werden, die Profite wandern in die Taschen der Mowi-Aktionäre, den Menschen vor Ort bleibt der Dreck: mit Fäkalien, Krankheitserregern und Chemikalien verschmutztes Wasser, ein wüstengleicher Meeresboden, zerstörte Lebensräume in der Bucht und an Land – und das Ende des Wildlachses in den heimischen Gewässern.  Das alles übrigens für ein sogenantes Lebensmittel, das zu den giftigsten zählt, das profitgierige Menschen ersonnen haben.

Warum fädeln irische Regierungspolitiker wie der damalige Meeres- und heutige Außenminister Simon Coveney (Fine Gael) einen solchen Deal ein, der für das eigene Land und seine Menschen erkennbar fast nur Nachteile bringt? Die Frage wurde aufgrund der Verschleuderung der irischen Ressourcen durch die politische Elite an ausländische Investoren, von der Fischerei, über Öl- und Gas- bis hin zu Goldvorkommen und die Energiegewinnung zu Recht immer wieder gestellt.

John Waters, ein scharfsinniger Kolumnist (der sich nach dem Abschied vom medialen Mainstream in den letzten Jahren leider zu oft mit der extremen Rechten gemein macht), findet eine interessante Erklärung für dieses Verhalten der Eliten in den Folgen der jahrhundertelangen Kolonialisierung Irlands. Waters schreibt:

“Ein Volk, das einmal kolonisiert wurde, neigt dazu, die Knechtschaft zu genießen, so dass es immer leichter wird, es erneut zu versklaven. Eigenschaften wie Selbsthass, Entfremdung, Demoralisierung werden wie genetisch vererbt. In den letzten fünf Jahrzehnten hat Irland seine Selbstverleugnung nicht darauf beschränkt, sich der Europäischen Union zu Füßen zu werfen – was wir auch dann taten, als dieses Gremium uns ganz offen unserer Ressourcen, unserer Autonomie und unserer Souveränität beraubte und die Kinder unserer Kinder mit ungerechtfertigten Schulden verarmte. Das Arrangement war jedoch so vorteilhaft für diejenigen, die sich als unsere Führer bezeichneten – denn alles, was sie zu tun hatten, war, ihren äußeren Herren zu gehorchen, was sie auch gerne taten . . .

Wenn ein postkoloniales Land einer solchen Invasion ausgesetzt ist, hört sein Regierungssystem auf, demokratisch zu sein, in dem Sinne, dass es in erster Linie auf die Bedürfnisse der Bürger eingeht. Die Frage des nationalen Überlebens ist dann nicht mehr eine Frage des Volkes, sondern nur noch eine Frage des Überlebens der Eliten.

Zu unseren neuen Herren gehören also Elemente von Big Pharma, Big Tech, Big Data – aber natürlich auch andere transnationale Organisationen wie die UN und die WHO, die Weltbank und der IWF. . . . Diese Beziehungen beruhen darauf, unsere herrschende Klasse dabei zu unterstützen, über die Köpfe des irischen Volkes hinweg das einzige Funktionsmodell zu implementieren, das sie in der Lage ist zu betreiben, und natürlich gleichzeitig die Ausplünderung Irlands durch die fremden Parasiten und Raubtiere zu erleichtern, die versuchen, das Land auszunehmen. Eines der Merkmale der Situation, die ich beschreibe – ich meine die Reise eines postkolonialen Landes von der Unterwerfung zur oberflächlichen Freiheit und wieder zurück, eine unvermeidliche Entwicklung in Ermangelung einer gründlichen Erneuerung der nationalen Psyche – ist, dass sie anstelle von Führern Verwaltungsfunktionäre hervorbringt, die den Willen externer Agenturen ausführen, die versuchen, die Ressourcen des verwirrten und zunehmend korrumpierten postkolonialen Staatswesens zu plündern.

Das, was man heute die “irische” Wirtschaft nennt, ist keine solche. Wir leben von den Brosamen unserer Kuckucksnest-Wirtschaft, die aus transnationalen, steuervermeidenden Konzernen besteht. Unser wichtigster Wirtschaftszweig ist die Steuerprostitution oder die 12,5-prozentige Körperschaftssteuer, unser rotes Licht in der Welt.

Postkoloniale Nationen neigen zu Formen der Korruption, die externen Räubern zugute kommen. Da der koloniale Staat per definitionem fremdbestimmt war, betrachteten die kolonisierten Völker die Regierung als ein fremdes Phänomen. Da alle Macht zuvor in der Metropole lag, der alle Ressourcen versprochen und zugedacht waren, wird die Regierung als etwas Willkürliches und Entfremdendes angesehen.

Die amerikanische Anthropologin Rebecca Hardin hat über die Bedeutung von “Konzessionen” in solchen Gesellschaften in Afrika geschrieben. Dabei handelt es sich um formale rechtliche Vereinbarungen, die es ausländischen Akteuren ermöglichen, Land oder andere natürliche Ressourcen zu verwalten und auszubeuten, da dies die einzige Methode ist, mit der eine postkoloniale Elite unter Bedingungen weiterarbeiten kann, in denen eine vollständige Selbstverwirklichung nicht erreicht worden ist. Die Unfähigkeit der einheimischen Eliten, die Ressourcen ihres Landes direkt zu nutzen, macht sie offen für Geschäfte mit Außenstehenden. Dadurch entsteht eine falsche Vorstellung von Autarkie, während in Wirklichkeit die Unabhängigkeit parallel zur Ausplünderung der Ressourcen abgeschöpft wird. Ein Beispiel dafür ist die Art und Weise, in der Irland, heute offenbar einer der führenden Pharmaproduzenten der Welt, diese Art von Industrie in den 1970er Jahren anlockte: durch den Verkauf seiner damals noch unberührten Landschaft, von der den potenziellen Pächtern gesagt wurde, sie habe eine nahezu unbegrenzte “Absorptionskapazität”, um Verschmutzungen aufzusaugen.

Das Ausmaß dessen, was unsere politische Klasse aus unserem Land verkauft, ist in der Tat phantasievoll; sie handelt faktisch mit dem Wesen Irlands: mit seinen Ressourcen, ja, aber auch mit seinen Werten, seiner Kultur, seiner Einzigartigkeit, seinem Wetter, seinen Gesetzen, seiner Verfassung, seinen Naturrechten, seiner Landschaft, seinen Besonderheiten, seinen Bürgerrechten, seiner Staatsbürgerschaft, seinen Pässen . . . “(1)

 

Zurück zum Lachs. Salmo salar, der atlantische Lachs, spielt in der reichen irischen Mytholgie eine wichtige Rolle. Was wurde nur aus dem Lachs der Weisheit, diesem freiheitsliebenden, schillernden und wandlungsfähigen Tier? Es wird dicht gedrängt in Käfigen eingesperrt, sediert, gemästet und gequält, mit zahlreichen Pharmazeutika mehr recht als schlecht am Leben gehalten. Der atlantische Lachs ist das schwimmende Pendant zum elenden, gerupften Batteriehuhn der 80er-Jahre geworden. Selbst die Farbe des Zuchtlachsfilets wird gefaked. Ohne Farbstoff ist das Fleisch der gezüchteten Lachse unappetitlich grau.

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Ein Westentaschenwald am Rande der Asphaltwüste

Das Greenwashing treibt im Großen wie Kleinen graue Blüten. Während die “Carbon Majors” dieser Welt, von Beton-Produzenten über Ölkonzerne bis hin zu großen Fluggesellschaften, sich die bald schon zu erkaufende “Klimaneutralität” auf die Fahnen schreiben, hängen sich Irlands Lebensmittel-Discounter bescheidenere und trotzdem ziemlich lachhafte grüne Mäntelchen um. Seit geraumer Zeit sehe ich im hintersten Winkel eines Großparkplatzes in Kenmare im County Kerry einen Westentaschenwald entstehen. Auf weniger als 200 Quadratmetern haben Supervalue und Lidl in einer gemeinsamen Öko-Großtat einen “Wald” pflanzen lassen. Divers soll er sein, aus einheimischen Bäumen soll er dereinst bestehen und eine große Lichtung aus Rasen hat er auch schon. Und einen Boden aus Mulch. Schön sauber, nur fast wie im Wald.

Mit einer grünen Tafel feiern sich die beiden Supermärkte für ihren revolutionär lachkrampferregenden Westentaschenwald, der das Klima auf dem Großparkplatz sicher gravierend verändern wird. Ob die Lidls und Supervalues, wenn aus den dünnen Sträuchlein dereinst mal ein Gehölz gewachsen sein wird, dann vielleicht auch ein paar Bäume auf ihren öden und in diesen Sommertagen knallig heißen Asphalt-Parkwüsten pflanzen werden (ich habe dort zwei Bäume gezählt . . .)?

 

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Die Sharing Economy, wie Freya sie versteht

I hope you dont mindI hope you don´t mind. Wir besitzen ein Gartenhäuschen nicht weit von unserem Haus auf der anderen Seite des Weges. Dort hatten wir über den Winter unter anderem einen Stapel Bücher gelagert. Als wir die Bücher im Frühjahr zurück holen wollten, fanden wir zuoberst einen handgeschriebenen Zettel, auf dem sinngemäß stand: “Ich hoffe, Du hast nichts dagegen, ich habe mir Dein Buch über Meeresalgen ausgeliehen. Bitte rufe die Telefonnummer 086 . . .  an und ich werde es sofort zurück bringen, wenn Du es benötigst.” Unterschrieben mit einem Blümchen.

Nachdem ich meine Verblüffung einigermaßen unter Kontrolle gebracht hatte, rief ich besagte Telefonnummer an und hörte von einer offensichtlich bestens gelaunten Freya, dass ihr das Buch total gut gefallen hätte, und dass sie es morgen früh sofort zurück bringen werde. Am übernächsten Morgen empfing ich eine SMS: “Es ist zurück. Vielen Dank noch einmal. Tolles Buch!” Das Buch lag vor der Tür des Gartenhäuschens. Von einer Freya keine Spur. Fest steht: Sie kann klettern, denn sie überwand das geschlossene Tor. Ferner: Sie interessiert sich für Gerichte mit Meeresalgen – und sie hält Wort.

Soll man dagegen wirklich etwas haben? Ich schrieb zurück: “Freut mich, dass Dir das Buch gefallen hat . . . ”

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Teil 1 der nachgereichten Stories sind hier zu lesen

 

Quellen: ¹ Den ganzen Text von John Waters gibt es hier.
Fotos: Markus Bäuchle