Dublin

Dublin bei Nacht

Ellen Dunne empfiehlt Irlandnews-LeserInnen jeden Monat ein lesenswertes irisches Buch. Heute stellen wir Ellens neuen Roman vor: Boom Town Blues – ein Krimi mit ungeschminktem Blick auf das Dublin der Gegenwart. Eliane Zimmermann hat das Buch gelesen und meint: Mehr davon, bitte!

Eine spannende Reise durch das bisweilen nervende Dublin der Kriminalhauptkommissarin Patsy Logan liegt hinter mir. Doch vorab: Dieses Taschenbuch hat abgerundete Ecken, was mir besonders gut gefiel (ich achte bei Büchern – leider– oft erst einmal auf Äußerlichkeiten). Außerdem ist es in der Ich-Person geschrieben, das hilft mir bei der Identifikation mit den ProtagonistInnen.

Ellen Dunne

Ellen Dunnes neuer Roman Boom Town Blues (2022, 13,95 €)

Schnell war ich gefangen von der Sprachgewalt, vom Sprachwitz. Die in der irischen Hauptstadt leben österreichische Autorin Ellen Dunne versteht es, einen in die Geschichte hineinzuziehen. An vielen Stellen haben ich mich mehr über die Sprache amüsiert als über die eigentliche Handlung. Banalitäten und Alltag werden von ihr mühelos aufgespießt und ausgeleuchtet.

Das Leben von Patsy Logan ist ziemlich aus dem Ruder geraten: Beim Lösen des vorherigen Falles mehr Glück als Taktik, bei der Beförderung übersehen, vom Ehemann entfremdet, nicht in der Lage, schwanger zu bleiben. Eine dringend benötigte Auszeit bringt die Ermittlerin zurück ins Land ihrer Kindheit. Doch es kommt, wie es kommen musste, ein neuer Kriminalfall ist zu lösen. Patsy ist geradezu prädestiniert, den irischen Beamten zu helfen. Denn es handelt sich um ein Dreiländer-Thema. Eine junge Deutsche kommt in der Dubliner Residenz des österreichischen Botschafters zu Tode. Genug Stoff für Missverständnisse, Verwicklungen und komplizierte Wendungen.

Zwischen ersten Ermittlungen gehe ich mit Patsy durch das moderne Dublin, es ist laut, hektisch. Durch die überall präsente Bautätigkeit, am liebsten von seelenlosen eckigen Glaspalästen, wird der alte Charme immer mehr zerstört. Ich treffe ihre hoch verschuldete Cousine Sinéad, die einfach nur schön wohnen möchte. Vor meinem geistigen Auge flackern so viele junge Leute in diesem reichen Land, die seit Jahren Ähnliches durchmachen. Abgezockt durch astronomische Mieten für oft dunkle und verschimmelte Buden – vom schicken Eigentum träumend, dieses Ziel immer seltener erreichend.

Das Schicksal von Patsys Vater, der dem rigiden Katholizismus nach Freilassing bei München entfloh, war auch kein Zuckerschlecken. „So viele Iren aus seiner Generation kommen aus einer großen Familie und hatten nie Geld. Meine Großeltern haben sich lieber zu zehnt in ein Haus mit drei Schlafzimmern gepfercht, als für ein größeres Haus Schulden zu machen. Jede Form von Unbescheidenheit war für sie sowieso grenzwertig, wenn nicht überhaupt Sünde.“

Ellen Dunne

Ellen Dunne

Die Autorin schildert Schicksale, die mir in ähnlicher Art auch fernab der Hauptstadt zu Ohren gekommen sind. Sie sind aktueller denn je, die hässliche Fratze der Gier wird immer sichtbarer: „Sie hat sich ausgeruht auf ihrem feinen Abfindungspaketchen, nachdem sie meinem Sohn eine Schlinge um den Hals gelegt hat. Und nicht nur ihm. Hunderte Leute haben sich schon aus Verzweiflung das Leben genommen. Aber wer zieht die Banken zur Verantwortung? Niemand. Dafür wirft der Staat die Leute den Geierfonds zum Fraß vor, die in noch mehr Geld schwimmen, während die nächste Generation die Cents zählt. Und niemand tut was dagegen.“

In einem Krimi, der in Irland spielt, kommt freilich auch die IRA zur Sprache, vielleicht stecken die historischen Wirren zusammen mit dem Knebel der Kirche doch noch stark in jeder Zelle des durchschnittlichen Inselbewohners. Auch in diesen Beschreibungen sehe ich Parallelen zu etlichen Menschen, die ich in über 20 Jahren als Wahl-Irin kennenlernte. „Menschliches Treibgut in einem Meer an Endzeitstimmung“, passsender hätte man es nicht formulieren können.


Lese-Tipp: Aktuelles Interview mit der Autorin Ellen Dunne. Irland ist mein Schicksal


Und doch spüre ich Wärme und durchaus nette menschliche Beziehungen im Leben von Patsy Logan, sie nimmt mich mit, um ihre alten und neuen Bekannten kennenzulernen. Ich bin immer wieder gespannt, ob sich vielleicht nach einigen dieser geradezu belauschten Gespräche mehr als Freundschaft für die entwurzelte Patsy entwickelt. Die Lösung des Kriminalfalles interessiert mich allenfalls sekundär, ich begleite eine Frau wie du und ich einfach durch ihren Alltag. Ich lasse mich ablenken und aufs Glatteis führen, bleibe bis zum Schluss neugierig in der Geschichte.

Klar, ein Irland-Krimi braucht auch eingestreute Flüche und Schimpfwörter, diese sorgen für Authentizität, irische Alltags-Konversation braucht diese wie reichlich Salz im Stew. Ich bin in meiner Lektüre gefangen in dieser sehr männlichen Welt des Kommissariats und der Baubranche, bleibt sie mir doch als weibliche Privatperson auf der Grünen Insel meistens verborgen. Freilich fehlen auch nicht die Pflicht-Kommentare über das Wetter: „Wie ein Kugelhagel prasselte der Regen auf Dächer und Straßen, während der Westwind seine über dem Atlantik angesammelte Wut an den Straßenlaternen abreagierte“. Stimmungen und Verstimmungen drückt die Autorin auf eine fast fühlbare Art aus: „Ein nasser Otter von einem Lächeln“ und „ein Gefühl, das mir wie ungeschleuderte Wäsche im Magen lag“ und „ihre Stimmen, wie Fingernägel auf einer Tafel“.

Ellen Dunne ist eine gute Beobachterin der Menschen und der Strömungen, die hinter der touristischen grünen Fassade Irlands langsam ihre Löcher ins Gewebe graben: Die Postkarten-Idylle bildet nur einen kleinen Teil der irischen Realität ab. Die Autorin versteht es, mit viel Charme und Verstand den scheinbar komplizierten Kriminalfall mit maßvoller, jedoch deutlicher Gesellschaftskritik zu unterlegen. Sie legt den schreibenden Finger in Wunden, die wir Dauergäste dieses schönen Landes mit tagtäglich sorgenvollen Augen wahrnehmen. Jedoch behält sie immer eine liebevolle und wertschätzende Distanz.

Wie gut, dass ich mit dem aktuellen, dritten Band der Patsy-Logan-Reihe eingestiegen bin, ich brauche mehr davon.

 

Dublin

Dublins Docklands von oben

Besprochen:
Ellen Dunne: Boom Town Blues – Ein Fall für Patsy Logan
Buch 3 von 3: Patsy-Logan-Reihe
Haymon Taschenbuch
13.95 €
Februar 2022; ISBN ‎ 978-3709979396

Boom Town Blues gibt es bei Eurem lokalen Buchhändler oder beim fairen Online-Buchhandel Buch7.
Ellens Buch-Tipps für Irlandnews-LeserInnen gibt es hier: Klick

 

Dublin-Fotos [2]: Tourism Ireland; Foto Ellen Dunne: © Orla Connolly