Immer dienstags. Heute erinnert sich Ralf Sotscheck an den einst bekanntesten Strafverteidiger der USA, Peter DeBlasio, und erzählt, wie der Top-Jurist ein Opfer irischer Fabulierkunst wurde.
Er war einer der bekanntesten Strafverteidiger in den USA. Kommenden Samstag ist es ein Jahr her, dass Peter DeBlasio gestorben ist. Er wurde 91 Jahre alt. Kurz vor seinem Tod legte er ein Geständnis ab: 45 Jahre zuvor hatte er einem irischen Gangsterpaar zu einem Freispruch verholfen, obwohl er wusste, dass deren Verteidigung auf einer völlig blödsinnigen Geschichte beruhte.

Die Irland-Kolumne von Ralf Sotscheck. Der Berliner Journalist lebt seit 1985 in Irland und ist irischer Staatsbürger. Er pendelt zwischen Stadt und Land, irischer See und Atlantik, zwischen Dublin und einem Dorf im Burren. Ralf arbeitet als Irland-Korrespondent für die tageszeitung (taz) und schreibt Bücher, vorzugsweise über Irland und die Iren. Er hält Vorträge, Lesungen und ist ein brillanter Unterhalter. Seine Irland-Kolumne erscheint dienstags auf Irlandnews. Ralfs Website: www.sotscheck.net. Foto: Derek Speirs
Es war der 17. August 1975. 60 Polizisten stürmten in New York die Wohnung des 37-jährigen Mel Patrick Lynch, der aus der irischen Grafschaft Offaly stammte. Auf dem Sofa saß der „unrasierte, übelriechende, gefesselte und mit einer Augenbinde versehene 21-jährige Erbe einer der reichsten US-amerikanischen Familien“, schrieb damals Alex Traub in der New York Times. Samuel Bronfman, dessen Vater die Seagram-Brennerei gehörte, war neun Tage zuvor entführt worden.
Seitdem lauerten Reporter und Schaulustige vor dem Haus der Familie, zwei Stände mit Eiscreme und Hot Dogs versorgten die Menge. Die Kidnapper hatten 2,3 Millionen Dollar Lösegeld verlangt. 100 FBI-Agenten beobachteten die Geldübergabe. Dennoch gelang es Lynch zu entkommen. Dummerweise hatte er sein eigenes Auto benutzt, sodass die Beamten seine Adresse hatten.
Um die Geisel nicht zu gefährden, parkte die Polizei um die Ecke – zufällig vor dem Haus von Dominic Byrne, der ebenfalls aus Irland stammte und Lynchs Komplize war. Er gab zur Überraschung der Polizei sofort auf. Der Fall schien sonnenklar, zumal Lynch und Byrne Geständnisse ablegten.
Doch vor Gericht wähnte sich der Staatsanwalt in einem schlechten Film. Lynch behauptete, dass Bronfman die Entführung selbst geplant hatte. Er sei Bronfmans Liebhaber gewesen, und der wollte seine Familie um ein paar Millionen erleichtern. Er habe Lynch angeblich gedroht, ihn bei seinem Arbeitgeber als schwul zu outen, falls er nicht mitspielte.
Die Geschworenen hörten Lynch, der über die irische Gabe der Fabulierkunst verfügte, mit offenem Mund zu. „Er war der Arturo Toscanini unter den Zeugen“, schrieb DeBlasio in seinen Memoiren. „Er verwandelte eine Horrorgeschichte in eine Tragödie opernhaften Ausmaßes. Wäre es den Geschworenen erlaubt gewesen, wären sie in Applaus ausgebrochen und hätten nach einer Zugabe verlangt.“
DeBlasio, der Byrne vertrat, wollte Lynch alles in die Schuhe schieben, um seinen Mandanten zu entlasten, doch nach Lynchs Auftritt änderte er die Taktik. Es gelang ihm erstaunlicherweise, die Geständnisse verschwinden zu lassen, und er erklärte, dass es nie eine Entführung gegeben habe. Die Angeklagten wurden freigesprochen.
Bronfman sah aus wie jemand, der einen Albtraum durchlebte, schrieb daraufhin die New York Times. Niemand fragte nach seinem angeblichen Motiv. Er hatte ja genug Geld. Das änderte sich, als sein Vater die Firma Seagram nicht ihm, dem Erstgeborenen, sondern seinem jüngeren Bruder Edgar überschrieb.
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Titelbild: Peter DeBlasio argumentiert vor Gericht im Entführungsfall Samuel Bronfman.
CC BY Image courtesy of The Courtroom Sketches of Ida Libby Dengrove, University of Virginia Law Library
Eine humorvolle Geschichte, die zwei Seiten einer Medaille zeigt.
Die Kidnapper kamen zwar davon, aber der Ruf von Samuel Bronfman war in den Augen damaliger Moralapostel ruiniert. Und der Anwalt hatte sein Leben lang ein schlechtes Gewissen.
Meine Sympathie gilt trotzdem Mr. Lynch, denn durch Wortgewandtheit die Wahrheit komplett zu verdrehen und von diesem Lügengebäude auch noch ein Gericht zu überzeugen, das hat was.
Mr. Lynch hätte Anwalt werden sollen ;o)
Grüße auf die grüne Insel im (heute mal nicht) Regen
Elke
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