„Ich versuchte mich in Versen, und es wurde mein Leben.“
– Patrick Kavanagh
Patrick Kavanagh (1904 – 1967):
Memory of My Father/ Gedenken an meinen Vater
Patrick Kavanagh gilt als einer der bedeutendsten Dichter des 20. Jahrhunderts.
Viele irische Literaturkritiker bezeichnen Kavanagh als den besten irischen Dichter seit William Butler Yeats. Doch selbst Bewunderer Kavanaghs finden es schwierig, sein Werk tatsächlich zu charakterisieren. „In gewisser Hinsicht kann man sagen , dass Kavanagh der Kritik trotzt“, schrieb man in „Heritage Now“, einem Buch über irische Literatur. „Man sucht in seinen Gedichten vergeblich nach ausgefeilten Metaphern, Symbolen und symbolischen Bedeutungserweiterungen.“ Kavanaghs Sichtweise entwickele sich vor allem aus seiner Reaktion auf das Leben und diese Herangehensweise sei eher emotional als intellektuell. … (nach: https://www.poetryfoundation.org/poets/patrick-kavanagh )
Aufgewachsen in der festgefügten Enge der kleinen Dorfgemeinde Inniskeen (Co. Monaghan), folgte er zunächst dem vorgegebenen Weg seines Vaters. Er sollte nach der Schule ebenfalls Schuhmacher werden. Nach Abbruch der Schule mit 12 und dem Versuch , dem Wunsch des Vaters nachzukommen, arbeitete Kavanagh 20 Jahre auf der Familienfarm, schrieb kleine Texte für die Lokalzeitung, bevor er 1939 nach Dublin zog und sich als Journalist und Schriftsteller durchs Leben schlug, oft zensiert und oft im Clinch mit der Katholischen Kirche.
Patrick Kavanagh
21. Oktober 1904 – † 30. November 1967
(Foto: Joseph Mischyshyn / Dublin – Grand Canal – Poet Patrick Kavanagh ; wikipedia)
Patrick Kavanaghs „ Memory of My Father“
Patrick Kavanagh beginnt seine poetische Annäherung an seinen Vater mit den Zeilen: „Jeder alte Mann, den ich sehe, Erinnert mich an meinen Vater, Als er sich in den Tod verliebte“ …. Er nimmt also Bezug auf den schon alten, gebrechlichen Vater. Zeigt sich hier vielleicht die lange eher distanzierte und problematische Beziehung zu ihm? Wissen wir doch, dass sich Patrick den (Berufs)Wünschen seines Vaters entzogen hat.
Dennoch: Ohne im Eigentlichen etwas Persönliches über seinen Vater auszusagen, gelingt es dem Dichter, seine Gefühle und seinen Respekt aufzuzeigen. Darüber hinaus zeugt dieses Poem von großer Achtung vor älteren Personen allgemein, vor „jedem Mann auf der Straße, dem er begegnet“. Indem er Zufallsbegegnungen mit gänzlich unbenannte Alten kurz skizziert, umreißt er die Wertschätzung für seinen Vater. Im Vergleich zu seinem Gedicht über seine Mutter allerdings, in dem er intime Nähe herstellt, scheint er gerade in der eher kühlen sprachliche Gestaltung seine eigene Beziehung zu klären.
Eigentlich ein eher emotionsarmes Gedicht – gebiert aber aus der Distanz große Klarheit und Kraft.
Memory Of My Father
Patrick Kavanagh
Every old man I see
Reminds me of my father
When he had fallen in love with death
One time when sheaves were gathered.
That man I saw in Gardner Street
Stumbled on the kerb was one,
He stared at me half-eyed,
I might have been his son.
And I remember the musician
Faltering over his fiddle
In Bayswater, London,
He too set me the riddle.
Every old man I see
In October-coloured weather
Seems to say to me:
„I was once your father.“
Das Foto zeigt einen alten Mann nach dem Kirchgang am Sonntag in Dingle (2007)
Das Gedicht über seine Mutter hier bei Irlandnews.
„Memory of My Father“ von Patrick Kavanagh ist ein Nachdruck aus „Collected Poems“, herausgegeben von Antoinette Quinn (Allen Lane, 2004), mit freundlicher Genehmigung der Treuhänder des Nachlasses der verstorbenen Katherine B. Kavanagh, über die Jonathan Williams Literary Agency.
„Memory of My Father“ by Patrick Kavanagh is reprinted from Collected Poems, edited by Antoinette Quinn (Allen Lane, 2004), by kind permission of the Trustees of the Estate of the late Katherine B. Kavanagh, through the Jonathan Williams Literary Agency.
Weitere Beiträge in der Serie „Lyrik am Sonntag“:
William Butler Yeats – Himmelsgewänder
Patrick Kavanagh – Im Gedenken an meine Mutter
Thomas Moore – Oftmals, in der stillen Nacht
Hallo liebe Heike,
mag er seinem Vater auch nicht ehrend gedenken bzw. anerkennen.
Aber ich denke, er sucht verzweifelt einen Weg, ihm verzeihen zu können. Er sucht ihn spät – in allem, was er sieht – und hofft vielleicht auf Versöhnung. Ob er sie findet, bleibt offen…
Liebe Grüße :-)
Manuela
Lieber Werner,
ein großes DANKE für deine schönen Beiträge und übrigens, The Wayfarer von Pearse kann ich endlich auswendig😊.
In Memory of my Father beschreibt ein Sohn alte, totgeweihte, stolpernde und schwache Männer, die sein Vater hätten sein können.
Er erinnert sich nicht an seinen Vater als jungen gesunden kräftigen Schuhmacher oder Farmer, der mitten im Leben steht. Warum?
So, wie sich Kavanagh an seinen Vater erinnert, gedenkt er ihm nicht im Sinne von „an jemanden ehrend oder anerkennend denken“, oder?
Ich freue mich über Antworten auf meine Fragen.
Liebe Heike!
Mir kommt es so vor, dass dieses Gedicht eine deutliche Distanz ausdrückt. Während ihm in der Erinnerung an seine Mutter konkrete, detailreiche und sehr intime Momente präsent sind (Kirchgang, Spaziergang…), nähert er sich hier über das Altern an sich. Durch die „genaue“ Betrachtung alter Männer -Zufallsbegegnungen- zeigt er zwar Interesse auf. Vielleicht kommen ihm sogar konkrete persönliche Erinnerungen an seinen Vater, die er jedoch nicht aufgreift. Aus der (von mir vermuteten!) größeren Distanz heraus, belässt er es bei diesen allgemeingültigeren Hinweisen auf diese Männer, die alle „sein Vater hätten sein können“.
LG Werner
Lieber Werner,
Text und Foto passen so wunderbar zusammen.
Ich finde den Text überhaupt nicht emotionslos.
Erinnern oder gedenken…läuft nicht beides auf das gleiche hinaus?
Wenn ich mich an jemanden erinnere, gedenke ich ihn,
wenn ich jemanden gedenke, erinnere ich mich an ihn.
Dieses Erinnern/Gedenken an seinen Vater hat Patrick Kavanagh
sehr poetisch in diesem Text festgehalten.
Danke lieber Werner :-)
Erinnern hat für mich eine individuelle, direkt auf einen Menschen bezogene Konnotation. Ich erinnere mich an meinen Großvater, meine Urgroßmutter. Gedenken geht über das individuelle Erinnern hinaus: Der Muttertag ist ein Gedenktag für alle Mütter, am Totensonntag gedenkt man der Verstorbenen. Erinnerungen an den Vater, im Gedenken an unsere Vorväter, die Ahnen?
Lieber Werner,
ich möchte Dir ganz herzlich danken für Deine Lyrik-Serie mit irischen Gedichten, die seit Kurzem alle zwei Wochen am Sonntag hier auf Irlandnews erscheint. Sie sowohl in Englisch als auch in Deiner Übertragung ins Deutsche zu lesen, ist ein schöner Start in einen ruhigen Sonntagmorgen, Danke auch für die Vorstellung des Projekts in Deinen eigenen Freitags-Gedanken.
Ich hoffe, dass die Diskussion über die von Dir gewählten Gedichte in Zukunft noch lebhafter wird und sich mehr Menschen mit Interesse an Lyrik daran beteiligen. Zu besprechen gibt es ja immer genug. Heute zum Beispiel, ob Patrick Kavanagh seines Vaters gedenkt, oder ob er sich eher an ihn erinnert. Schön, wie Kavanagh die Verbundenheit aller Menschen, der lebenden und der toten, in einfachen Worten so klar und tief ausdrückt.
Bis übernächsten Sonntag an dieser Stelle!