Ein milder Jahresbeginn mit viel Sonne. Wir sind hier im Südwesten Irlands mild, windstill und überwiegend trocken ins Jahr 2022 gestartet. Es ist wieder einmal zu warm für diese Jahreszeit, die sich noch immer Winter nennt. In der vergangenen Woche kam unser Freund und Nachbar Stefan, um die Apfelbäume zu schneiden, bevor das Wachstum beginnt. Der Bio-Farmer und Selbstversorger brachte das Resümee für das lokale Wetter in der Bantry Bay für das vergangene Jahr mit. Stefan zeichnet das hiesige Wetter seit 1986 täglich ohne Unterbrechung auf. Er errechnete diese Fakten:
:: 2021 genossen wir hier in West Cork 1018 Sonnenstunden. Das liegt im oberen Drittel der letzten 36 Jahre, in denen Stefan das Wetter beobachtet. Es sind die meisten Sonnenstunden seit dem Jahr 2010.
:: Die Regenmenge blieb nach vielen Jahren wieder einmal unter 2000 Millimeter: Es regnete 1907 Millimeter, oder 1907 Liter pro Quadratmeter, die wenigsten seit dem Jahr 2011.
:: Schlechte Geschäfte für die Windindustrie: 2021 war das windärmste Jahr in den 36 Jahren seit 1986.
:: Vor allem der Monat Juli ist für die gute Wetterbilanz 2021 verantwortlich. Er brachte überdurchschnittlich viel Sonne, Hitze und dazu wenig Regen.
Stefan Knuettel beobachtet das Wetter noch wie unsere Vorfahren mit eigenen Augen und einfachen Messverfahren. Wir haben seine Expertise viele Jahr lang für die Planung der Wandertouren von Wanderlust genutzt und lagen damit meistens hervorragend. Stefans Blick in den Himmel und an den Horizont über dem Meer, gepaart mit seiner Erfahrung, prognostizieren das schwer berechenbare Wetter am Atlantik zuverlässig. Ein smarter Zeitgenosse belustigte sich vor einigen Jahren schon, diese menschliche Art der Wetterbeobachtung sei doch vollkommen altmodisch und unzeitgemäß. Er selber habe an seinem Haus im Westen eine digitale Wetterstation installiert und rufe zuverlässigste Daten nun jederzeit direkt auf seinem PC oder seinem Phone ab.
Es liegt schwer im Trend, dass Menschen heute nicht mehr aus dem Fenster sondern auf das Smartphone schauen, um zu erfahren, ob es vor der Haustür regnet. Wir geben immer mehr Kompetenzen an die Digital-Technik ab und werden dadurch immer unselbständiger und dilletantischer. Wir vergessen, eigene Fertigkeiten zu entwickeln und machen uns von Hilfsgeräten komplett abhängig. Wer kann sich heute in einer unbekannten Stadt noch aus eigener Kraft orientieren? Das Navi bringt uns doch ans Ziel.
Das aktuelle Wetter richtig beobachten, lesen und deuten zu können, geht als menschliche Fertigkeit auch zunehmend verloren. Computer errechnen mittels hoch komplexer Klimamodelle zuverlässigere Prognosen denn je. Die Wissenschaft der Meteorologie ist weit fortgeschritten und lässt den menschlichen Beobachter blass aussehen im Vergleich. Die Maschinen übernehmen das Regime. Und dennoch findet sich ein Stefan mit Bordmitteln und ohne Hilfsmittel am Meer und in den Bergen noch immer besser zu recht als der durchschnittliche Besitzer einer smarten Wetter-App. Mein Nachbar kann den Schauern durch Richtungswechsel rechtzeitig entkommen oder genau ansagen, in wie vielen Minuten wir nass werden.
Die Menschen in Irland lieben es, über Wetter und Klima zu diskutieren. Bei jeder freundlichen Begrüßung wird das aktuelle Wetter zumindest kurz kommentiert. Und immer wollen die Insulaner wissen: Wie wird das Wetter morgen, im Sommer, in diesem Jahr? Ja, wie wird es wohl 2022? Bis vergangenes Jahr diskutierten wir hier eifrig die langfristigen Wetterprognosen von zwei bekannten Amateur-Meteorologen und Wetter-Propheten: Immer um den Jahreswechsel würde Michael Gallagher, der Briefträger aus dem County Donegal, seine Voraussage für das kommende Jahr abgeben. Der Mann, der 48 Jahre lang bei Wind und Wetter die Post austrug, las seine Prognosen aus den Erscheinungen und Zeichen der Natur. Seit diesem Jahr schweigt Michael, der mittlerweile 73 Jahre alt ist. Trolle und anonyme Heckenschützen hatten ihn in den sozialen Medien über die Maße beschimpft und beleidigt. Er verlor den Spaß – und nun muss das ganze Land auf dieses jährliche Vergnügen verzichten.
Auch der zweite populäre Wettermann ist aus den Medien verschwunden: Die Langzeit-Prognosen des Neuseeländers Ken Ring für das Wetter in Irland waren vor allem bei Farmern und Fischern beliebt und wurden öffentlich munter diskutiert. In diesem Jahr ist die Amateur-Expertise von der Südhalbkugel nur noch gegen Bares als Buch zu beziehen. Schade. Die Wissenschaft arbeitet auch in der Disziplin Wetter und Klima gnadenlos gegen die unterlegene menschliche Wahrnehmung und Erfahrung. Wer also wissen will, wie der irische Sommer 2022 zwischen El Nino und polarem Jetstream werden könnte, der kann sich zum Beispiel auf der wissenschaftlichen Website severe-weather.eu schlau machen.
Wir setzen dennoch weiterhin – und ohne die Wissenschaft zu ignorieren – auf menschliche Kompetenz. Wie also wird das Wetter im Jahr 2022, Stefan? Wie wird der kommende Sommer? Der Hobby-Metereologe hat mittlerweile einige Wetter-Zyklen beobachtet. Wie viele Einheimische, die sehnsüchtig von den sonnigen und warmen Sommern ihrer Jugend schwärmen, erkannte Stefan nach einem guten Jahrzehnt einen Wetter-Knick in den Jahren 1996/97 hin zu nasseren Jahren mit weniger Sonne. Er sieht nun einen neuen Schönwetter-Zyklus herauf ziehen und wagt die Prognose: „Die nächsten drei oder vier Jahre könnten gute Jahre werden, mit vergleichsweise viel Sonne und weniger Regen als zuletzt.“ Die magischen Marken hier an der regenreichen Atlantikküste sind 2000 Millimeter für das lebensspendende Nass und 1000 Stunden für das lebensspendende Licht aus dem wolkenfreien Himmel. Wir werden es erleben!
PS: Der weltweite Klimawandel verläuft in Irland bislang vergleichsweise unauffällig. Der Meeresspiegel steigt diskret, das Frühjahr kommt früher, doch große Wetterkatastrophen, wie Deutschland sie im Ahrtal erlebt hat, sind hier bislang ausgeblieben.
Fotos: Claudia Becker (Porträt), Markus Bäuchle (2) © 2022
Dem Stefan glaube ich alles.
Von daher blicke ich, zumindest wettermaessig,verhalten optimistisch in die Zukunft.
Schoene Gruesse an Dich,Stefan und die Offenbacher Kickers!!!
Guenther in Bantry
Ich finde es gut, wenn solches Wetterwissen wie das von Stefan nicht verlorengeht.
Es macht allerdings auch Sinn, sich als Biobauer näher mit dem Wetter zu beschäftigen.
Meine Oma wusste nach einem Blick in den Himmel und Gartenrundgang auch immer wie das Wetter wird. Denn wenn sich u.a. die Königskerzen nach Westen neigten gab’s definitiv Regen.
Ich persönlich bin da zweigeteilt. Ich habe dieses Wissen zwar auch noch bruchstückhaft, aber richte mich oft nach Wettervorhersagen.
Denn die Gärten, die ich für Verlage beruflich fotografiere, liegen meist weit entfernt, das lokale Wetter dort vor Ort liesse sich von mir also anhand von Beobachtungen gar nicht bestimmen.
Deshalb sind für mich Errungenschaften essentiell wie präzise Wettervorhersagen, meist das Agrarwetter, für die Region/ Land in das ich fahre oder fliege. Ich habe damit jedenfalls gute Erfahrungen gemacht.
So wusste ich – es ist schon einige Jahre her- dass ich für die Reportage der Lavendelgärtnerei Downderry Nursery nur ein sehr schmales Zeitfenster haben würde. Die Blüte war auf dem Höhepunkt, der Verlag machte Druck. Verschieben ging also nicht.
Das Wetter kam wie vorhergesagt, ich zog den Flug einen Tag vor, konnte die Reportage fotografieren und dann fielen auch schon die ersten Regentropfen. Der Regen blieb eine Woche, aber da war ich längst schon wieder zuhause.
Und ich gebe es zu: ohne Navi wäre ich verloren. Bis zur Nordseeküste würde ich es in Richtung Westen noch ohne schaffen aber dann…
Nie wieder nach England wie früher, allein und ohne Navi unterwegs, im Linksverkehr und dann noch die ausgebreitete Landkarte auf dem Lenkrad, während der Fahrt, versteht sich ;o)
Allzeit gutes Wetter für Irland !
Elke
Gruß an Stefan.
Ich muss mir bei nächster Gelegenheit ein Stück Käse abholen. Nach meiner Erfahrung motiviert der bei jeder Wanderung und jeder Witterung.
Unabhängig von Wettervoraussagen habe ich bereits Urlaub in Irland im Mai gebucht. Irgendwie habe ich das Gefühl der Coronaschmarren hat sich bis dahin etwas gelegt. Das Wetter spielt eher eine untergeordnete Rolle, wir – meine Schwägerin und ich – sind für jede Wetterlage ausgerüstet., wir wollen nur Irland..
Mit der Einstellung kann nicht viel schief gehen. Ja, Corona wächst sich hier langsam aus. Tatsächlich hat man* sich hier in Irland nicht in eine verhängnisvolle Impfpflicht-Debatte verrannt. Der Höhepunkt der erkältungsähnlichen Omikron-Welle gilt als überwunden, die Intensivbetten-Belegung hat in der Omikron-Phase sogar abgenommen. Jetzt soll die Einschränkung der Freiheitsrechte Stück für Stück zurück genommen werden. Nach zwei Jahren mit schwersten Einschränkungen schwenkt die Regierung hier auf einen Kurs des Augenmaßes, der Verhältnismäßigkeit und der Vernunft ein. Ganz gute Aussichten also für 2022.