Die Übersetzerin Anna-Nina Kroll; © Markus Laghanke

 

“Die irische Grundmelancholie mit viel Humor als Ausgleich ist mir sehr sympathisch.”

 

Ein Gespräch mit der Übersetzerin Anna-Nina Kroll über Heinrich Böll, Anna Burns‘ Milchmann und eine gemeinsame Bierleidenschaft – geführt von Ellen Dunne.

19 Bücher habe ich in den vergangenen 20 Monaten für Irlandnews von irischen Autor’innen rezensiert. Dass mich so viele davon begeistert haben, ist zu einem großen Teil auch den großartigen Übersetzer’innen zu verdanken. Mit dem Inhalt eines Romans gleichzeitig auch das Lebensgefühl, den Witz und den kulturellen Hintergrund einer Story zu transportieren, ist ganz große Kunst, die erst in den letzten Jahren etwas mehr Anerkennung im Literaturbetrieb erhält.

Ellen Dunne, Foto ©Orla Connolly

Die Vorkosterin: Ellen Dunne stellt auf Irlandnews lesenswerte Bücher aus und über Irland vor. Im Salzburger Land geboren und aufgewachsen, weckten zunächst die Berichte über den Nordirland-Konflikt in den 90ern ihr Interesse an der Insel. Seit 2004 lebt sie in und um Dublin, wo sie zunächst mehrere Jahre im Google Europa-Hauptquartier arbeitete. Inzwischen ist sie freie Texterin und Autorin. Ihre bisherigen Romane und Kurzgeschichten werden bei Haymon, Suhrkamp/Insel und Eire verlegt. Auf IrlandNews schreibt sie über Literatur aus und über Irland. Mehr über Ellen gibt es unter www.ellen-dunne.com Foto: ©Orla Connolly

Anna-Nina Kroll ist eine dieser kongenialen Übersetzer’innen und hat sich nach ihrer hochgelobten Übersetzung des komplexen Booker-Preisträgers „Milchmann“ von Anna Burns eine Nische als literarische „Irland-Spezialistin“ erarbeitet. Es folgten Anna Burns‘ Erstling Amelia sowie der Debütroman Snowflake von Louise Nealon, alle auf Irlandnews rezensiert. Sie war Translator in Residence am Dubliner Trinity College und wird im Februar 2023 als Translator in Residence am University College Cork nach Irland zurückkehren. Grund genug für mich, die 1988 geborene Essenerin,  zum Interview zu bitten. Über das Übersetzen, irisch-literarische Eigenheiten und natürlich – Heinrich Böll.

Anna-Nina, du bist inzwischen zehn Jahre literarische Übersetzerin. Wie beginnt so eine Karriere als Übersetzerin für Verlage? War es Ziel oder Zufall?

Es waren schon einige Zufälle im Spiel. Nach der Schule wollte ich irgendwas mit Englisch und irgendwas mit Büchern machen, aber was wird man da? Lektorin? Autorin? Lehrerin? Ich war schon halb fürs Lehramtsstudium eingeschrieben, als eine Klassenkameradin vom Diplomstudiengang Literaturübersetzen erzählte. Davon hatte ich noch nie gehört, aber es klang wie für mich gemacht. Ich wohnte in Essen, und der damals deutschlandweit einzigartige Studiengang wurde in Düsseldorf angeboten, ich musste also nicht mal umziehen. Zum Glück stellte sich dann auch noch heraus, dass ich nicht nur Spaß am Übersetzen, sondern auch ein gewisses Talent dafür hatte, und so bekam ich schon während des Studiums die ersten Aufträge von großen Verlagen.

Du hast in der letzten Zeit mehrere viel beachtete Romane von irischen Autor’innen übersetzt. Auch auf deiner Website ist zu lesen von deinem besonderen Interesse an irischer Literatur. Wie kam es dazu?

Auch da hat der Zufall eine Rolle gespielt. In der Schule haben wir Cal von Bernard MacLaverty gelesen, und den ersten wirklich bewussten Kontakt mit irischer Literatur hatte ich in einem Uni-Seminar zu Romanen, die der Zensur zum Opfer gefallen waren. Wir lasen Brian Moore, Edna O’Brien und John McGahern, doch darüber hinaus beschäftigte ich mich erst einmal nicht groß mit Irland. Als Diogenes einige Jahre später anfragte, ob ich einen irischen Roman übersetzen würde – es ging um Donal Ryans The Thing About December – war ich zunächst skeptisch, weil ich mich doch eigentlich nicht so recht auskannte mit Land und Leuten, sagte aber zu. Und als ich dann zur Recherche für diese Übersetzung das erste Mal nach Irland kam, war es sofort um mich geschehen.

Teilen irische Autor’innen deiner Meinung nach bestimmte Merkmale in ihrer Art zu schreiben, die sie von anderen englischsprachigen Literaturschaffenden unterscheidet?

Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, aber oft herrscht in Texten von irischen Autor’innen eine gewisse Grundmelancholie, die mit ganz viel Humor ausgeglichen wird, das ist mir sehr sympathisch.

Welches irische Buch war deine bisher größte übersetzerische Herausforderung und warum?

Die größte Herausforderung war sicher Milkman von Anna Burns. An dieser gewaltigen, ausufernden, immer wieder neu Anlauf nehmenden Sprache mit Sätzen, die sich teilweise über mehrere Seiten ziehen und in denen alles angedeutet, aber nichts explizit benannt wird, habe ich richtig gepuzzelt. Burns erzählt nie von „England“, „Irland“ oder der „IRA“ und beschreibt Belfast ohne eine einzige konkrete Ortsbezeichnung. Die ganzen Andeutungen und Umschreibungen musste ich erst einmal entschlüsseln, bevor ich sie auf Deutsch neu verschlüsseln konnte. Ich habe also viel zum Nordirlandkonflikt recherchiert und war in Belfast, um die uneindeutig eindeutigen Wege abzulaufen, auf denen die Protagonistin wandelt. Sehr geholfen hat mir übrigens auch das Original-Hörbuch, in dem die Schauspielerin Brid Brennan den Humor der Autorin wunderbar herauskitzelt.

Irische Autor’innen werden besonders häufig auch ins Deutsche übersetzt. Woran liegt das deiner Meinung nach?

Ich glaube, Irland ist spätestens seit Bölls irischem Tagebuch für viele Deutsche ein Sehnsuchtsort. Das Meer, die grüne Natur, die Freundlichkeit und Erzählfreude der Menschen, da herrscht eine große Sympathie. Gleichzeitig gibt es in Irland wie bei uns eine wichtige Literaturtradition, und die gemeinsame Bierleidenschaft tut dann ihr Übriges.

2020 warst du mehrere Monate für ein Stipendium am Trinity College in Dublin. Was ist dein persönlicher Eindruck von der Stadt und ihren Menschen? Inwiefern hat es dir in deiner Arbeit geholfen?

Wenn ich aus meinem stillen Übersetzerinnenkämmerlein komme, erschrecke ich mich immer erst mal über die Unmengen von Tourist’innen und den Trubel in Dublin, aber man gewöhnt sich schnell daran und lernt, Rushhour und Touri-Pubs zu meiden. Bei meinem Aufenthalt in Dublin und am Trinity College habe ich sehr viel über das irische (Uni-)Leben gelernt, was mir besonders bei der Übersetzung von Louise Nealons Snowflake geholfen hat, die gleich im Anschluss anstand. Ein Großteil des Romans spielt dort, und mir persönlich erleichtert es die Arbeit immer ungemein, wenn ich im Kopf mitspazieren kann und weiß, was da genau beschrieben wird. Heutzutage kann man mit Street View glücklicherweise vieles aus der Ferne herausfinden, aber nachfühlen, was einen beim Anblick mancher Gebäude packt, kann man am Computer nicht.

Welches Buch aus irischer Feder (egal ob von dir übersetzt oder nicht) sollten wir unbedingt noch lesen und hier vorstellen? Gibt es eines, das noch nicht übersetzt ist, aber übersetzt werden sollte?

Vor lauter Arbeit komme ich leider selten dazu, anderes zu lesen als die Texte, die ich gerade übersetze, daher habe ich gar keine Geheimtipps parat, aber Stöbern lohnt sich: Ich weiß von mehreren Autor’innen, die noch nicht übersetzt sind. Bei meinen eigenen Übersetzungen würde ich mir ein bisschen mehr Aufmerksamkeit für Donal Ryan wünschen, der das Leben im ländlichen Irland fein beobachtet und toll einfängt, aber bisher ein bisschen übersehen wurde. Und im nächsten Jahr freue ich mich besonders auf Leonard und Paul (O: Leonard and Hungry Paul) von Rónán Hession, das meine fantastische Kollegin Andrea O’Brien übersetzt hat und für dessen Veröffentlichung eigens ein Verlag gegründet wurde.

Auch für dich geht es irisch weiter! Du wirst im Februar 2023 auf die Insel zurückkehren – als Translator in Residence am Cork University College. Kannst du uns etwas darüber erzählen?

In den drei Monaten am UCC werde ich an Donal Ryans neuestem Roman /The Queen of Dirt Island/ arbeiten, Workshops zum Übersetzen geben und die Teile der Insel erkunden, die ich bisher noch nicht so gut kenne. Und wenn ich dann wieder nach Hause komme, ist gleich der nächste irische Roman dran, aber dazu verrate ich lieber noch nichts.

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch, Anna-Nina, und wir freuen uns schon auf deine nächsten Übersetzungen!

 


Irlandnews-Buchtipps: Alle Buch-Rezensionen von Ellen Dunne gibt es hier.


Fotos:  Anna-Nina Kroll (© Markus Laghanke), Cover Snowflake Mare Verlag, Coverfoto Amelia Ellen Dunne, Foto Ellen Dunne (© Orla Connolly)