“Zauberhaftes Land, voller Erinnerungen und Träume,
Meine Jugend liegt in den Klüften deiner Hügel;
Hier im seidenen Gras am Rande der Wiesen,
Birgt jede Blume und jedes Blatt seine Erinnerungen an dich.”

Katharine Tynan  (aus: The Old Country, Collected Poems, 1930)

 

Katharine Tynan: Slow Spring / Langsamer Frühling

 

Nach dem eher sperrigen Gedicht One more time vom letzten Mal lassen wir uns heute von Frühlingsgefühlen tragen.

Der Frühling steht in allen Kulturen für ein Aufbrechen, einen Neustart, für volle Kraft voraus. Ein Lebensgefühl, das gerade Menschen jenseits der Lebensmitte in der Rückschau für sich deutlicher wahrnehmen, zeigt sich doch darin auch die Dimension der Vergänglichkeit.

Jahreszeitliche Gedichte greifen Naturzyklen des Jahreslaufes gerne auf:

…Das Aufblühen im Frühling,
die Kraft und Wärme des Sommers,
die Reifezeit und das langsame Absterben, die dem Herbst zugeordnet ist
sowie die Starre und Ruhe des Winters.

Und weil dies augenscheinlich nahe liegt, wird der Naturzyklus gerne auf unsere Lebenszeit übertragen:

…Die Kindheit mit Wachsen, Ausprobieren und Lernen, die Erwachsenenzeit mit Liebesfähigkeit,
Bindung und Gründung eigener Familien,
das langsame Herauswachsen aus der Betriebsamkeit und der Genuss des Alters und schließlich
das gebrechlich Werden und der Abschied vom Leben auf der letzten Lebensstrecke.

 


Alle Gedichte der Irlandnews-Serie Lyrik am Sonntag können Sie hier aufrufen: Lyrik am Sonntag


 

 

Katharine Tynan(-Hinkson)

21. Januar 1859 (oder 1861) – 2. April 1931

(Foto: wikipedia)

Wer mehr über den biografischen Hintergrund von Katharine Tynan oder die Einordnung ihrer literarischen Arbeit in den kulturellen Kontext der Zeit erfahren möchte, kann dies der Vorstellung ihres Gedichtes „Irgendeine Frau“  hier entnehmen.

 

Slow Spring

Katharine Tynan

 

O year, grow slowly. Exquisite, holy,
The days go on
With almonds showing the pink stars blowing
And birds in the dawn.

Grow slowly, year, like a child that is dear,
Or a lamb that is mild,
By little steps, and by little skips,
Like a lamb or a child.

 

 

In dem kleinen unscheinbaren Gedicht Slow Spring / Langsamer Frühling greift Katharine Tynan obige Gedanken auf.

In der Rückschau auf die schon gelebten Jahre beschwört sie die Zeit,  das Jahr, doch langsamer zu vergehen. Es bedrückt sie, dass der Frühling scheinbar schnell dahinrast. Sie stellt fest, dass sie eigentlich mehr Zeit bräuchte, alle lustvollen Sinneseindrücke dieser Jahreszeit zu verarbeiten. Die Wahrnehmung der Schönheit, die volle Blüte des rosa Mandelbaumes, das erneute Vogelgezwitscher lassen auch sie erneut aufblühen. Diesen Zustand möchte sie gerne festhalten, indem sie das Jahr anfleht, sich dem deutlich langsameren – weil einmaligen – Lebenszyklus von Mensch und Tier zu unterwerfen…

 

Dank an Karin Mangold-Schneider für die Unterstützung bei der Übersetzung

 

Übersetzung, Nachdichtung und Gestaltung: Werner Bartholme; Foto: Markus Bäuchle

Quellen:
My poetic Side https://mypoeticside.com/poets/katharine-tynan-poems
Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Katharine_Tynan
Mehr zur Person von Katharine Tynan gibt es hier.