Banshees of Inisherin

Siobhán – der einzige psychisch gesunde Mensch auf der Insel

The Banshees of Inisherin ist der in den höchsten Tönen gelobte und am meisten tam-tamisierte irische Film der letzten Jahre. Er war bereits für über 300 Preise und Festivals nominiert und gewann 90 mal. Er holte drei Golden Globes und ist nun für neun Oscars nominiert. Die Kritiker überschlagen sich mit Hymnen und Lobgesängen über den neuen Film des irischen Regisseurs Martin McDonagh, die fabelhaften Landschaftsaufnahmen der Drehorte Inishmore (Aran Islands) und Achill Island, die schauspielerische Brillianz von Colin Farrell und Brendan Gleeson. (Mir fällt da noch Kerry Condon ein, die als psychisch stabile Siobhán brilliert . . . .)

Meine irischen Freunde und Bekannten freuen sich zwar über den globalen Erfolg eines irischen Films, beurteilen diesen jedoch wesentlich vorsichtiger als die Hymnensänger der Medien. Manche finden vor allem die Geschichte dürftig, die der Film erzählt. Am vergangenen Wochenende habe ich es endlich geschafft, die Banshees of Inisherin zu schauen – und reibe mir nun noch immer verwundert die Augen. Die folgenden Bemerkungen sollen nicht eine weitere Filmkritik sein,  doch  – vorsicht: Spoiler – ein paar eigene Eindrücke möchte ich mit der Frage verbinden: Wie hat Euch dieser Film gefallen?

Banshees of Inisherin

Aus Freunden werden Feinde

:: Für den Film spricht: Er hat mich zwei Stunden lang gut unterhalten, ich habe mich keine Minute gelangweilt – und er beschäftigt mich Tage später immer noch: Ich frage mich nämlich irritiert, wieso alle Welt die Banshees of Inisherin für einen außergewöhnlich guten Film hält.

:: Die Handlung: Eine Insel vor der Westküste Irlands. 1923. Auf dem Festland tobt der Bürgerkrieg. Alter Insel-Mann entfreundet jungen Insel-Mann abrupt. Muss seine letzten Jahre kreativ sein, hat keine Zeit mehr für Trinken und Geselligkeit. Alter Mann droht jungem Mann: “Wenn Du Dich nicht von mir fern hältst, schneide ich mir meine Finger ab”. Junger Mann hat keine Einsicht. Alter Mann schneidet sich fünf Finger ab und wirft sie an die Haustür von jungem Mann. Geliebter Esel von jungem Mann will abgeschnittenen Finger fressen und erstickt. Junger Mann entwickelt sich vom besten Freund zum schlimmsten Feind. Brennt Haus von altem Mann nieder: Offenes Ende. Aussicht: Mehr Unglück.

In die schlichte Story haben Kritiker vieles hinein interpretiert. Sie sei eine Allegorie. Ja auf was denn? Vielleicht auf den irischen Bürgerkrieg, den brutalen Bruderkrieg, vielleicht auf den Konflikt des Künstlers zwischen kreativem Schaffen und Alltagstauglichkeit, auf die Liebe zum Nutztier, vielleicht auf die Männerfreundschaft, in der Gefühle nicht geäußert werden und Gemeinsamkeiten (außer dem Hang zum Alkohol) keine Bedingung sind. Dieser Allegorie allerdings fehlt die Tiefe und jegliche Subtilität. Braucht es fünf abgeschnittene, blutige Finger für eine gute Geschichte?


Die Fakten zum Film The Banshees of Inisherin gibt es hier auf Irlandnews: KlicK


Regisseur Martin McDonagh hat im Jahr 1994 sieben Theaterstücke geschrieben, darunter eine Trilogie über die Aran Islands. Einzig das Stück The Banshees von Inisherin wurde nie aufgeführt. McDonaghs Begründung: Mangelnde Qualität. Fast drei Jahrzehnte später ist die Story gut genug als Skript für einen erfolgreichen Spielfilm.

Ist dieser Film eine Komödie, wie behauptet wird? Offensichtlich verfüge ich über begrenzte Humorkapazitäten. Der Film ist weder lustig noch erheiternd, auch hat er keinen glücklichen Ausgang. Er ist allenfalls stellenweise skurril. Eine schwarze Komödie vielleicht? Schwarz ja.

Banshees of Inisherin

Märchenlandschaften ohne Ende

 :: Der Marketing-Effekt: Martin McDonagh weiß genau, wie man ein internationales Publikum bedient. Mit traumhaft schönen Bildern, mit der Filmidylle von den irischen Inseln, den erhabenen Landschaftsaufnahmen, den säuberlich gekleideten Inselbauern, den hübsch hergerichteten Häusern, kreiert er eine trügerische Kulisse. So mag sich die Welt das insular-ländliche Irland vorstellen. Ein genre-sicherer McDonagh schmeichelt den Erwartungen des Publikums mit Chiffren und Stereotypen und einer Ästhethik, die an die illusionären Fotografien von John Hynde vom guten alten Irland erinnert. Gott, so es ihn gibt, schütze Irlands Westküste vor den Touristenhorden, die auf diesen Marketing-Wumms mit Fernweh-Therapie und Flugticket-Kauf reagieren. Auf Achill Island und auf Inishmore, wo im Sommer täglich 2000 Tagesgäste anlanden, freut man sich schon auf noch mehr. René Böll kommentierte hier auf Irlandnews vor kurzem den touristischen Alltag auf Achill:

“Die Auswirkungen des Wild Atlantic Way zeigen sich besonders krass in der Keem Bay auf Achill Island. Früher ein menschenleerer Ort – als der Haifang vorbei war – muß heute der Verkehr im Sommer von der Polizei geregelt werden.”

Wollt Ihr also den wuchtigen Banshee-Effekt jetzt noch obendrauf? In Irlands Tourismusmarketingzentrale in Dublin schreit man laut: Jaaaaa. Lasset sie kommen, die Massen aus Amerika und aller Welt.

Banshees of Inisherin

Pádraic Súilleabháin und sein geliebter Zwergesel

:: Gegen den Film spricht: Eigentlich nichts. The Banshees of Inisherin trägt gut durch zwei unterhaltsame Stunden (114 Minuten). Vieles spricht gegen das große internationale Tam-Tam. Viel Lärm um Wenig. Für mich ist das ein durchschnittlicher Film, der es auf wundersame Weise und aufgrund seiner Starbesetzung geschafft hat, im Film-Festival-Zirkus zu reussieren; und ist der Anfang erst gemacht, scheint im Film-Business eben alles möglich. Die Oscars werden am 12. März verliehen. Danach mögen uns die guten Geister hier an der Atlantikküste wohl gesonnen sein.

Wie hat Euch der Film gefallen? (Die Kommentarspalte unter diesem Beitrag ist geöffnet).


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Irland-Marketing per Spielfilm

Alle Fotos: The Banshees of Inisherin